Das ist nicht der Weg heim


Wir hatten das fünfte Sixpack angefangen. Eigentlich ist Bier gar nicht mein Ding, aber die trockene Hitze des Outback ist scheinbar Bier-Wetter. Bork hatte seine Brieftasche irgendwann heute Nacht an einer Tankstelle verloren und meine war schon vor Wochen in einer Bar in Sydney verschwunden. Die 100$, die ich als Notgeld immer irgendwo sicher verwahrte, hatten wir gestern an der Ostküste für ein üppiges Abendessen mit Hummer und viel Wein verprasst, direkt nach dem Essen hatte Bork vorgeschlagen, sofort durchs Landesinnere nach Adelaide aufzubrechen, wo Freunde von mir wohnen und ich auf ein kleines Darlehen und kostenlose Unterkunft hoffe. Wir glaubten, nachts weniger von der trockenen Hitze und den Fliegen geärgert zu werden und der dichtbefahrene Sturt Highway versprach auch nachts ein einigermaßen sicheres und zügiges Vorankommen. Aber dann verbrauchte der alte Ford auf der hügeligen Strecke durch das Outback mehr Sprit als wir gedacht hatten und die Erfahrung der letzten Wochen hätte vermuten lassen. An einer kleinen Tankstelle zwischen Narandera und Hay hatten wir im freundlichen Licht des frühen Morgens noch einmal fast vollgetankt, von unserem letzten Geld Sandwiches, Wasser und Zigaretten und ein paar Bier für Bork gekauft – schon ein paar Stunden zuvor hatten wir für den bevorstehenden Wechsel in die Bundesstaaten Victoria und Südaustralien unser verbliebenes Obst – einige Äpfel und zwei Orangen – in einen bereitstehenden großen, stinkenden Müllcontainer werfen müssen, um die Weinbaugebiete des südlichen Australiens vor den gefürchteten Fruchtfliegen und anderen Insekten oder Pilzsporen zu schützen. Jetzt sitzen wir auf einem Hügel in der brütenden Sonne des späten Vormittags neben dem Wagen mit seinem leergefahrenen Tank im schmalen Schatten eines Hinweisschildes, das die Entfernung zum nächsten Ort (Renmark 61 km) und nach Adelaide (291 km) angibt und warten auf wundersame Rettung oder eine gute Idee. Das Schild ist kaum lesbar, weil irgendein gelangweilter Hinterlandtrottel es als Zielscheibe für seine Schrotflinte benutzt hatte. Recht genau in der Mitte ist die grüne Grundfarbe des Schilds in vielen kleinen Punkten abgeplatzt und lässt das schimmernde Silber des Aluminiums erkennen

Nach langen Minuten drückenden Schweigens, erfüllt von unausgesprochenen gegenseitigen Schuldzuweisungen, hören wir ein Motorengeräusch. Gleichzeitig springen wir auf. Ich laufe auf die Straßenseite des Wagens, Bork bleibt links neben dem Ford stehen, bis zum Gürtel im Schatten, seine Zigarette zwischen den Fingern. Aus Richtung Osten sehen wir einen alten Pick-up sich den Hügel hinaufquälen.


