Mittelmeerumrundung, Teil 2 - Maghreb (März-April 1988)

Vorwort     

Den Sommer nach der Rückkehr aus dem Nahen Osten (s. 1987-Levante) habe ich mit Ande in Südfrankreich und Katalonien verbracht, schließlich hatte ich noch allerhand Zeit und trotz der teuren Rückfahrt per Fähre auch noch einiges Geld übrig. Ab Spätsommer war dann wieder Geldverdienen und Motorradoptimierung an der Reihe, denn schon während der Rückfahrt war klar, dass ich im kommenden Frühjahr den fehlenden Schlag der Reise im westlichen Nordafrika nachholen wollte – im arabischsprachigen Raum: ›da, wo die Sonne untergeht‹ = ›Maghreb›, das ›gh‹ ist ein norddeutsches Rachen-›R‹, das ›r‹ ein süddeutsches Zungen-›R‹ -. Im Herbst konnte ich dann meinen alten Kumpel Chrischi überreden, sein Sommersemester an der juristischen Fakultät der Uni Mainz leicht verspätet Ende April zu beginnen, so dass wir zusammen im März und April in die algerische Sahara reisen konnten. Über den Winter habe ich die Federung der BMW weiter optimiert, nebenbei wurde auch die Farbgebung von  so-bunt-wie-möglich auf BMW-weiß-blau umgestellt, vor allem aber der Motor grundlegend umgebaut. Die BMW hatte nun ca. 860 ccm Hubraum, ca. 50 PS und ein erschreckendes Drehmoment, außerdem konnte wegen der geringeren Verdichtung praktisch jede Art von Benzin getankt werden. Die Räder und Reifen und den Gepäck- und Vorratstransport habe ich so belassen, wie es sich 1987 im Nahen Osten bewährt hatte.


Um dem ursprünglichen Plan einer Rundreise nahe zu bleiben, hatte ich zusammen mit Chrischi eine Tour entworfen, die uns in einer großen Schleife über Italien und Tunesien an der Ostgrenze Algeriens in den Süden brachte. Und von dort durch den Westen Algeriens über Marokko und Spanien wieder nach Hause. Die algerische Mittelmeerküste und die großen Städte dort haben wir dabei komplett ausgeblendet.


Leider ist die Archiv-Lage für diese Reise noch schlechter als für die erste, da ich keinerlei Aufzeichnungen über die eigentliche Fahrt mehr habe. Einzige Orientierung bieten die Ein- und Ausreisestempel in meinem damaligen Pass und die in der Michelin-Karte von 1986 eingezeichnete Route – und meine Erinnerung. Und selbstverständlich die Erinnerungen Chrischis, der einige Details beisteuerte, die ich damals nicht bemerkt oder inzwischen vergessen hatte. Noch viel mehr als für die Reise von 1987 gilt also: »Alles, was ich hier schreibe, beruht auf Erinnerungen, die in fast 35 Jahren zu einer Art Wirklichkeit geworden sind. Hier also jetzt die wahre Geschichte«:


Schnee und Polizei                            nach oben


Tag -2, Montag

Ich schlurfe mit dem Telefon in der Hand verschlafen in Andes Küche und gucke in den Hof, wo die BMW seit gestern Abend reisefertig steht. Der ganze Hof und das Motorrad sind mit zehn Zentimeter Neuschnee bedeckt. Chrischi sagt am Telefon, dass er jetzt gerade aus der MHH, dem Uiversitätskrankenhaus Hannovers, nach Hause gekommen ist. Er hatte sich vorgestern einen kleinen Metallsplitter ins Auge geflext, der seit gestern so heftige Schmerzen verursacht hatte, dass er heute morgen ins Krankenhaus gefahren ist. Der Arzt hat den Splitter entfernt, ihm Salben und Augentropfen und einen Tag Ruhe verordnet. Bei Neuschnee mit dem Motorrad durch ganz Deutschland zu fahren, ist wohl sowieso keine ganz überzeugende Idee, also verschieben wir die Abreise von heute auf Mittwoch.


Tag 1, Mittwoch

Mi., 2. März 1988 Hannover - Kufstein


Chrischis Auge ist besser, aber kalt ist es immer noch, zumindest inzwischen aber ohne Schnee. Um zehn Klingelt es an der Tür. Chrischi sprintet trotz der dicken Motorradklamotten dynamisch die Treppen zum ersten Stock hinauf. Er steht grinsend an der Tür. - »Kaffee?« - »Nee. Losfahren!« Wir trinken trotzdem noch einen Kaffee und rauchen eine Zigarette. Ich verabschiede mich von Ande und um kurz vor elf sind wir unterwegs durch Hannover zur Autobahn nach Süden. Auf der A7 kurz vor Kassel fängt es dann doch wieder an zu schneien. Wir fahren auf den Rasthof (der traditionell die erste ›erlaubte‹ Pausenmöglichkeit auf dem Weg von Hannover nach Süden ist), wärmen uns etwas auf und trinken einen Kaffee. Nach einer halben Stunde geht’s weiter. Wir kicken die Motorräder an, aber schon nach hundert Metern auf dem großen Parkplatz winkt uns eine Polizeikelle nach rechts neben die LKW, die dort schon stehen und untersucht werden. Eigentlich ist das eine Kontrolle von Zoll und Bundesamt für Güterkraftverkehr, die die Lenk- und Pausenzeiten der LKW-Fahrer und die Verkehrssicherheit ihrer LKW kontrollieren, aber der Polizist an der Kelle ist selbst Motorradfahrer und neugierig, wer hier bei Schnee und Eis auf zwei wild aussehenden Motorrädern unterwegs Richtung Süden ist. Nachdem wir gestoppt haben, hat er auf den ersten Blick die meisten der illegalen Umbauten an der BMW bemerkt, für Chrischis Suzuki benötigt er etwas mehr Zeit, aber der Tank ist so unförmig und groß, dass er unzweifelhaft selbst gebaut sein muss. Er stellt eine schnelle Liste für die BMW auf:


  • Falsche Reifengröße vorne, nicht eingetragen,
  • Eigenbau-Tank, nicht abgenommen und eingetragen,
  • Zubehör-Auspuff, nicht eingetragen,
  • Zweifelhaftes Gepäcksystem mit scharfen Kanten, nicht eingetragen.


Bei Chrischis DR wird vor allem der Eigenbau-Tank zum Problem. Außerdem vermutet der Polizist, dass beide Motorräder überladen sind, in Ermangelung einer geeigneten Waage vor Ort, droht er an, das beim TÜV in Kassel überprüfen zu lassen.


Wir versuchen, ihm zu erklären, dass wir ja sowieso Deutschland auf dem schnellsten Weg verlassen wollen und am Wochenende schon in Afrika sind. Er versucht großzügig zu wirken und schlägt vor, dass wir einen Autoreisezug nach Österreich oder besser Italien buchen und noch bis zum Bahnhof von Kassel fahren dürfen und er erstmal nichts weiter unternimmt, aber alle Kollegen zwischen hier und Österreich informieren wird, und uns, falls wir doch weiterfahren, ›die Härte des Gesetzes treffen‹ wird. Wir stimmen zunächst zu, fahren nicht zurück auf die Autobahn, sondern nehmen die Ausfahrt nach Kassel. Auf der Landstraße biegen wir dann aber nicht nach rechts Richtung Stadt, sondern nach links zum Rasthof in nördlicher Richtung ab. Dort halten wir wieder, trinken noch einen Kaffee und diskutieren die Lage.


Wir trauen dem Polizisten zu, dass er die Kollegen bis nach Bayern informiert, nach zwei merkwürdigen Motorrädern Ausschau zu halten. Im schlimmsten Fall droht, neben der sowieso schon fälligen Ordnungswidrigkeitsanzeige wegen nicht genehmigten Umbauten und damit Erlöschen der Betriebserlaubnis, dass die nächste Polizeikontrolle die Motorräder sofort stilllegt und die Zulassungsplaketten direkt vor Ort abkratzt.


Den empfohlenen Autoreisezug nach Österreich wollen wir eigentlich nicht nehmen. Erstens sprengt das unsere ohnehin knappe Reisekasse. Zweites bekommen wir einen Platz im Autoreisezug vermutlich erst am Wochenende, unsere Fähre verlässt Genua aber schon am Samstagabend. Wir gehen die Optionen durch. Ich überlege kurz, ob ich mal wieder meine Eltern anrufe und mich von meinem Vater retten lassen soll. Die Möglichkeit, die Motorräder per Anhänger oder Transporter aus Deutschland herauszubringen, bringt Chrischi auf eine Idee: sein Nachbar und Freund in Wiesbaden hat gute Kontakte zum ASTA der Uni Mainz und hat sich dort schon mehrmals einen Mercedes-Transporter ausgeliehen. Chrischi sucht eine Telefonzelle und ruft bei Jo an. »Jo kann uns abholen und nach Kufstein bringen, aber er muss bis Freitagabend wieder in Wiesbaden sein.« - »Das wird knapp, geht aber.« - »Er versucht jetzt den Transporter zu kriegen und kommt dann schnellstmöglich her.«


Wir gehen erstmal wieder in die Raststätte und bestellen das übliche Schweinegulasch mit Nudeln. Wenn mit dem Transporter alles klappt, sollte Jo am frühen Abend hier sein. Wir besprechen die absurde Situation der Polizeikontrolle und träumen von unserem Ausritt in die Sahara.


Als wir nach zwei Stunden immer noch ohne weitere Bestellungen in der Raststätte sitzen, beäugt uns die Kellnerin misstrauisch. Sie kommt zum Tisch. »Ist bei euch alles ok?« - »Wir warten auf’n Freund, der uns hier abholt.« - »OK. Na dann, viel Glück.«

Als es dunkel wird und Jo immer noch nicht da ist, werde ich unruhig. Um sieben sehen wir dann vor der Raststätte den roten Transporter mit dem Logo der Universität Mainz. Wir lassen unsere Sachen auf der Bank liegen und laufen vor die Tür.

Jo muss den Transporter morgen Nachmittag wieder beim ASTA abgeben, also beeilen wir uns. Jo fährt den Transporter rückwärts an ein Blumenbeet, das wir als Auffahrrampe benutzen wollen. Nach einer halben Stunde sind die beiden Motorräder auf der Ladefläche festgezurrt und unsere Klamotten liegen d‘rumherum.


