Über Ausbeutung und Selbstausbeutung


Die gewerkschaftliche Arbeitnehmer*innenhaltung scheint eine Reproduktion des kapitalistischen Profitmaximierungsstrebens zu sein: maximaler Lohn für minimalen, die Voraussetzungen eben erfüllenden Zeiteinsatz. Zumal sich vor allem die Gewerkschaftsbewegungen der ersten Jahrzehnte auf die Entlohnung der Anwesenheitszeit am Arbeitsplatz konzentriert haben, zuzüglich einer Ausweitung der entlohnten notwendigen Reproduktionszeiten (Verkürzung der Wochen- und Lebensarbeitszeit, Lohnfortzahlung bei Urlaub und Krankheit). Die Entlohnung nach tatsächlich verrichteter Arbeit galt eher als besonders perfider kapitalistischer Trick. Noch in den 1970er Jahren galten Akkordlöhne als so ausbeuterisch, dass die Gewerkschaften sie möglichst in allen Arbeitsbereichen durch Zeitlöhne ersetzen wollten.


Aber gerade die Loslösung der Entlohnung von dem produzierten Gut (quantitativ und qualitativ) führte zu verstärkter Entfremdung der Arbeitenden von ihrer Arbeit. Stück- und Qualitatätsbezahlung war nur noch in einzelnen – vornehmlich nichtindustriellen – Branchen üblich oder möglich. Sie wurden zum Spezifikum der sogenannten freien Berufe und dem Dienstleistungsgewerbe. Mit der Übernahme des Effizienzmaximierungsgedankens in der öffentlichen Verwaltung wurde auch hier die Arbeit vom »Produkt« gelöst. Der früher als sanftes Druckmittel des Arbeitskampfes übliche »Dienst nach Vorschrift« wurde zum Normalfall.


Für Freiberufler gelten – wie für Künstler – die Qualifikationen Wissen, Erfahrung, Liebe zum Produkt, für Angestellte klingen solche Anforderungen unrealistisch oder naiv – lächerlich.


Angestellte, die sich über das notwendige Maß hinaus für die Belange ihres Arbeitgebers oder Dienstherren oder das hergestellte Produkt engagieren, sind im besten Fall dumm, im schlimmsten Unterstützer des Klassenfeindes. Dabei könnte erhöhtes Engagement nicht nur das Produkt verbessern, sondern insgesamt die Gesellschaft menschlicher machen. Dies gilt nicht nur für die öffentliche Verwaltung oder den Dienstleistungssektor. So maximiert zum Beispiel ressourcenschonendes Arbeiten eben nicht nur den Gewinn des Unternehmens, sondern schont auch Ressourcen. Über die Gewinnmaximierungsabsichten des kapitalistischen Systems hinaus, ist dies aber nur durch die Selbständigkeit und Selbstverantwortung der Arbeitenden möglich. Hierfür scheint eine persönliche (emotionale) Bindung an das Unternehmen, das Produkt oder die Arbeit selbst unentbehrlich. Für Selbständige jeder Art klingt das selbstverständlich, für sogenannte abhängig Beschäftigte, klingt es nach einem Trick, die Selbstausbeutung als kapitalistische Ausbeutungsoptimierung zu instrumentalisieren.