Ob es an der natürlichen Hilfsbereitschaft der Bewohner des australischen Outbacks oder an meinem kurzen blauen Sommerkleid liegt, weiß ich nicht – obwohl mir klar ist, dass Sommerkleider, lange, schlanke Beine und Cowboystiefel eine gute Anhaltehilfe für solche Situationen sind –, jedenfalls hält der Pick-up einige Meter hinter unserem Wagen an. Ein zerknittertes braungebranntes Gesicht wendet sich durch das offene Seitenfenster an Bork. Der etwa sechzigjährige Mann begrüßt Bork herzlich und fragt kopfschüttelnd, warum wir hier mitten im Nirgendwo herumständen, ob etwa der Wagen kaputt sei. Bork geht zur rechten Seite des Pick-up und spricht einige Sätze mit dem Fahrer. Aus Borks Lächeln erkenne ich, dass er bereit ist, uns zu helfen. Die Fahrertür wird von innen geöffnet, eine ausgeblichene, schmutzige Jeans und die landestypischen kurzen Lederstiefel werden herausgeschwenkt, gleichzeitig springt ein mittelgroßer Hund mit kurzem hellbraunen Fell von der Ladefläche und unterzieht die Büsche am Straßenrand einer olfaktorischen Untersuchung. Ich bin nicht sicher, ob der Mann oder der Hund mir mehr Angst machen. Der Mann kommt auf mich zu, Bork hinter ihm. Sehr dicht vor mir bleibt er stehen, streckt seine Hand aus und sagt: »G’day lucky one, my name is Shane. And I’m here to save your ass.« Er blinzelt auf meine Cowboystiefel und seine Augen folgen von dort meinen Beinen aufwärts. »Well, and it’s dam’n worth it.« Der Schöne-Frau-Bonus. Ich versuche ein unschuldiges Lächeln und suche Borks Blick, der aber ebenfalls fest auf meine untere Hälfte geheftet ist. Plötzlich fasst der Mann mich an der Schulter und zieht mich an ihn heran. Wir stehen nun zwischen den beiden Wagen an der Kante des Asphalts, im selben Moment stößt eine heftige Druckwelle in meinen Rücken und ich höre das Donnern eines großen LKW einige Zentimeter hinter mir. Shanes Hand hält mich zwischen den Schulterblättern, obwohl er bemüht scheint, einen gewissen Sicheheitsabstand zwischen uns einzuhalten, spüre ich das schmutzstarre Hemd Shanes durch das Kleid über meine Brustwarzen knistern.


Bork wendet sich unserem Wagen zu und sucht irgendetwas auf oder neben den Sitzen. Irgendwo findet er noch eine weitere Flasche Bier, er kommt lächelnd auf Shane und mich zu und sagt: »It’s only one left but we could share it.« Shane beginnt zu lachen, »you guys are alright«, nimmt Bork die Flasche aus der Hand und öffnet sie mit einem irgendeinem mysteriösen Instrument an seinem Gürtel. Gleichzeitig dreht er sich nach dem Hund um und sagt: »That’s Lucky.« Der Hund kommt auf uns zu und beginnt meine Beine zu beschnüffeln. Shane nimmt einen ausgiebigen Schluck aus der Flasche und reicht sie, nach einem fragenden Blick zu mir, an Bork zurück. Ich mag Hunde eigentlich überhaupt nicht, aber dieser hier ist tatsächlich ein freundliches Exemplar, das ich vielleicht einmal lieb gewinnen werde. Meine Angst vor Hunden hatte mich immer genervt, diese Angst passte so gar nicht zu meiner Idee von Coolness, die ich ansonsten ganz ordentlich verkörperte. Bork hatte mir beigebracht, Hunden immer die Hände hinzuhalten, um ihnen meine Sicherheit zu zeigen und ihnen eine Kontaktaufnahme zu ermöglichen. Lucky richtet Blick und Nase auf meine Hände und beschnüffelt auch sie. Damit ist der Fall Marja für ihn offenbar erledigt, er wendet sich unserem Wagen zu, pinkelt an das linke Hinterrad und hat auch diese Neuigkeit in seinen Besitz genommen. 

Shane erklärt uns, dass er uns wirklich sehr gerne umfassend aus unserer unglücklichen Lage heraushelfen wolle, aber mangels Zeit und Geld nicht viel mehr tun könne, als uns zur nächsten Raststätte mitzunehmen oder uns zusammen mit dem Wagen bis dahin abzuschleppen. Bork wirkt begeistert und sagt, das sei großartig und mehr als wir erwartet hätten. Shane blinzelt wieder auf meine Cowoboystiefel und Beine und nuschelt, das sei nun wirklich das Mindeste, was er tun müsse.