Sonne und See                                 nach oben


Tag 2, Donnerstag

Do., 3. März 1988 Kufstein - Malcesine


Ich wache am Irschenberg auf, es schneit wieder ein bisschen. Einen guten Teil der Strecke ist Chrischi gefahren, weil Jo ja gleich wieder zurück nach Mainz muss. Ich habe ein paar Stunden geschlafen. Als wir die Grenze passieren, ist es schon fast hell. Die Motorräder sind vorläufig in Sicherheit. Auf einem Rastplatz hinter der Grenze rangiert Chrischi den Transporter wieder rückwärts an eine Verkehrsinsel, die wir zum Abladen benutzen. Kurz danach ist Jo wieder unterwegs nach Nordwesten und wir nach Süden. Die Straßen sind frei und trocken, aber die Wiesen und Hänge rechts und links sind weiß vom Schnee. Mittags sind wir am Brenner. Als wir den Tunnel auf der Südseite verlassen, ist es plötzlich Frühling. Bei angemehmer Temperatur und Sonnenschein fahren wir auf der Autobahn nach Süden. In Rovereto fahren wir ab und nehmen die Landstraße nach Riva am Gardasee. Kurz vor der Stadt biegen wir nach links auf die östliche Küstenstraße ab. In Malcesine ist ein Hotel trotz der frühen Jahreszeit schon geöffnet. Wir stellen die Motorräder auf dem großen Parkplatz neben dem Hotel ab und buchen ein Doppelzimmer. Wir bringen die Klamotten für zwei Nächte in unser Zimmer und setzen uns in das leere Restaurant. Wir scheinen die einzgen Gäste zu sein. Nach einem sehr guten italienisch Abendessen mit ein bisschen lokalem Wein gehen wir müde ins Bett.


Tag 3, Freitag


Heute gönnen wir uns einen Tag Pause, den wir nach dem Ritt von gestern auch verdient haben und uns zeitlich auch leisten können, unsere Fähre verlässt Genua Samstagabend. Nach Genua sind es von hier aus nur noch gut 300 km, die meisten davon Autobahn. Nach einem schnellen Frühstück im Restaurant, gehen wir zu den Motorrädern auf den Parkplatz. Chrischi blickt sehnsüchtig auf die kurvige Küstenstraße auf der anderen Seite des schmalen Sees. Er wird eine kleine Ausfahrt auf die andere Seeseite unternehmen, ich will mich lieber ein bisschen um die BMW kümmern. Als Chrischi am frühen Nachmittag zurückkommt, bin ich mit der Wartungsrunde schon fertig. Chrischis Auge tränt ein bisschen - und der große gelbe Tank der DR ebenfalls. An den vorderen, unteren Ecken klebt Staub am benzinfeuchten Metall. Chrischi reinigt alles und versucht, die Undichtigkeit mit einer Lage GFK abzudichten. Ich habe nicht viel Hoffnung, dass das GFK mit ständig nachdrückendem Benzin wirklich aushärtet und dichtet, aber Chrischis Optimismus ist unbeirrbar. »Das hält schon, und sonst kommt noch ‘ne Lage d’rüber.« Abends essen wir wieder im Hotelrestaurant und trinken etwas mehr Wein als gestern. Die Abfahrt nach Genua haben wir auf ›gegen Mittag‹ festgelegt.


Tag 4, Samstag

Sa., 5. März 1988 Malcesine - Genua


Um eins sind wir dann tatsächlich auf der Autobahn Richtung Mailand, vor Mailand zweigt unser Weg nach Genua Richtung Süden ab. Es ist glänzendes Motorradwetter, kaum zu glauben, dass wir vor zwei Tagen noch frierend durch norddeutsches Schneetreiben gefahren sind. Am späten Nachmittag sind wir in der Innenstadt von Genua unterwegs zum Hafen. 


Das Bording verläuft schnell und unkompliziert. Schon auf dem Fahrzeugdeck kommt Abenteuerstimmung auf. Fast alle Fahrzeuge hier sind entweder Reiseenduros oder Geländewagen.


Für die nur gut zwanzigstündige Überfahrt nach Tunis haben wir eine Deckspassage gebucht, d.h. wir haben keine Kabine, sondern verbringen die Nacht im durchgehend geöffneten Café auf dem Oberdeck oder draußen auf dem Aussichtsdeck. Schnell hat sich eine ein Dutzend Personen starke Motorrad-Gruppe an den Klamotten erkannt und sitzt plaudernd zusammen. Nach Mitternacht ziehen steuerbord die Lichter von Sardinien vorbei und es wird draußen zu kalt. Wir ziehen in das Café um. Ganz natürlich haben sich innerhalb der Motorrad-Gruppe ein paar kleinere Gruppen geildet. Wir sitzen mit Steffie und Reto,einem Paar auf einer BMW aus der Schweiz und zwei Jungs aus der Eifel zusammen. Trotz einer beachtlichen Anzahl von Espressos sind schließlich alle auf ihren Bänken eingeschlafen.


Meer und Regen                                nach oben


Tag 5, Sonntag

So., 6. März 1988 Genua - Tunis


Nach einem italienischen Frühstück und kleinem Mittagessen kommt die afrikanische Küste in Sicht. Langsam nimmt die Küstenlinie Gestalt an und schließlich ist eine große Stadt an ihrer Dunstglocke erkennbar. Am späten Nachmittag fahren wir in den Hafen von Tunis ein. Auf dem Schiff bricht eine gewisse Unruhe aus, weil niemand die Fähre zuletzt verlassen will. Die Türen zum Fahrzeugdeck werden aber erst geöffnet, als die Fähre fest vertäut ist. Ein tiefes Rumoren und Vibrieren läuft durch das Schiff als das Ladebord geöffnet wird während wir die enge Treppe zu unseren Fahrzeugen heruntersteigen.


Die Fähre hat nur ein Ladebord, so dass die letzten nun die ersten sind. Es gibt ein paar lustige Szenen, weil einige der selbsternannten Ralleyprofis schon vom Rückwärtsfahren auf festem Untergrund überfordert sind, und ihren teuren Geländewagen die ersten Abenteuernarben an den Stahlträgern des Fahrzeugdecks verpassen. Natürlich ist das nicht ihre Schuld, sondern diejenige der italienischen Ladearbeiter, die rufend und winkend versuchen, das Schlimmste zu verhindern.


Die Motorräder stehen alle backbord und dürfen erst hinausfahren, als die Backbordseite schon fast leer ist. Wir wenden unsere schweren Motorräder. Chrischi ist wie zu erwarten der erste, der schwungvoll die Laderampe herunterprescht. Aber es ist keine Eile geboten, denn schon nach 100 Metern endet die Fahrt an der Warteschlange vor der tunesischen Grenzpolizei. Es gibt eine separate Spur für Motorräder. Als wir alle unter dem Blechdach stehen, das eigentlich Schatten spenden soll, geht ein Gewitter über Tunis nieder. Wieder einmal empfängt Afrika mich mit Regen.

Die Einreiseprozedur dauert etwa zwei Stunden und außer etwas Verwirrung um Chrischis langen Nachnamen aus mehreren Wörtern verläuft alles unproblematisch.


Wir warten unter einem antik aussehenden Torbogen am Ende des Hafens auf unsere vier Mitreisenden von gestern Abend. Wir wollen zusammen versuchen, eine Übernachtungsgelegenheit zu finden. Es nieselt noch leicht und ist schon fast dunkel. Schon gestern Abend habe ich mantrahaft wiederholt, ›außerhalb Europas nie im Dunkeln fahren!‹ und von meinem Horrortrip von Assuan nach Gizeh im letzten Sommer erzählt. Trotzdem müssen wir jetzt erstmal aus dem Hafenviertel ‘raus. Einer der Jungs aus der Eifel weiß vage von einem guten Hotel südlich von Tunis. Die Suche endet aber in einem verlassenen Gewerbegebiet bei stärker werdendem Regen. Wir stoppen und beugen uns über meine Metropolkarte der Region Tunis. Reto sagt, ›Hammam Lif‹ und zeigt auf die Küste südöstlich der Stadt. »Da gibt’s viele Touri-Hotels, da finden wir was.« Wir fahren im Regen zurück Richtung Innenstadt und biegen nach ein paar Kilometern Richtung Hammam Lif rechts ab. In dem Badeort am Golf von Tunis fahren wir in die Auffahrt des ersten Hotels, das wir sehen. Trotz unseres etwas wilden Aussehens ist der Rezeptionist sehr freundlich, wir buchen zwei Doppelzimmer, eins für Steffie und Reto und eins mit zwei Extra-Betten für uns anderen vier. Nachdem die Formalitäten abgeschlossen sind, erscheint eine junge Kellnerin mit einem Tablett und sechs Begrüßungsdrinks, Sekt mit irgendeinem gelben Likör. Es schmeckt scheußlich, aber die Geste zählt.


Wir gehen alle in unser Vierbett-Zimmer und erzählen uns noch bis spät in die Nacht Reise- und Motorradgeschichten.


Tag 6, Montag

Mo., 7. März 1988 – Hammam-Lif - Kairouan


Morgens verabschieden wir uns von den vier anderen. Die beiden aus der Schweiz werden wir vielleicht in Algerien wiedersehen, sie wollen auch nach Djanet.


Chrischi und ich verlassen den Großraum Tunis Richtung Südost, beim Touristenort Hammamet treffen wir wieder auf das Mittelmeer und folgen der Küstenstraße bis Sousse, wo wir ins Landesinnere nach Kairouan abbiegen. Wir kommen am späten Nachmittag in Kairouan an und finden den empfohlenen Campingplatz. Wir bauen unser Zelt auf und machen uns auf den Weg in die Stadt. Während der arabischen Eroberung Nordafrikas im siebten und achten Jahrhundert war Kairouan eine der wichtigsten Garnisonsstädte im westlichen ›Ifrīqiyā‹, nur 50 km vom bedeutenden byzantinischen Marinestützpunkt Sousse entfernt. Für mehr als dreihundert Jahre war Kairouan Sitz der mulimischen Statthalter von ›Ifrīqiyā‹, bis das Kalifat um das Jahr 1000 nach Kairo verlegt wurde. Kairouan galt über Jahrhunderte als kulturelles und wissenschaftliches Zentrum des muslimischen Westafrikas. So war die Stadt eine wichtige Etappe der Pilger von ›Al Andalus‹ auf dem Weg nach Mekka und zurück in ihre spanische Heimat. Wir halten auf einem großen gepflasterten Platz, dessen eine Seite von einer hohen gelben Sandsteinmauer begrenzt wird. Nach Einbruch der Dunkelheit werden der Platz und die Stadtmauer von Laternen und Scheinwerfern beleuchtet. Chrischi ist begeistert. Ich sage schmunzelnd, »Naja, eben alte Steine, aber ganz schön.« Wir schließen die Motorräder an einer besonders hellen und geschäftigen Ecke des Platzes ab und wandern ein bisschen durch die Medina von Kairouan, an einem Restaurant mit vielen Tischen auf der Straße halten wir für unser Abendessen. Wir essen Couscous mit Lammfleisch und Gemüse. Hinterher gibt es den gewohnten kleinen sehr heißen süßen Tee. Gegen zehn sind wir wieder bei unserem Zelt und schlafen bald.


