Champion Jack (September 1999)


Das Licht blendete ihn. Langsam ließ er die Tür des großen Kühlschrankes wieder zufallen. Er starrte in das Halbdunkel, das die drei kleinen Fenster vom Licht des Mondes übrig ließen. Es roch nach Müll, nach verrottendem Gemüse. Das Licht malte absurde Schatten auf den Rücken seiner Hand als sie sich wieder auf den Griff der Kühlschranktür legte. Er kniff die Augen zusammen und drückte die Klinke herunter. Ohne in das Licht zu sehen, suchte er den Wein. Die Flasche musste irgendwo oben liegen, zwischen dem guten tschechischen Bier. Die Kronenkorken der Bierflaschen machten ihm die Suche leicht. Als er das beruhigend altmodische Rülpsen der Gummidichtung hörte, machte er die Augen wieder auf. Der Kühlschrank war zu, das Halbdunkel wieder hergestellt. Vor der kurzen Treppe vergewisserte er sich noch einmal genau der Position der zwei Stufen. Er wollte sich nicht wegen einer Flasche Wein den Hals brechen. Er stolperte in die Küche, der Korkenzieher war schnell gefunden. Er liebte das Geräusch des Korkens und das des Weines, wenn er aus einer vollen Flasche in das Glas lief. Er goss das Glas voll, nahm die Flasche und machte sich auf den Weg nach oben. Die Treppe in den ersten Stock verlangte noch einmal seine volle Aufmerksamkeit. Von oben hörte er Applaus. Champion Jack Dupree live in Montreux. Er wußte, dass er sich mit der Treppe beeilen musste, denn nach Champion Jack kam diese unglaubliche Improvisation von Les McCann — Compare to what. Das war ›Schwing‹. Ella Fitzgerald saß damals im Publikum und in der Bar erzählt er gerne, dass er damals dabei war. Natürlich war das Unsinn, er war erst vier Jahre alt, als das Stück aufgenommen wurde.

Wahrscheinlich hatte auch Champion Jack an jenem Abend in der Konzerthalle von Montreux gesessen und vielleicht war er es, der trotz der dreisprachigen Schilder, die wegen der Plattenaufnahmen Ruhe verlangten, begeistert aufschrie als Miss Fitzgerald zu ihrem Platz in der ersten Reihe ging. Bork hatte Jack viele Jahre später nach einer Party kennengelernt. Er wohnte in einem scheußlichen Apartment in einem Hochhaus hinter dem Bahnhof von Hannover. Jack behauptete, es würde ihm gehören, aber niemand glaubte das. Es war nach einer ziemlich schrägen Party in einem kleinen Club im Rotlichtviertel. Eine Folk-Punk-Band aus Irland mit einem total durchgeknallten Säufer als Sänger hatte einen lustlosen Gig abgeliefert. Die Roadies oder die Musiker selber hatten die teuren Sachen schon wieder eingepackt, als am Tresen zwei Typen lautstark anfingen zu streiten. Aus den Boxen dröhnte amerikanischer Indie-Rock — ein Wort, das es damals noch gar nicht gab. Aus dem Augenwinkel sah Bork die schlenkernden Arme des großen weißen Mannes und den verrückt zuckende Hinterkopf des etwas kleineren schwarzen. Er drehte sich wieder um. »Ich weiß ja, dass Du das mit den Sternzeichen nicht hören willst, aber dann hat er gesagt, dass er Löwe ist und Du weißt doch, dass ich immer Widerstand brauche, jemand, der mal Nein sagt. Wo man gegen halten kann.« Ihre Augen glänzten fast so sehr wie das Nylon ihrer Strumpfhose, er betrachtete ihre Knie, ihre Oberschenkel. Fisz hatte wieder diesen Rock mit dem Reißverschluss an der Seite an. Bork starrte auf den Reißverschluss, er war zur Hälfte geöffnet, das war ein gutes Zeichen, auch wenn ihr Gerede ihm nicht gefiel. »Und die Frauen da reden jeden Morgen darüber wie ihr Mann die Nacht im Bett war. Und er sagt, dass das für die Männer natürlich total anstrengend ist, aber irgendwie auch völlig normal.« — »Fisz, das is' doch Quatsch, das haben die ihm nur erzählt, um anzugeben.« — »Nein, wirklich! Im Senegal ist das so, die Frauen reden jeden Morgen über ihren Sex und die Männer müssen's halt bringen, sonst sind sie unten durch im Dorf.« — »Ach komm, Fisz. Und selbst wenn ... Also ... Ich war noch nie im Senegal, und selbst wenn's so ist ... — Und wie war er letzte Nacht?« Bork bemühte sich, möglichst gleichgültig und ironisch zu klingen. Er blickte weiter verträumt auf den Reißverschluss. »Ach, komm Bork, Du weisst genau, das es darum nicht geht. Ich red halt gern mit Jörg. Das ist alles total platonisch. Der hat so viele Geschichten zu erzählen. Und der nimmt mich ernst, der will auch wissen, was ich dazu denke.« Bork wollte sagen, dass er das neulich auch in einem Frauenmaganzin gelesen hatte, aber das Versprechen des halbgeöffneten Reißverschlusses hielt ihn davon ab. Er schwieg und blickte in sein Whiskey-Glas.


»Eyh! Pass doch auf, Du Arsch! Bist Du total bescheuert?!« Der Typ hinter dem Tresen schrie ihn an und sein Glas war weg. Bork begriff nicht recht was eigentlich passiert war. Fisz fing an zu lachen. Der Barkeeper schrie weiter und die beiden Typen hinter ihm redeten plötzlich auf ihn ein — oder auf den Barkeeper. Aus dem ganzen Gejammer hörte er nur ein paar Worte »Aahhm saarrie«, »Maa faaollt« und das Lachen von Fisz. Er war sich nicht sicher, was als nächstes passieren würde. Langsam und vorsichtig drehte er sich um. Vor ihm das grinsende Gesicht des schwarzen Mannes. Dahinter sah er noch ein Grinsen — ein irisches, besoffenes. Der schwarze Mann sagte in bestem Hochdeutsch: »Hey, Mann, tut mir leid, ich hab ein bisschen die Kontrolle verloren.« Der Keeper wischte den Tresen wieder trocken. »Der war noch fast voll ...« »Kein Problem, Mann, was hast Du gehabt?« »Some more Beer for the lucky guy!« Lallte der lange Weiße. »Nee, nen Jack Daniels.« Der Schwarze sagte »Mein Name ist Jack.«