Er klettert auf die Ladefläche seines Pick-up und kramt in einer großen Blechkiste herum, dann fliegt ein dickes Hanfseil in den staubigen Schotter neben der Straße, Bork nimmt das Seil und befestigt ein Ende an der vorderen Abschleppöse unseres Ford. Shane setzt sich wieder hinter das Lenkrad und stellt den Pick-up einige Meter vor unserem Wagen ab. Bork deutet fragend auf die Anhängekupplung und Shane nickt mit seinen großen braunen Augen Zustimmung und verfolgt aufmerksam Borks Hände während er das Seil mit einem kompliziert aussehenden Knoten an der Anhängekupplung befestigt. »That’s a bowline hitch, ain’t it. Do you sail?« Bork erzählt wie immer, wenn es um Knoten geht, er hätte den »single anchor stitch« beim deutschen Zivilschutz gelernt und, dass das das einzig sinnvolle sei, was er dort gelernt habe. Shane ist beeindruckt, zieht dennoch kräftig an dem Seil, um die Festigkeit des Knotens zu prüfen. Mit einem zischenden Geräusch und einer Armbewegung bringt er Lucky dazu, wieder auf die Ladefläche zu springen, setzt sich selbst hinter das Lenkrad, startet den Motor und fährt sehr langsam an. Das Seil spannt sich und nach einem leichten Ruck fährt auch unser Ford wieder. Mit uns als Last am Haken macht der alte Pick-up auf der hügeligen Landstraße kaum mehr als 50 km/h. Ich bin beunruhigt wegen des sehr geringen Abstands zu Shanes Pick-up, besonders, wenn sich beim Bergabfahren unsere Geschwindigkeit auf 50 und knapp darüber erhöht. Bork sieht gelassen, aber doch hoch konzentriert auf den vor uns fahrenden Pick-up und versucht, wenn sich die Gelegenheit ergibt, rechts an Shanes Wagen vorbei auf die kommende Straßenführung zu blicken. Einmal werden wir zügig von einem großen gelb-roten Tanklastzug mit zwei Anhängern überholt, der sein Vorhaben zuvor durch mehrfaches Hupen angekündigt hatte. Als der Tanker hupt, duckt sich Lucky, hinter die Bordwand der Ladefläche. Als der nachlassende Winddruck anzeigt, dass der LKW vorbei ist, setzt Lucky sich wieder wie zuvor an die Heckklappe und beobachtet aufmerksam die merkwürdigen neuen Freunde seines Besitzers. Bork sieht auf die Uhr und legt seine Hand auf meinen Oberschenkel, seine Finger spielen mit dem Saum meines Kleides und versuchen, ihn unauffällig nach oben zu verschieben. Nicht in jedem Fall hat die Anziehungskraft der Schönheit angenehme Folgen. Ich denke, »nicht jetzt, nicht hier«, lege meine Hand auf seine und schiebe sie Richtung Knie zurück. Bork atmet enttäuscht aus und zündet sich eine neue Zigarette an. Bevor sie aufgeraucht ist, biegen wir in einer langgezogenen Linkskurve in einen kleinen Ort ein. Zwei Reihen niedriger Häuser, wie Wäschestücke an der Leine der Landstraße aufgereiht. Erst Auto- und Schrotthändler, dann Eisenwarenläden, schließlich Bars, Cafés und ein Hotel und an einem kleinen Platz links eine schlanke Kirche aus weißem Stein, auf dem Platz das ebenfalls weiße unvermeidliche ANZAC-Memorial. Kurz vor einer großen Stahlbrücke flammen einmal die Bremsleuchten an Shanes Wagen auf, er blinkt nach links und Bork bremst sachte, um beide Fahrzeuge zum Stehen zu bringen, ohne das Seil durchhängen zu lassen. Als wir stehen, springt Shane aus der Fahrerkabine und läuft ein paar Meter voraus zu einem der Läden. Nach ein paar Minuten kommt er mit einem etwa gleichaltrigen, aber dickeren, kleineren Mann in weißen Shorts und fleckigem Poloshirt und einer Dose Bier aus dem Laden zurück auf die Straße. Beide gehen auf unseren Wagen zu. Shane will wohl seinen Fang vorführen. Durch das Fenster reicht er Bork und mir je eine sehr kalte Bierdose. Er dreht sich um, geht zurück zum Pick-up und lacht mit dem Dicken in Weiß. Wir überqueren einen breiten ruhigen Fluss.