Palmwein und Rallye Paris-Dakar                  nach oben


Tag 7, Dienstag

Di., 8. März 1988 Kairouan - Tozeur


Nach einem schnellen Kaffee sind wir früh wieder unterwegs. Wir wollen vor der Wüste noch einen kurzen Abstecher ans Meer zur ehemals sizilianischen Hafenstadt Sfax machen. Dort kommen wir mittags an und machen einen kleinen Bummel durch die mittelalterliche Altstadt. Ich esse an einem Straßenstand ein Kebab, Chrischi ist nicht hungrig, was für ihn sehr ungewöhnlich ist.


Am frühen Nachmittag sind wir wieder auf der Straße nach Westen. Hinter Gafsa werden auch die bisher üblichen struppigen Büsche rechts und links der Straße weniger, die Sahara kommt näher. Während einer Zigarettenpause sehen wir in einiger Entfernung kleine Windhosen, die den Staub und Sand der Wüste zum Mittelmeer tragen. Chrischi ist begeistert, ich sage, »Jaja, eben Sand, aber ganz schön. Und guck‘ mal, es zieht sich zu.« Ich zeige auf eine einzelne kleine Wolke am nördlichen Himmel.


Am frühen Abend kommen wir kurz vor Tozeur zu dem empfohlenen Campingplatz in einer Dattelpalmenplantage. Man kann kleine Bungalows mieten, aber wir entscheiden uns für’s Zelten. Ich esse an dem kleinen Kiosk des Campingplatzes ein Sandwich, Chrischi hat immer noch keinen Hunger. Unser Zelt steht neben einer Dattelpalme, die für morgen Vormittag etwas Schatten und ausschlafen verspricht. Tozeur liegt in der Mitte zwischen den großen westlichen Sandwüsten der Sahara und dem Salzsee Chott el Jerid, in dem Kara Ben Nemsis Wüstenabenteuer ihren Anfang nahmen – nach genau einem Jahr bin ich gewissermaßen am anderen Ende der Schluchten des Balkan angekommen.


Tag 8, Mittwoch


Ich wache kurz nach Sonnenaufgang auf. Ich bin alleine im Zelt. Chrischi kommt nach ein paar Minuten zurück. »Ich glaube, wir müssen noch ein bisschen bleiben, ich hab‘ Durchfall. Wahrscheinlich war das Couscous in Kairouan nicht gut.« - »Hätte schlimmer kommen können. Der Platz hier ist doch perfekt für eine kleine Pause. Obwohl ich glaube dass es sich zuzieht.« Ich zeige zum kleinen Ausschnitt Himmel, den wir durch den geöffneten Zelteingang sehen können, wo wieder einmal eine kleine Wolke zu sehen ist, aber Chrischi ist nicht nach Witzen zumute, er ärgert sich. Ich finde die erzwungene Unterbrechung am Rand der Sahara sehr gut. Wir können hier in aller Ruhe unsere Motorräder auf die nächsten Wochen vorbereiten und uns noch mal mit allem Komfort erholen. 


Ich krieche aus dem Zelt, klopfe meine vor dem Zelt stehenden Stiefel aus und ziehe sie an. »Was machst’n da?« - »Nur falls da nachts ‘n Skorpion ‘reingekrochen ist.« Ich lache, um Chrischi zu beruhigen, dass ich das nicht wirklich vermute. Das morgendliche Stiefelausklopfen wird trotzdem zu einem Ritual, das wir die ganze Reise beibehalten. Ich kaufe mir ein Sandwich und einen Milchkaffee am Campingplatz-Kiosk. Chrischi ernährt sich von Cola und Salzgebäck. Ich wechsele den hinteren Reifen und bin nun wieder komplett auf groben Stollen unterwegs und habe weniger Gewicht hinter mir auf dem Kofferträger. Im Laufe des Vormittags gehe ich meinen Wartungsplan durch und schaffe es sogar noch vor der Mittagshitze die Zylinderkopfschrauben etwas zu früh nach gut 5.000, statt genau 10.000 km noch mal zu lösen und festzuziehen, um die Kopf- und Fußdichtungen endgültig zu setzen und abzudichten, und danach, die Ventile einzustellen.

Mi., 9. März 1988, Tozeur, Campingplatz, Motorradwartung

Mi., 9. März 1988, Tozeur, Campingplatz, Kleidungswartung


Mittags sitze ich vor unserem Zelt und nähe Knieschützer an meine Reisejeans, die mich schon letztes Jahr fast ungetragen durch die Levante begleitet hat. Dieses Jahr werde ich nicht durchgehend in Lederhosen fahren können. Nachmittags fühlt Chrischi sich schon besser und beschließt, eine kleine Tour mit der DR durch die Umgebung zu machen. Ich schlendere währenddessen ein bisschen über den Platz und mache Photos von den historischen französischen Autos, die überall herumstehen und -fahren.

Mi., 9. März 1988, Tozeur, Campingplatz


Nach einer guten Stunde kommt Chrischi aufgeregt zurück. Auf einem kleinen Feldweg in den Hügeln vor Tozeur hat ihm ein Rudel wilde Hunde aufgelauert und und ist bellend und nach seinen Beinen schnappend neben ihm hergelaufen. Natürlich hatten die Hunde auf Dauer keine Chance gegen die 27 PS der DR, trotzdem ist Chrischi ziemlich schockiert von diesem kleinen Angriff der vierbeinigen Wildnis auf die motorisierte Zivilisation.


Am späten Nachmittag fahren wir zum ersten Mal nach Tozeur hinein. Die kleine Stadt am Rand der Sahara macht einen feundlichen Eindruck. Wir finden ein Café, das Getränke und kleine Speisen verkauft. Die Terrasse ist mit Europäern besetzt, auf der Straße stehen einige Reiseenduros und zwei Geländewagen. Ich genieße mein erstes kaltes Bier seit der Fähre. Chrischi trinkt eine Cola. Nach wenigen Minuten sind wir Teil der Motorradgeschichten austauschenden Gruppe geworden. Wir erfahren, dass Angriffe von wilden Hunden in Südtunesien nicht ungewöhnlich sind. Ein XT-Fahrer erzählt, das ihm das in der Türkei auch schon passiert sei, gefährlicher seien aber die steinewerfenden Kinder. Diese Geschichten habe ich oft gehört, aber nie selbst erlebt. Und immer für eine Übertreibung gehalten. Natürlich üben Kinder von Hirten von frühauf, ihre Tiere mit Steinen im Zaum zu halten oder anzutreiben, aber absichtliche Attacken auf Motorradreisende halte ich doch für sehr unwahrscheinlich oder schlicht für erfunden. Abends esse ich ein Couscous in dem Café, Chrischi traut seinem Darm und der afrikanischen Küche noch nicht wieder und bleibt bei Cola.


Tag 9, Donnerstag


Heute nützen wir den spärlichen Schatten der Palme aus und schlafen bis zehn Uhr. Chrischi ist guter Laune und hungrig. Wir essen ein kleines Frühstück am Campingplatz-Kiosk, Chrischi trinkt sogar wieder Kaffee und raucht dazu eine Zigarette. Er ist wieder gesund! Heute ist er mit seiner Wartungsrunde an der DR dran.

Do., 10. März 1988, Tozeur, Campingplatz


Er klebt eine weitere Lage GFK auf die immer noch nässenden Ecken des Tanks und flucht über die beinahe unerreichbaren Schrauben zum Einstellen der Ventile. Außerdem bekommt die DR neues Öl und eine Reinigung des Luftfilters und der Kette spendiert. Ich drehe eine Runde um die BMW, kontrolliere die Speichen und drehe alle erreichbaren Schrauben eine Viertelumdrehung los und dann eine halbe wieder fest. Am Kofferträger sind fast alle Schrauben schon ein bisschen lose. Mittags kommen die Arbeiter der Palmenplantage bei ihrem Feierabend an unserem Lager vorbei. Ein junger Mann spricht uns auf Französisch an. Er plaudert ein bisschen mit Chrischi, hinterher sind wir für heute Abend zum Plamweintrinken in der Plantage eingeladen. Vorher fahren wir aber noch mal nach Tozeur. Heute steht eine Gruppe Ralleymotorräder vor unserem neuen Stamm-Café. Mehrere XTs und XLs und eine Cagiva Elefant, alle in offiziellem Wettbewerbskostüm, wie wir es aus dem Fernsehen von der berühmten Rallye Paris-Dakar kennen. Eine BMW ist nicht dabei, obwohl BMW den Sieg in der Motorradklasse Mitte der 1980er Jahre für sich gepachtet zu haben schien. In den letzten Jahren hatte Honda allerdings den technischen Vorsprung von BMW aufholen und die Paris-Dakar dreimal in Folge gewinnen können.


Wir setzen uns zu unseren neuen Freunden auf die Terrasse und natürlich sind die Rallyemotorräder das Topthema, jemand erzählt, eine japanische Firma drehe einen Spielfilm über die Rallye. Als ich mir gerade ein Sandwich und ein Bier zum Mittsagessen bestellt habe, kommt eine junge Frau auf die Terrasse und fragt alle, wer Interesse habe, als Komparse an einem Film mitzuwirken. Fast alle sagen zu, auch Chrischi und ich. Unser Hauptinteresse ist es natürlich, vielleicht ein paar Meter auf den Wettbewerbsmaschinen fahren zu können, die in der Ausstattung, wie sie vor uns stehen, ein paar zehntausend Mark Wert für uns also in völlig unereichbarer Ferne sind. Wir unterschreiben ein kleines Formular zum Haftungsausschluss, bekommen freie Verpflegung und ein kleines Taschengeld von 100 französischen Franc pro Drehtag zugesagt und sollen morgen um 17 Uhr pünktlich hier am Café auf die Crew warten. Nachdem alle Formulare eingesammelt sind, verlässt das Produtktionsteam mit den Motorrädern Tozeur Richtung Westen, wo auf halbem Weg zur algerischen Grenze die kleine Oase Nefta liegt.

Die Aufregung ist groß, obwohl das Treffen kurz vor Sonnenuntergang darauf schließen lässt, dass es nicht um Fahrszenen, sondern nur um das abendliche Fahrerlager gehen wird. 

Chrischi und ich fahren zurück zum Campingplatz für unser Treffen mit den Plantagenarbeitern. Der junge Mann wartet schon bei unserem Zelt auf uns, ungeduldig treibt er zur Eile. Die Arbeiter auf der Palmenplantage beginnen ihre Schicht schon kurz vor Sonnenaufgang, um möglichst viel Zeit zu haben bevor es zu warm wird. Er führt uns munter mit Chrischi plaudernd durch ein paar Bäume, über einen Hügel und in ein enges Tal hinab. Unten höre ich Wasser plätschern, sehe aber nur trockenen Sand. Nach fünfzig Metern schlägt er sich links in die dichten Büsche, unter ein paar eng stehenden Palmen warten seine Kollegen mit einem weißen Plastikkanister und ein paar Einwegbechern.


Früh im Jahr werden – natürlich ohne Wissen des Plantagenbesitzers - Plastikkanister an den Palmwedeln festgebunden und ein paar junge Triebe mit Blüten in die Kanister gesteckt, wo sich dann im Laufe des Frühjahrs die Früchte bilden. Das wenige Regenwasser und die ständige Hitze lassen die Früchte in den Kanistern gären und März/April befindet sich in den Kanister eine leicht alkoholische süße trübe Flüssigkeit. Für die Arbeiter auf den Dattelplantagen ist das ›Ernten‹ der ersten Palmweinkanister ein großer Feiertag. Heute ist die dritte entsprechend präparierte Palme des Jahres dran – und wir dürfen dabei sein. Einer der Arbeiter gießt den Palmwein durch einen Kaffefilter, um die Trübstoffe und eventuelle Insekten herauszufiltern und füllt fünf Plastikbecher mit dem nun fast klaren stark nach Datteln duftenden Getränk. Weil die Kanister ein paar Monate an den Palmen hängen,ohne weiter überwacht oder gepflegt zu werden, ist jeder neue Kanister eine Überraschung. Süße und Alkohlgehalt können stark schwanken. Nachdem wir alle den neuen Wein probiert und für gut befunden haben, erzählt einer der Arbeiter, dass sie letztes Jahr in einem Kanister eine schon seit Wochen tote Schwalbe gefunden haben. Er lacht und sagt, dass eben alle Lebewesen den Wein lieben und wer zuviel wolle, daran sterbe. Im übrigen habe der Prophet nicht den Alkohol im allgemeinen verboten, sondern nur den Wein aus Trauben. Ich habe meine Zweifel an dieser Privat-Auslegung des Koran. Aber die illegale Palmweinherstellung hat offenbar eine lange Tradition und ist für die Arbeiter jedes Jahr ein Quell der Freude.

Kurz nach Mitternacht machen wir uns ganz leicht betrunken zurück auf den Weg zum Campingplatz. Die Arbeiter gehen leise zurück zu ihren Unterkünften, neben dem Campingplatz.


Tag 10, Freitag


Vormittags frühstücken wir wieder an dem kleinen Campingplatz-Kiosk. Mittags fahren wir nach Tozeur und weiter, um die Oase Nefta zu besichtigen. Wir kommen genau richtig, um die tägliche Wässerung der Palmen und Büsche zu sehen, aus einem großen Becken läuft Wasser in schmale Kanäle und ergießt sich von dort in die Plantage. Nach wenige Minuten steht das Wasser ein paar Zentimeter hoch zwischen den Palmen und versickert dort langsam. Arbeiter kontrollieren und reparieren die Kanäle die ganze Zeit, um sicherzustellen, dass das Wasser überall ankommt, wo es hin soll, und nicht unterwegs verlorengeht.


Auf dem Rückweg sehen wir auf einem Platz in Tozeur eine BMW mit deutschem Nummernschild stehen, die von ihrem Besitzer bereits halb zerlegt ist. Wir halten und fragen, ob er Hilfe benötige. Er flucht und sagt, dass die Kupplung irgendwie kaputt sei und er das Getriebe nicht herausbekomme. Es handelt sich um eine frühe R 80 ST von Beginn der 1980er Jahre.


Er hat keinen ungekröpften 12-Kant 10mm-Ringschlüssel dabei. Ich sage ihm, er solle schon mal die Gummimanschette zwischen Getriebe und Kardanwelle lösen und suche den Schlüssel in meinem Tankrucksack. Mit dem passenden Werkzeug ist die Kardanwelle schnell vom Getriebeausgang gelöst. Als wir das Getriebe herausgehoben haben, ist der Schaden schon offensichtlich: Die Getriebeeingangswelle, die eigentlich fein verzahnt sein sollte, ist komplett blank. Auch von der Verzahnung in der Kupplung ist nicht mehr viel übrig. Die Getriebewelle hier selbst zu tauschen, ist möglich, aber ohne eine gut ausgestatte und saubere Werkstatt schwierig. Ich frage ihn, ob er einen Schutzbrief hat und empfehle einen Totalschaden und Rücktransport zu melden.


Dass nach nur 5 oder 6 Jahren, ein so essentieller Schaden an einer BMW auftritt, kann ich mir eigentlich nur durch einen gravierenden Wartungsfehler erklären. Vielleicht sind Kupplung und Getriebe nach dem letzten Ausbau nicht richtig zentriert wieder eingebaut worden. Chrischi tippt eher auf einen Materialfehler.


Wir nehmen den BMW-Fahrer in unser Stamm-Café mit und spendieren ihm ein Trost-Bier.


Ab 16 Uhr treffen langsam die anderen Statisten von unserem Paris-Dakar-Film ein. Um fünf ist die Terrasse voll und laut vom Geplappere der vielen Motorradreisenden.


Um sechs erscheint dann auch die Produktionsassistentin, die uns gestern für fünf Uhr hierher bestellt hat. Um halb sieben kommen auch die Kleinbusse, die uns zum Drehort bringen sollen. Wir fahren nach Nefta, inzwischen ist völlig dunkel. Auf der Rückseite der Oase ist bei ein paar Palmen ein Lager mit großen Zelten, LKW und vielen Geländewagen und Rallye-Motorrädern aufgebaut. Alle richtigen Schauspieler sind Japaner. Ebenso der überwiegende Teil der technischen Crew.


Es wird die nächtliche Ankunft einer Honda gefilmt. Da der Schauspieler das Motorrad nicht fahren kann und auf dem Motorrad von einem Double ersetzt werden muss, sind viele Wiederholungen nötig bis die Anschlüsse vernünftig passen. Gegen zehn werden die Statisten unruhig, weil immer noch niemand zum Einsatz gekommen ist. Es kommt immer wieder zu Diskussionen mit der Produktionsleitung. Schließlich setzt eine Gruppe von Statisten ein Ultimatum, dass sie um Mitternacht gehen werden, wenn sie bis dahin nicht zum Einsatz gekommen sind. Kurz vor Mitternacht verteilt das Produktionsteam Sandwiches, Kaffee und Tee. Das kann die schlechte Stimmung aber nicht mehr retten. Schließlich sieht es mehrmals so aus, als würde jetzt eine größere Gruppe an einem Lagerfeuer benötigt. Die Dreharbeiten und Vorbereitungen ziehen sich aber weiter in die Länge. Um zwei Uhr nachts sagt die Produktionsassistentin uns, dass wir heute nicht mehr drankommen werden, aber morgen gerne wieder her kommen können. Die versprochenen 100 FF würde es dann nach dem morgigen Ensatz geben. Es geht ein allgemeines Raunen durch die Statistenschar. Als die Produktion beschließt, dass sie uns nicht alle gleichzeitig zurück nach Tozeur fahren, sondern nur einen Kleinbuss im Pendeldienst zur Vefügung stellen können, kommt es beinhae zu einer Schlägerei zwischen einem Statisten und einem der tunesischen Kleinbus-Fahrer.


Chrischi und ich landen in der zweiten von vier Gruppen, die zurück gebracht werden. Vom Café aus fahren wir direkt zurück zum Campingplatz.



Sand und Steine                               nach oben


Tag 11, Samstag

Sa., 12. März 1988 Tozeur – Camp vor El Qued


Troz der langen untätigen Nacht am Filmset sind wir relativ früh am Vormittag mit Aufpacken fertig, bezahlen unsere Rechnung am Campingplatz und machen auf dem Weg nach Algerien noch einen kurzen Stopp in unserem Stamm-Cafe in Tozeur. Der BMW-Fahrer von gestern sitzt auf der Terrasse. »Der ADAC ist informiert. Die melden sich heute Nachmittag im Hotel und sagen wie es weitergeht.« Ein Motorradfahrer vom Nebentisch ruft dazwischen, »Du bist mit nem Schutzbrief vom ADAC nach Nordafrika gefahren? Armer Irrer. Ehemalige französische Kolonien nur mit dem Schutzbrief der ›Europ Assstance‹!« - »Ich hab den Schutzbrief vom TCS, die sind spezialisiert auf Afrika.« - »Egal, ehemalige französische Kolonien nur mit dem Schutzbrief der ›Europ Assistance‹.« Die richtige Schutzbrief-Versicherung ist unter den Reisenden ein fast ebenso emotionales Thema, wie das der Motorradmarke.


Wir trinken unsere Kaffees aus und starten nach Westen in die Dokhara-Dünen, dem nördlichsten Ausläufer des Grand Erg Oriental. ›Erg‹ ist das arabische Word für Sand-›Meer‹, das im 19. Jahrhundert von den neuen Eroberern Nordafrikas umstandslos französiziert wurde. Abseits der Mittelmeerküste, war die französische Herrschaft hier aber nie tatsächlich gesichert. Algerien war offiziell keine ›Kolonie‹. Seit Beginn der Dritten Republik waren die drei nordafrikanischen Departements aus französischer Sicht überseeisches Staatsgebiet Frankreichs, mit den gleichen politischen Rechten und Pflichten wie die Departements im europäischen Frankreich. Französisches Bürgerrecht und die Staatsbürgerschaft hatten allerdings nur die europäischen Siedler. Die afrikanischstämmigen Bewohner der drei Departements galten als staatenlose – und damit weitgehend rechtlose - Untertanen der Republik Frankreich.