Kurz darauf beginnen die Außenbezirke von Renmark. Zunächst eine weitere Landstraßenwäscheleine, im Ortskern eine große Kreuzung mit der ersten Ampel seit vielen Stunden. Danach eine Schnurgerade Straße, die am lokalen Flughafen, dem Country Club und den Einfahrten einiger großer Ranches oder Weingüter vorbeiführt. Schließlich gabelt sich der Highway, die Schilder zeigen, dass man Richtung Adelaide rechts abbiegen muss, Shane schleppt uns weiter geradeaus, wir kommen nach kurzer Zeit in ein verwahrlostes Gewerbegebiet, dort blinkt Shane nach links und Bork stoppt die beiden Wagen direkt vor dem Eingang einer Bar. Rechts voraus sind die Zapfsäulen und Dieselpfützen der Tankstelle zu sehen, hinter den wenigen Gebäuden dehnen sich scheinbar endlos die struppigen Hügel Südaustraliens aus. Wir stehen zu dritt zwischen unseren Wagen, Lucky freut sich offenbar, uns wieder nahe sein zu können, er beginnt einen spielerischen Kampf mit Bork als der auf die Knie geht, um die Knoten im Abschleppseil zu lösen. Shane fragt, ob wir Hunger hätten. Es ärgert mich, dem hilfsbereiten Mann nun auch noch sein sicherlich knappes Geld aus der Tasche zu ziehen, aber nach einem kurzen Blick zu Bork nicke ich ein deutliches und erleichtertes »Ja!«. Shane schickt Lucky wieder auf die Ladefläche, der entscheidet sich aber für einen Schattenplatz unter dem Pick-up und wir steigen die vier Stufen auf die Terrasse der Bar hinauf. Wir setzen uns an einen der rechteckigen Holztische, die Kellnerin begrüßt Shane freundlich, er sagt ein paar erklärende Worte über uns und bestellt drei Bier. Wenige Minuten nach den mit Kondenswasser beschlagenen Biergläsern bringt die Kellnerin drei Teller mit Steak, Spiegelei und Pommes frites. Nachdem Shane sein Essen hastig herunter geschlungen und ein weiteres Glas Bier zügig geleert hat, steht er auf, blinzelt noch einmal auf meine übergeschlagenen Beine und in meinen Ausschnitt und beginnt einen umständlichen Vortrag, wie groß seine Freude sei, dass er uns helfen konnte. Bork und er schütteln sich ausgiebig die Hände. Wir stehen inzwischen alle drei neben unserem Tisch. Shane sieht aus, als würde er mich gern umarmen, traue sich aber nicht. Er geht ein paar Schritte Richtung Ausgang, dreht sich um und winkt Bork zu sich. Die beiden reden kurz miteinander. Bork wendet sich mir wieder zu, lächelt und kommt zurück zum Tisch. Als Shane den Motor gestartet hat und Lucky wieder auf die Ladefläche gesprungen ist, hupt er zweimal kurz und verschwindet mit einer kleinen Staubwolke Richtung Tankstelle, auch Lucky bellt uns ein goodbye zu während er bedenklich auf dem anfahrenden Wagen schwankt. Ich sitze wieder am Tisch und winke dem ungewöhnlichen Paar hinterher. Auch Bork setzt sich wieder mir gegenüber an den Tisch. »Ich soll auf Dich aufpassen, hat Shane gesagt, und dass alles, was wir hier heute noch essen und trinken auf seine Rechnung geht.« – »Ich will das nicht, der Mann hat doch auch kein großes Geld«, sage ich und schüttele den Kopf, »was verspricht er sich davon?« – »Keine Ahnung. Vielleicht ist er einfach nett und hilfsbereit, vielleicht ein bisschen verliebt in die deutsche Frau mit den langen Beinen?« Auch Bork grinst und schüttelt den Kopf, »verständlich wär’s ja.« – »Sehr schön. Und wie geht’s jetzt weiter? Wie kommen wir nach Adelaide? Trampen? Vielleicht gibt’s ’n Bus?« – »Wir müssen den bescheuerten Wagen nach Adelaide bekommen. Trampen und Bus fällt aus, außerdem hätten wir nicht mal Geld für Fahrkarten.« – »Wir können die Scheißkarre ja einfach verkaufen, dann haben wir zumindest wieder etwas Geld.« – »Quatsch. Erstens kann der Wagen nix dafür, wenn wir kein Geld zum Tanken haben und zweitens werden wir das Ding hier sowieso nicht los. Wer soll denn hier in der Pampa zwei Touristen einen alten Ford Falcon abkaufen? Guck Dich mal um, die fahren hier Geländewagen und Pick-ups, keine Kombis und Limousinen. Außerdem brauchen wir das Ding doch noch für den Rest der Reise. Willst Du im Bus durchs Northern Territory fahren?« – »Ich hab nichts gegen Busfahren. Da kann man sich jedenfalls mal entspannen. Bin schon überall auf der Welt mit Bussen gefahren.« – »Aber ich! Ich hab was gegen Busfahren …« Bork blickt an mir vorbei auf die Tankstelle und schweigt. Plötzlich springt er auf, geht zu unserem Wagen, kramt im Handschuhfach herum und kehrt mit unserer Straßenkarte zurück. An der Eingangstür zur Bar steht die Kellnerin und Bork bestellt noch zwei Bier bei ihr. Als er wieder am Tisch sitzt, faltet er die Karte auf und starrt konzentriert auf den sichtbaren Ausschnitt Südaustraliens. »210«, sagt er und lächelt. »Gute 16 Liter brauchen wir nur.« Er starrt wieder auf die Tankstelle und kritzelt ein paar Zahlen auf den Rand der Karte. »Das sind zehn Dollar. Mit ein bisschen Sicherheitszuschlag fünfzehn oder zwanzig. Das kriegen wir hin.« Ich blicke ihn an und verdrehe fragend die Augen. »Wie denn?« – »Mal sehen: …« - Schweigen.