Nach einer knappen Stunden sind wir am tunesischen Grenzposten, unsere Pässe werden gestempelt und wir fahren einige Minuten durch das Niemandsland zwischen den Kontrollstellen. Die algerische Einreise ist eine reine Formalität. Direkt neben der Abfertigungstelle befindet sich das Gebäude der Staatsbank, wo wir unseren Zwangsumtausch von ein paar Hundert französichen Francs leisten sollten. Die Bank ist heute aber geschlossen, mit dem festen Versprechen, den Zwangsumtausch in Touggourt nachzuholen, dürfen wir trotzdem passieren.

Sa., 12. März 1988, Grand Erg Oriental, Dokhara-Dünen


Am fühen Nachmittag ist alles erledigt und wir fahren in die rötlich-gelbe Dünenlandschaft. Ein paar Dutzend Kilometer vor El Qued steht rechts auf einem sandigen Parkplatz ein Wohnmobil mit deutschem Kennzeichen. Wir stoppen dort für eine Zigarette und das Paar aus Norddeutschland lädt uns ein, mit ihnen hier zu campieren. Da wir sowieso noch keinen konkreten Plan für die Übernachtung haben, stimmen wir zu. Wir bauen unser Zelt neben dem Wohnmobil auf. Die beiden bieten uns an, mit ihnen Bratkartoffeln mit Rührei und Speck zum Abend zu essen. Was wir natürlich ebenfalls gerne annehmen.

Sa., 12. März 1988, Camp vor El Qued


Tag 12, Sonntag

So., 13. März 1988, Camp vor El Qued – Camp im Gassi Touil


Ich wache kurz nach Sonnenaufgang auf, ziehe mich an und drehe zu Fuß eine Runde um unseren Lagerplatz. Hundert Meter Richtung Norden finde ich auf einer kleinen roten Sandverwehung eine Sandrose. Kistallisiertes Salz, das zusammen mit dem umgebenden Sand Strukturen bildet, die an Blüten erinnern. Ich stecke die Sandrose in meine Tasche und suche erfolglos nach weiteren Exemplaren. Zurück an unserem Camp zeige ich meinen Fund den anderen und obwohl ich meinen Standard-Kommentar, »eben Salz und Sand, aber ganz schön« abgebe, löse ich sofort eine kleine Expedition in die Umgebung aus. Mein Ruf nach Kaffee wird ignoriert.


Eine Stunde später sitzen wir dann aber doch auf den wackeligen Campingstühlen vor dem Wohnmobil, essen Toast mit Marmelade und trinken Kaffee mit Milch. Ich zeige auf eine einzelne kleine Wolke am blauen Himmel, »Guckt mal, es zieht sich zu.« Chrischi lacht, das Wohnmobilpaar guckt nur verständnislos an den Himmel. Gestern Abend hatte ich schon von meiner letztjährigen Reise durch die Levante erzählt. Heute geht es um unsere aktuelle Reise. »Wir fahren erstmal Richtung Süden nach Illizi, über das Plateau de Fadnoun nach Djanet und dann durch den Hoggar nach Tamanrasset.« Die beiden sind ein bisschen neidisch. »Mit den dreieinhalb Tonnen Mercedes kommen wir nie auf das Fadnoun. Und durch den Hoggar schon gar nicht.« - »Nee, sicher nicht. Aber ihr könnt‘ ja über Ouargla nach In Salah und die N1 runter nach Tam. Die N1 ist durchgehend geteert. Falls ihr wirklich nach Tam wollt. Dann ist allerdings Schluss. Irgendwo zwischen Tam und der Grenze zu Niger hört der Asphalt auf und es wird sandig. Richtig sandig. Da geht’s dann nur noch mit Allrad und Sandblechen weiter.« Beim Wort Sandbleche, deutet der Mann auf die Rückseite des Wohnmobils, wo zwei Sandbleche quer festgezurrt sind. »Wieviel Wasser passt in Eure Tanks?« - »Genug für‘s Camping, nicht genug für die Wüste.« - »Naja, aber jedenfalls mehr als in unsere vier Zehn-Liter-Kanister.« Die beiden wollen von Touggourt aus wieder an‘s Mittelmeer und dann die Küste entlang zurück nach Tunis auf die LKW-Fähre nach Sizilien.


Chrischi und ich fangen an, unseren Kram aufzupacken. Das Ehepaar aus Niedersachsen bleibt ruhig sitzen und guckt uns bei den Vorbereitungen zu. Beide sehen aus, als würden sie am liebsten mit uns tauschen. Um zehn sind wir abfahrbereit. Wir bedanken uns für das gemeinsame Camp und das Abendessen und starten die Motoren.

Um elf fahren wir durch die Oasenstadt El Qued und eine Stunde später sind wir an Tougourt ebenfalls vorbei. Kurz vor der Stadt überqueren wir auf einer kleinen Brücke die Rohre der Ölpipeline, die das schwarze oder gasförmige durchsichtige Gold von den Feldern an der libyschen Grenze zum Mittelmeer transportiert. Die fast zwei Meter dicken Rohre werden uns von nun an viele Kilometer begleiten. Nach einer knappen Stunde zweigen wir der Pipline folgend nach links Richtung Hassi-Messaoud ab. ›hassi‹ ist das arabische Wort für Brunnen, die hier fast überall den Keim jeder Siedlung bilden, wenn nicht ein ›bordj‹, ein Fort der Fremdenlegion namensstiftend war, die aber natürlich auch um die lebenswichtigen Brunnen herum oder nah bei ihnen gebaut wurden.

In der Mittagshitze fahren wir durch das staubige, verlassen aussehende Hassi-Messaoud, kurz hinter der Stadt biegen wir von der Straße nach El Borma an der libyschen Grenze ab und fahren in das Gassi Touil hinein, wir befinden uns in einem 300 km langen schnurgeraden Tal, das den Grand Erg Oriental von Nord nach Süd durchschneidet und vor Jahrtausenden einen Fluss vom N‘Ajjer-Gebirge zum Mittelmeer leitete. Felsmalereien in der ganzen Gegend zeugen von menschlicher Besiedlung, einem reichen Wildtierbestand und gemäßigtem Klima.


Hier im Norden ist das Gassi Touil ein mehrere hundert Meter breites, ebenes Tal. Rechts der Fernstraße sind immer wieder kreisrunde bewässerte Getreidefelder zu sehen. Die entgegenkommenden LKW Hupen und Winken zur Begrüßung, wir grüßen überrascht und höflich zurück. Reisende begegnen uns keine. Ich stelle wieder einmal fest, dass die Freundlichkeit der Menschen entgegengesetzt proportional zur Bevölkerungsdichte zunimmt. Wo man innerhalb von 24 Stunden vielleicht nur zwei Menschen trifft, muss man dafür sorgen, dass diese zwei einem freundlich gesonnen sind, besonders in einer so lebensfeindlichen Umgebung wie der Sahara.

So., 13. März 1988, Grand Erg Oriental, Gassi Touil


Als die Sonne schon niedrig über den Dünen rechts der Straße steht, beginnen wir, nach einem Lagerplatz für die Nacht zu suchen. Der Reiseführer berichtet von einem ehemaligen Fort der Fremdenlegion, das sogar einen noch funktionierenden Brunnen hat. Wir finden das Fort aber nicht, sind wahrscheinlich schon vor Stunden daran vorbei gefahren. Kurz vor Sonnenuntergang verlassen wir die Asphaltstraße und folgen einer Piste links in die Wüste, hinter einer großen flachen Düne, wo wir von der Straße aus nicht zu sehen sind, schlagen wir unser Lager auf. Als das Zelt steht, kochen wir uns ein kleines Abendessen und gehen nach dem Essen früh schlafen. 


Tag 13, Montag

Mo., 14. März 1988 Gassi Touil – Hassi Belguebour


Nachts wachen wir beide von einem lauten Geklapper nahe am Zelt auf, danach können wir lange nicht wieder einschlafen, weil ein dröhnendes Brummen eine halbe Stunde lang lauter und dann schließlich wieder eine halbe Stunde lang leiser wird. Ein vorbeifahrender LKW ist in dem ansonsten völlig stillen Wüstental auf ca. 100 km Strecke zu hören.


Morgens sehen wir dann auch den Grund für das laute Geklapper. Ein kleiner Wüstenbewohner hat unsere Essenreste aus Topf und Tellern stehlen wollen und dabei den kleinen Turm aus Geschirr und Besteck umgeworfen. Nach den Spuren im Sand war es eine Maus.

Mo., 14. März 1988, Grand Erg Oriental, Gassi Touil


Richtung Osten scheint eine hohe Düne nahe genug, für einen Morgenspaziergang. Chrischi macht sich auf den Weg, nach mehr als einer halben Stunde sehe ich die kleine dunkle Gestalt die Düne hinaufklettern, aber schon nach ein paar Minuten bleibt sie auf weniger als 20% der Höhe lange stehen und kommt dann wieder auf mich zu.

Mo., 14. März 1988, Grand Erg Oriental, Gassi Touil


Wie Geräusche in der Stille lauter wirken, erscheinen Entfernungen im Nirgenwo kürzer als sie wirklich sind. Wieder am Zelt erzählt Chrischi, dass er auf dem Dünenhang Spuren eines nächtlichen Kampfes zwischen einem großen Käfer und etwas, das vielleicht ein Skorpion war, gesehen und photographiert hat.

Wir scheuern Topf und Teller mit Sand sauber und lassen die Essensreste für die Maus in der Nähe liegen. Schnell sind die Motorräder wieder aufgepackt und abfahrbereit.


Für heute steht nur eine Kreuzung im Tourenplan: in Hassi Belguebour müssen wir nach Osten, zu den Ölfeldern an der libyschen Grenze abbiegen. 40 km vor Hassi Belguebour, fängt der Motor der BMW an zu stottern, ich drehe die Benzinhahnen auf Reserve und das Stottern und Stocken wird schlimmer. Ich drehe sie wieder zurück auf ›N‹ und der Motor läuft wieder einigermaßen normal. Die Röhrchen stecken schon wieder falsch herum in den Benzinhahnen!