zwölf Stunden später sitzen wir wieder an diesem Tisch, der Koch bringt uns Toast mit Spiegelei, Speck und Bohnen in Tomatensauce. Zwei Becher mit Milchkaffee stehen vor uns. Bork gähnt, schüttelt eine Zigarette aus der Packung, steckt sie in den Mund, grinst. Er lehnt sich zurück, fingert in der Tasche seiner Jeans herum. »60$«, er schiebt die schmutzigen, zerknitterten Scheine zur Hälfte unter seinen Teller. »Ih habe 85, hatte wohl mehr Tip.« Wir lächeln uns an. Bork sieht blass und müde aus – ich wahrscheinlich auch, nehme einen Schluck aus der Kaffeetasse und spieße eine der Gurkenscheiben vom Rand meines Tellers auf, stecke sie mir in den Mund. Er beobachtet mich, als hätte er noch nie jemanden essen sehen. Bork schnippst seine Zigarette über das Geländer der Terrasse, trinkt von seinem Kaffee und beginnt zu frühstücken. Kurz danach tunken wir fast gleichzeitig unsere letzten Toastecken wischend in die Reste des ausgelaufenen Eigelbs und der Tomatensauce auf unseren Tellern. Der Koch erscheint und fragt, ob es uns geschmeckt habe und ob wir noch Hunger hätten. Ich lege meine Hände vor den Bauch, versuche, gleichzeitig zu nicken und den Kopf zu schütteln, bedanke mich und bestelle noch einen Kaffee und ein Glas Wasser. Bork sieht mir in die Augen, »Jetzt möcht’ ich gern ins Bett.« – »Mit mir oder mit Carleene?« – »Schlafen«, sagt Bork und grinst. Er hatte gestern Abend nachdem die Kellnerin ihn gefragt hatte, ob er für diese Nacht den plötzlich erkrankten Bartender ersetzen könne und auf die Arbeitsseite der Bar gewechselt war, einen heftigen Flirt mit dieser Carleene begonnen. Die beiden arbeiteten gut miteinander, Bork fand sich schnell in dem Arbeitssystem dieser australischen Outback-Bar zurecht. Er zapfte Biere, mixte Longdrinks und lachte mit den betrunkenen Männern am Tresen, fischte die Bons der Kellnerinnen aus dem Thermodrucker und stellte ihre Bestellungen auf die bereitstehenden Tabletts. Gegen Mitternacht wechselte das Publikum von älteren LKW-Fahrern und Touristenfamilien zur Jugend von Renmark, eine Band baute ihr Equipment auf der kleinen Bühne auf und begann einen lauten langsamen Country-Rock-Gig. Carleene saß für eine kurze Zigarettenpause neben mir am Tresen, sie blickte an die Decke und schüttelte den Kopf, »they were supposed to start at ten«. Sie erzählte von ihrer Tochter, die sie morgen früh in die Schule fahren musste und dass sie gehofft hatte, um zwei hier raus zu kommen. »I work as a waitress in a club in Berlin. If you like I could take your shift when you gotta go«, sagte ich und lächelte. Sie blickte durch den Vorhang ihrer aufgelösten blonden Haare auf meine Beine, Arme und in mein Gesicht. »It’s hard stuff to work in an outback-bar.« – »I’m not scared of bars, men, or drinks, I like new challenges.« Ich konnte mir nicht vorstellen, dass das hier schlimmer als das Nachtleben in Berlin sein konnte. Um zwei übernahm ich Carleenes Schicht. Um 7 wurden wir von der Tagesschicht abgelöst.


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