Ich mache Chrischi Zeichen, dass mein Benzin knapp wird. Er kloppft ebenfalls auf seinen Tank. Wir haben beide das selbe Problem, aber ich habe nicht einmal mehr die dreißig Kilometer Reserve. Wir fahren langsam und spritsparend weiter. Chrischi kommt näher und ruft mir zu, ich solle den Motor ausmachen, er würde mich schieben. Ich bin nicht sicher, ob das insgesamt wirklich Sprit spart, recke aber den Daumen hoch, ziehe die Kupplung und schalte die Zündung aus. Chrischi fährt schräg hinter mir und stemmt seinen linken Fuß gegen meinen rechten Kofferträger. Während wir so im Gespann langsam Richtung Süden treiben, versuche ich, den Durchschnittsverbrauch der BMW seit unserem letzten Tankstopp in Tozeur auszurechnen. Das Ergebnis ist beinahe doppelt so hoch, wie es normal wäre. Wahrscheinlich ein Rechenfehler. Gleichzeitig fällt mir auf, dass wir immer noch kein algerisches Geld haben. Aber wo es eine Tankstelle gibt, gibt es auch eine Bank. Hier im Süden des Gassi Touil ist das Tal nur noch wenig breiter als die Straße und die Dünen reichen fast bis an den Asphalt. Nach einer halben Stunde Schiebebetrieb kommen am südlichen Horizont flache Beton- und Blechbauten in Sicht. Wir haben es geschafft. Kurz vor der Kreuzung nach Ohanet lässt Chrischi mich alleine weiterrollen. Direkt nach dem Abbiegen an der Kreuzung ist links eine Tankstelle und eine KFZ-Werkstatt, wir rollen in den Schatten bei den Zapfsäulen und stellen die Motorräder ab. Chrischi geht in die Tankstelle, um zu fragen, ob es hier im Ort eine Bank gibt. Mit enttäuschtem Gesicht, kommt er gleich wieder heraus. »Er sagt, die nächste Bank sei in Bordj Omar Driss oder in In Aménas. Und er hat im Moment sowieso kein Benzin, der Tanklaster kommt spätestens heute Abend. In Bordj gibt es auch erst morgen wieder Benzin.« Nach In Aménas schaffen wir es auf keinen Fall mehr und auch nach Bordj Omar Driss sind es über 60 km, was für unseren Benzinvorrat sicherlich zu weit ist. Chrischi fragt den Tankwart, ob wir in französischen Franc bezahlen können, was der zunächst ablehnt, dann aber nach einem Blick auf einen von mir auf ein Blatt Papier gekritzelten Umrechnungskurs und einiger Bedenkzeit doch annimmt. Jetzt müssen wir nur noch auf den Tanklaster mit dem Benzin warten. Unseren Plan, heute noch bis Ohanet oder zu einem der Öl-Camps bei In Aménas zu kommen, müssen wir fallenlassen. Da wir auch kein Geld für ein Café oder ein kleines Mittasgessen haben, setzen wir uns in der Nähe der Tankstelle in den Schatten einer Mauer. Rauchen Zigaretten und warten. Nach einer Stunde fährt ein weißer Nissan-Pick-Up auf die Tankstelle, ein großer dünner Mann in blauer Dschellaba tankt Diesel, das es gibt, und starrt dabei unsere Motorräder an. Ich winke ihm und er winkt zurück. Nachdem er seinen Wagen vollgetankt hat und kurz mit dem Tankwart gesprochen hat, kommt er zu uns und fragt auf Französisch, ob alles in Ordnung sei. Chrischi erklärt ihm die Situation. Er bestätigt, dass es in Bordj Omar Driss ebenfalls kein Benzin gibt und auch keine Bank. Er schlägt vor, uns im Auto mit nach In Aménas zu nehmen, morgen zur Bank und dann wieder hierher zu fahren. Wir lehnen das freundliche Angebot ab. Wir wollen nicht, dass er unseretwegen 700 km durch die Wüste gurken muss – und wir wollen auch unsere Motorräder nicht gerne eine Nacht und einen Tag alleine lassen. »Chrischi, frag ihn, ob er Französische Franc in Algerische Dinar tauschen will.« Chrischi redet kurz mit dem Algerier, aber an dessen Miene kann ich sehen, dass er nicht will. »Er sagt, es ist fast unmöglich für Algerier ist, ausländische Währung offiziell in einheimische zu tauschen und hier unten kann er mit europäischem Geld nicht viel anfangen.« Der Algerier wartet, bis Chrischi mir übersetzt hat, was er gesagt hat und beginnt dann lächelnd einen neuen Satz. »Er sagt, er kann uns 4.000 Dinar leihen, wir kommen morgen nach In Amenas, übernachten in seinem Camp, gehen am nächsten Morgen zur Bank und geben ihm dann das Geld zurück.« Chrischi und ich besprechen kurz, ob wir das Angebot annehmen können. Ein Algerier, der für eine ausländische Erdöl-Firma arbeitet, kann sich ein so kleines und kurzes Darlehen von rund 50 DM sicherlich leisten. Und für uns wäre es eine perfekte Lösung. Trotzdem sind wir nicht sicher, ob wir annehmen können. Schließlich entscheiden wir, sein Angebot anzunehmen – und sei es nur, um zu beweisen, dass wir sein Vertrauen verdienen.


Er drückt uns ein Bündel Scheine in die Hand und schreibt seinen Namen und ›SCHLUMBERGER, IN AMÉNAS‹ auf einen Zettel. Während wir uns bedanken und bis morgen verabschieden, kommt ein weißer Tanklaster mit dem rot-blauen Logo von ›Elf‹ an. Fahrer und Tankwart schließen die Schläuche an und überwachen das Auffüllen der unterirdischen Tanks. Als der Fahrer wieder in seine Kabine klettert, winkt der Tankwart uns zu und streckt den Daumen hoch. Der freundliche Algerier verabschiedet sich und fährt nach Osten davon. Wir schieben die Motorräder an die Zapfsäulen und füllen die Tanks. Auch nachdem wir die zusammen rund 100 Liter Benzin bezahlt haben, ist von den 50 DM noch genug für ein Abendessen übrig. Chrischi fragt den Tankwart, ob wir hinter der Tankstelle für heute Nacht unser Zelt aufschlagen können. Er sagt, das sei eigentlich verboten, aber wegen der verspäteten Benzinlieferung heute ›ausnahmsweise‹ möglich. Ich lasse Chrischi fragen, ob er das irgendwo notieren müsse und ziehe einen Kugelschreiber aus der Jackentasche. Der Tankwart sagt, »Non, non, non«, steckt den Kugelschreiber aber trotzdem ein.


Gegenüber der Tankstelle ist ein kleiner Laden, der sich ›Bar‹ nennt, mit Tischen auf dem Gehweg. Wir parken die Motorräder an der Seite der Tankstelle und gehen hinüber. Wir bestellen Couscous und eine Limonade, die angeblich Minzgeschmack haben soll – zumindest die Farbe stimmt, der Geschmack erinnert eher an Gummibärchen. Das Couscous schmeckt aber gut. Nach dem Essen kaufen wir noch eine Flasche französisches Mineralwasser und gehen zurück zu den Motorrädern. Das Zelt stellen wir nicht auf, sondern benutzen es nur als Unterlage für unsere Isomatten und Schlafsäcke.


Tag 14, Dienstag

Di., 15. März 1988 Hassi Belguebour – In Aménas


Wir schlafen beide nicht besonders gut, weil die ganze Nacht reger Verkehr an dieser bedeutenden Kreuzung Richtung Norden herrscht und weil es am frühen Morgen überraschend kalt wird. Trotzdem wache ich erholt auf und bin froh, dass wir das Benzinproblem gestern lösen konnten und ich jetzt ›nur noch‹ bei nächster Gelegenheit die Röhrchen in den Benzinhahnen umtauschen muss. Wir packen die Motorräder auf und trinken in der sogenannten ›Bar‹ auf der anderen Straßenseite einen Minztee.


Vor acht Uhr sind wir schon wieder unterwegs. Kürzlich muss es hier auf dem Tinrhert-Plateau heftig geregnet haben, die Straße ist vor allem in den häufigen Wadi-Durchquerungen teilweise zu Dreivierteln weggespült.

Di., 15. März 1988, Tinrhert-Plateau


An einer Stelle reicht die Breite des verbliebenen Asphalts genau für ein Motorrad. Entsprechend sehen wir parallel zur Straße die Spuren der LKW, die die Auswaschungen umfahren haben. Bei einem Photostopp wiederhole ich auf den zerbröselten Asphalt an der zwei Meter tiefen Abbruchkante deutend, »Außerhalb Europas nie im Dunkeln fahren!« Chrischi nickt grinsend.

Ein paar Dutzend Kilometer später knallt ein großes Insekt gegen meinen Helm, dann noch eins und ein paar mehr gegen meine Schienbeine. Chrischi wedelt mit der Hand vor dem Kopf herum. Wir stoppen und sehen, dass die Frontseiten beider Motorräder mit toten oder halbtoten Heuschrecken gespickt sind. Wir kontrollieren unsere Jacken und Helme, um sicherzugehen, das nichts irgendwo noch krabbelt und machen ein paar Beweisphotos der Überbleibsel der biblischen Plage auf Scheinwerfern und zwischen den Kühlrippen der Zylinder. Zwanzig Minuten nachdem wir wieder unterwegs sind, kreuzt unser Weg einen weiteren Schwarm von Heuschrecken. Doch inzwischen nehmen wir das so gelassen wie einen Regenschauer in Mitteleuropa – oder jedenfalls fast.


Hundertzwanzig Kilometer hinter Hassi Belguebour führt die Straße dicht an den Rand des Tinrhert-Plateaus und rechts von uns Zweihundert Meter tiefer und en paar Kilometer entfernt sind die Dünen des Erg Issaoune zu sehen. Wir stoppen an einem Parkplatz mit Aussicht auf die Dünen und den steilen Abbruch des Plateaus. Chrischi ist begeistert. »Sand und Steine eben, aber ganz schön.« - »Ach jetzt hör schon auf. Das ist doch wirklich schön.« - »Ja. Sand und Steine, aber schön.« - »Ach!« Weiter links sehen wir die Rampe, die die Straßenbauer als Abfahrt vom Plateau in die Tiefebene gebaut haben. Daneben sind jetzt auch wieder die Rohre der Pipeline zu sehen, die sich gestern Vormittag immer weiter von der Straße entfernt hatten und in der Wüste verschwunden sind und jetzt wieder neben der ihr entlanglaufen.

Di., 15. März 1988, Tinrhert-Plateau, Richtung Erg Issaouane


Wir fahren durch die kleine Ortschaft Ohanet und und biegen nach rechts auf die steile Abfahrt hinab in den Erg Issaouane ein. Die BMW macht im zügigen Schiebeverkehr einige laute Fehlzündungen. In der Ebene passieren wir einige Abzweige zu Öl- und Gasförderanlagen und erreichen schließlich am frühen Nachmittag In Aménas. Das Firmengelände der ursprünglich holländischen und inzwischen texanischen Schlumberger Exploration and Oil-Services Ltd. Ist leicht zu finden. Die Ölförderanlage von Schlumberger erstreckt sich fast über die Häfte des westlichen Teils von In Aménas, von wo die Fernstraße in die Stadt führt. Das ganze Areal ist von einem drei Meter hohen Drahtzaun mit Stacheldrahrtkrönung umgeben. Am großen Stahltor zeigen wir den Zettel unseres Freundes aus Hassi Belguebour vor und werden herein gelassen. Neben den großen Tanks stehen Reihen von Containern und Blechgebäuden, die offenbar als Werkstätten und Unterkünfte dienen. Wir stellen die Motorräder ab und fragen uns zu unserem Freund durch, der eben seine Frühschicht beendet hat und in der Kantine sitzt. Er lädt uns ein, mit ihm zu essen. Nach der Art, wie die Kollegen ihn behandeln, muss er mehr als ein einfacher Arbeiter sein, tatsächlich sprechen ihn viele mit Monsieur L’Ingénieur an. Was mir altertümlich erscheint, hier aber offenbar üblich ist.

Als wir eben mit dem Essen beginnen wollen, kommt ein älterer europäischer Mannin die Kantine gestürmt und beginnt sofort auf Englisch zu schreien, wo die ›verdammten Hippies‹ seien und wer sie auf’s Gelände gelassen hätte. Wir versuchen, ihm klarzumachen, dass wir keine Hippies sind, was angesichts unserer staubigen Klamotten, an denen immer noch Reste der Heuschrecken kleben, vermutlich nicht sehr überzeugend wirkt. Ich sage ihm auf Englisch, dass wir nur einem seiner Angestellten danken wollten, der uns vor ein paar Tagen in der Wüste das Leben gerettet hat – ein bisschen Übertreibung scheint angebracht. Und dieser wiederum uns nun zum Essen und hier zu übernachten eingeladen habe. Der Boss aus Houston ist nicht zu beruhigen. Er habe für alle, die sich im Camp aufhalten, die Verantwortung und könne keine ›Gäste‹ - er spricht das Wort aus, als handele es sich um eine ansteckende, gefährliche Krankheit – in seinem Camp tolerieren. Nun mischt sich doch unser Freund aus Hassi Belgueour ein, den Chrischi versucht hatte, am Aufstehen und Sprechen zu hindern, und sagt, es sei alles seine Schuld. Er bedauere es sehr und es werde nie wieder vorkommen. Der Boss scheint ein bisschen besänftigt, macht eine Geste, dass wir uns wieder setzen sollen und sagt, wir können hier essen und auf dem Gelände übernachten, aber nicht in den Unterkünften, sondern draußen – falls wir ein Zelt haben. Und wir können auch die Waschräume benutzen und duschen, ich weiß nicht, ob er das sagt, weil wir so aussehen – oder riechen - als wäre das nötig. Wir bedanken uns jedenfalls, essen auf und duschen zum ersten Mal seit 1.200 km, dann bauen wir nahe am Drahtzaun unser Zelt auf, besprechen die ›Abenteuer‹ des Tages. Chrischi sagt, bei den Fehlzündungen auf der Rampe seien jedesmal Flammen aus dem Auspuff geschlagen. Ich muss wohl dringend Zündung und Ventilspiel kontrollieren. Schließlich gehen wir früh schlafen. 


Tag 15, Mittwoch

Mi., 16. März 1988 In Aménas - Illizi


Ich wache vor Sonnenaufgang frierend auf und gucke aus dem Zelt, draußen ist alles – auch der Sand – mit einer feinen Schicht von Raureif überzogen. Es ist unter Null Grad, mitten in der Wüste. Die Sahara ist nicht nur eine der trockensten Regionen der Welt, sie weist wegen dieser Trockenheit auch extreme Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht auf. Geologisch gehört In Aménas und das Gasfeld hier zur libyschen Wüste, deren westlichen Rand man am ehesten am Bergrücken des Tassili-N’Ajjer definieren kann. Die Entscheidung vor dem Ersten Weltkrieg, es der französischen, statt der nur 30 km entfernten italienischen Interessensphäre zuzuschlagen wurde ohne Kenntnis oder Interesse an Öl- und Gasvorkommen am Verandlungstisch in Europa getroffen. Für Frankreich war der Verlauf der östlichen Grenze nach Italienisch-Libyen lange nicht so wichtig wie der der südlichen, weil in Algerien ohnehin nur die Mittelmeerküste von wirtschaftlicher und militärischer Bedeutung und die Sahararegion noch lange nicht gegen die einheimischen Tuareg militärisch gesichert war. An der Südgrenze Italienisch-Libyens zu Französisch-Äquatorialafrika kam es dagegen immer wieder zu kleinen Scharmützeln zwischen Franzosen und Italienern, weil Französisch-Äquatorialafrika einerseits den Zugang zu Belgisch-Congo beherrschte, andererseits die Verbindung zwischen den britischen Kolonien in West- und Ostafrika abschnitt. Ein geopolitisches Schreckgespenst der Dritten Französischen Republik war eine durchgehend unter britischer Herrschaft stehende Eisenbahnverbindung von der Mündung des Niger in Nigeria zum Oberlauf des Nil im Sudan – Gegenstück und West-Ost-Ergänzung zur Süd-Nord-Verbindung des Kap-Kairo-Plans von Cecil Rhodes. Die konkurrierende französische Idee der Dakar-Djibuti-Bahn kam nie auch nur in die Nähe eines Plans. Unser heutiger Weg soll uns an das südwestliche Ende der großen Ebene der libyschen Wüste an den nord-östlichen Rand des Tassili-N’Ajjer bringen.


Wir stehen früh auf, packen unseren Kram zusammen und beladen die Motorräder. Obwohl Karte und Reiseführer bis Illizi Asphalt versprechen, bereiten wir die Motorräder vor wie auf eine Pistenetappe. Kurz nach 9 Uhr sind wir im Stadtzentrum von In Aménas. An einem Kreisverkehr, der die drei Hauptstraßen der Stadt verbindet, finden wir die Bank und tauschen jeder 500 Francs in Algerische Dinar und lassen uns den Umtausch bestätigen, um bei der Ausreise beweisen zu können, dass wir den Zwangsumtausch geleistet haben. Wir treffen unseren algerischen Freund aus Hassi Belguebour in einem Café in der Nähe der Bank. Er bekommt seine 4.000 Dinar zurück und ich drücke ihm noch mein Schweizer Offiziersmesser als symbolisches Dankeschön in die Hand.


Als wir losfahren, winkt er uns noch lange vom Straßenrand aus nach. Wir verlassen die Stadt Richtung Westen, kommen an einer weiteren riesigen Gasförderanlage von BP und Statoil vorbei und folgen der N3 nach Süden. Vor uns tauchen hohe schroffe Berge auf und die Straße wendet sich wieder nach West. Nach der Durchfahrt zwischen zwei Bergketten öffnet sich eine große sandige Ebene. Die N3 verläuft schnurgerade Richtung Südsüdwest, links und rechts sehen wir hohe Dünen. Eine besonders hohe Düne steht etwa 40 km entfernt direkt vor uns.

Mi., 16. März 1988, Erg Issaouane


Vor der mindestens 200 Meter hohen Düne biegt die N3 nach Westen ab. Am Straßenrand steht ein bunt lackierter VW-Käfer aus Göttingen, eine BMW mit schweizer Kennzeichen und zwei gut ausgerüstete 600er XLs aus Bayreuth. Wir halten ebenfalls. Wir haben Steffie und Reto von der Fähre tatsächlich zufällig wiedergetroffen. Die sechs diskutieren gerade, ob man auf die Düne hinaufklettern kann – und wie lange das wohl dauern wird. Stefan, der Göttinger, hat aus einem in der Mitte durchgeschnittenen Plastikkanister zwei Schlitten improvisiert und will mit seiner Freundin die Düne herunterfahren.

Mi., 16. März 1988, Erg Issaouane


Chrischi will natürlich auch auf die Düne klettern. Ich einnere ihn an die Düne im Gassi Touil und weise Chrischi mit einer kleinen Geste auf den Himmel darauf hin, dass es sich sowieso schon wieder zuzieht. »Genau. Aber diesmal weiß ich ja, wie weit das ist.« Steffie, Reto und ich bleiben bei den Motorrädern und dem Auto. Die anderen machen sich auf den Weg zur Düne. Erst nach einer guten halben Stunde sehen wir, wie sie langsam den Aufstieg beginnen und erst mit dem bescheidenen Größenvergleich der menschlichen Gestalten wird das wahre Ausmaß der Düne deutlich. Sie hat von hier aus eine Breite von mindestens 500 m und vermutlich die gleiche Höhe. Steffie schätzt, dass sie in dem weichen Sand mindestens zwei bis drei Stunden für den Aufstieg benötigen – und jeder zwei Liter Wasser, sie haben aber isgesamt nur drei Liter dabei. Reto erzählt unterdessen, dass sie gestern Abend auf dem Tinrhert-Plateau beinahe in einen Abbruch gefahren wären. Es dämmerte schon und sie hatten es eilig, einen Platz für die Nacht zu finden. Er war müde und nicht 100% konzentriert, so hätte er das große Loch im Asphalt in einer Wadi-Durchfahrt fast übersehen. »Außerhalb Europas nie im Dunkeln fahren!« - »Ja, weiß ich doch. War ja auch noch gar nicht dunkel.« - »Na, ist ja nochmal gut gegangen.« - »Ja. Zum Glück! War aber echt knapp. Außerhalb Europas nie im Dunkeln fahren. Hahaha.«


Wir füllen ein bisschen Wasser aus den Plastikkanistern auf dem Dachgepäckträger des Käfers in unsere Trinkflaschen und trinken alle einen großen Schluck warmes Wasser. Die fünf kleinen Gestalten haben inzwischen fast die halbe Höhe der Düne erreicht. Eine winkt mit den Armen. Dann sehen wir zwei schnell die Düne hinabgleiten. Die Sandschlitten funktonieren gut. Die drei anderen springen und rutschen hinterher.


Es ist schon mitten am Nachmittag als die fünf wieder an unserem Parkplatz ankommen. In der ganzen Zeit sind nur zwei Fahrzeuge hier vorbeigekommen, ein Isuzu Minivan nach Illizi und ein Nissan Patrol in die selbe Richtung. Unsere fünf Dünenbezwinger kommen gutgelaunt und sehr durstig bei uns an. Stefan spendiert einen 20-Liter-Kanister Wasser für eine improvisierte Dusche am Straßenrand. Obwohl das eigentlich Ziel, die Düne zu besteigen, nicht erreicht wurde, haben alle ausgesprochen gute Laune und es wird viel gelacht.


Bis Illizi, unser aller Tagesziel sind es noch fast 200 km und ich dränge vorsichtig zur Eile. Chrischi sagt, »Außerhalb Europas nie im Dunkeln fahren!« Reto und ich lachen und nicken zustimmend.

Zwanzig Minuten später sind wir wieder unterwegs. Die Straße führt an einem Bergmassiv rechts von uns entlang Richtung Südwest. Nach wenigen Minuten biegt der Asphalt nach links in die Dünen ein. Nach wenigen Kilometern weichen die Dünen einer Geröll- und Steinebene, die sich in ein ein größeres Tal hinabwindet. Dieses durchqueren wir diagonal und fahren wieder in einem kleinen Tal leicht bergauf. Wir überqueren einen flachen Pass und fahren wieder in eine sandige Ebene hinab. Auf der Abfahrt zweigt links eine breite Piste, die wahrscheinlich zu einem Ölcamp führt, von der N3 ab. In der Ebene wendet sich die Straße wieder nach West und führt auf einen weiteren Bergrücken zu, wir fahren auf ein steiniges Plateau, von dem wir nach wenigen Kilometern wieder in die sandige Ebene von Illizi hinabfahren. Rechts ist die Kante des Plateaus zu sehen, während sich links die südlichen Dünen des Erg Issaouane ausdehnen. An einem Wegweiser, der die Entfernung nach Illizi mit 20 km angibt, folgen wir einer Piste nach Osten vom Asphalt weg in die Dünen. In einem flachen Tal zwischen den Dünen finden wir einen schönen Lagerplatz, der groß genug für vier Motorräder, ein Auto und vier Zelte ist. Stefan und Andrea, seine Freundin, fahren mit ihrem Käfer nach Illizi, um vielleicht Lammkoteletts zum Grillen zu kaufen – oder was es eben in Illizi gibt. Der Reiseführer spricht von ›eingeschränkten Versorgungsmöglichkeiten‹. Wir schlagen unterdessen unser Lager auf und versuchen, Holz zum Grillen oder für ein Lagerfeuer zu finden. Hier in den Dünen finden wir gar nichts brennbares. Chrischi und Micha, einer der anderen Jungs, fahren schließlich mit ihren Motorrädern auf die andere Seite der Asphaltstraße, wo ein paar dürre Büsche stehen und bringen, soviel sie davon auf den Motorrädern verstaut bekommen, mit.


Kurz danach fährt der Käfer wieder in unser Camp ein. Andrea zeigt stolz eine kleine Platiktüte vor, »Lammkoteletts, wie bestellt...« dann zieht Stefan einen großen orangenen Plastiksack vom Rücksitz, »und Feuerholz! Kohle gab’s nich‘, aber Holz geht ja auch.« Wir sind begeistert, dass sie Fleisch bekommen haben und sogar an Holz gedacht haben. »Jetzt fehlt nur noch, dass ihr auch ‘ne Kiste Bier mitgebracht habt.« Alle lachen, aber Stefan macht nur lächelnd die Kofferraumklappe des Käfers auf, ganz vorne steht eine Papp-Palette mit deutschem Dosenbier. Die Versorgungslage in Südalgerien ist sowieso schlecht und der Transport alkoholischer Getränke in die Sahara wird von der muslimischen Militärregierung in Algier nicht mit hoher Priorität behandelt. In Südalgerien sind frische Lebensmittel praktisch nicht erhältlich, schon einen Lebensmittelladen zu finden, ist in kleineren Ortschaften fast unmöglich. Wenn es Lebensmittel gibt, dann nur Konserven. Auch Getränke gibt es eigentlich nur in Dosen, beliebt und weit verbreitet sind konzentrierte Fruchsäfte in Konservendosen - und selbstverständlich die großen Plastikflaschen mit französischem Mineralwasser. Dass die ›Demokratische Volksrepublik Algerien‹ sich als sozialistisch versteht, wird daran augenfällig, dass es nirgendwo Cola oder andere ›imperialistische Getränke‹ gibt, stattdessen gibt es in Läden, Cafés und ›Bars‹ verschiedene einheimische Limonaden, die sich allerdings nur durch die Farbe und den Namen unterscheiden, es gibt ›mente‹, ›orange‹ und ›citron‹, die grün,orange und gelb sind - und alle nach Gummibärchen schmecken.


Andrea und Stefan bauen ihr Zelt auf, wir anderen bauen in der Zwischenzeit mit Steinen und Sand eine Feuerstelle in der Mitte zwischen unseren vier Zelten und entzünden ein kleines Feuer aus den trockenen Zweigen der Büsche und den gekauften Holzscheiten.

Chrischi ist immer noch voller Energie und will nach Sonnenuntergang zur Straße fahren, vorgeblich, um zu prüfen, ob unser Feuer von der Straße aus zu sehen ist, tatsächlich wohl aber eher, um noch mal drei Minuten ohne Gepäck über die Dünen zu brettern. Er fährt nicht die kleine Kurve um die Düne herum, die uns von der Straße abschirmt, sondern nimmt den kürzesten Weg quer über die Düne.

Mi., 16. März 1988, Camp vor Illizi


Als er zurückkommt, streckt er den Daumen hoch und ruft, »Nix zu sehen! Nicht mal das Licht vom Feuer.« Er parkt die DR mit einer Drift neben unserem Zelt und wirft seinen Helm in den Sand.

Steffie hat inzwischen ihren Gaskocher angeworfen und fragt, »Irgendwer Minztee?« Natürlich wollen alle gerne mal etwas anderes als lauwarmes Wasser trinken und unser gemeinsames Camp mit einem Aperitif feiern.


Als der Minztee ausgetrunken ist, sind die Lammkoteletts fast fertig.


Andrea hat aus ein paar Tomaten, Zwiebeln und den Resten ihrer frischen Vorräte einen Salat gezaubert. Für uns alle ist das kleine selbst zubereitete Abendessen ein großes Festmahl. Hinterher gibt Stefan für alle noch Bier aus, das zwar über dreißig Grad warm ist, aber trotzdem den krönenden Abschluss des Abends bildet.


Tag 16, Donnerstag


Obwohl ich schon sehr früh davon aufwache, dass die Sonne auf das Kopfende unseres Zelts scheint, schlafe ich schnell wieder bis zum Vormittag ein, als ich wieder aufwache, ist das Schnaufen und Fauchen meines Benzinkochers zu hören. Irgendwem ist es gelungen den Drachen zum Leben zu erwecken. Kaffeeduft vertreibt den Geruch von unverbranntem Benzin und ich strecke den Kopf aus dem Zelt. Die anderen sitzen schon mit Kaffeebechern und Zigaretten um die Reste unseres gestrigen Lagerfeuers herum. Ich krieche aus dem Zelt heraus, kloppfe meine Stiefel aus und grinse Chischie an, der den Daumen hochreckt. »Morgen! Was ist der Plan für heute?« - Reto lehnt sich gegen Steffie und grinst, »Nix!« - »Klingt gut. Da mach‘ ich mit.« Stefan und Andrea spannen zwischen dem Käfer und ihrem Zelt eine große Plastikplane als Sonnenschutz auf, wohin wir bald umziehen. Tagsüber weden es hier im dem windgeschützten Dünental über 40° im Schatten, wenn es welchen gibt. In der Sonne wird es so heiß, dass man dunkle Flächen nicht länger als ein paar Sekunden anfassen kann. Das ganze ist aber wegen der extremen Trockenheit ganz gut auszuhalten, wenn man genug trinkt.

Nach dem Kaffee bereite ich die BMW darauf vor, den Tank abzubauen und die Benzinhanen herauszudrehen, um endlich wieder die Reservestellung nutzen zu können.Ich lasse zehn Liter Benzin in einen der Reservekanister ab, jetzt kann ich den Tank so auf die Vorderseite stellen, dass weder Bezin aus dem Tankstutzen, noch aus den Benzinhahnen läuft, ich drehe die Benzinhahnen heraus und probiere mit Pusten in die Plastikröhrchen aus, welches Röhrchen bei welcher Stellung geöffnet ist. Rechts sind die Röhrchen tatsächlich wieder vertauscht. Links ist das kurze (Reserve-) Röhrchen bei jeder Stellung blockiert. Ich baue den Benzinhahn auseinander und finde viele kleine Rosttteilchen und ein schwarzes schwammig-weiches Material,das wohl von verunreinigtem Benzin herkommt. Ich reinige den linken Benzinhahn, tausche rechts die Röhrchen und probiere nochmals mit Pusten, ob das kurze Röhrchen nur in der ›R‹-Stellung offen ist. Jetzt scheint alles zu passen. Ich nutze die Gelegenheit, dass der Tank ab ist, kontrolliere den Ölstand und fülle einen halben Liter nach. Schließlich stelle ich noch die Zündung ein und kontrolliere den Luftfilter. Als der Tank wieder an seinem Platz ist, gieße ich das Benzin aus dem Kanister zurück.


»Bevor wir auf’s Fadnoun fahren, müssen wir in Illizi Öl kaufen.« - »Übermorgen, morgen ist Freitag«, sagt Stefan, »und volltanken sollten wir dann auch alle.« Er zeigt auf unsere Reservekanister.

Do., 17. März 1988, Camp vor Illizi


Am Nachmittag halten Chrischi und Micha es nicht mehr aus, sie werfen alles Gepäck von ihren Motorrädern und starten einen Ausflug in die Dünnen. Chrischi schafft es bis fast zur Spitze der großen Düne südlich von uns, wo sein Vorderrad bis zur Achse im weichen Sand versinkt, er steigt ab und die DR bleibt stehen wie sie ist. Micha fährt ihm zu Hilfe, bleibt aber schon vorher in Chrischis Spur stecken. Er läuft die restlichen hundert Meter die Düne hoch und hilft Chrischi dabei die DR rückwärts aus dem Sand zu ziehen. Dann springt und rutscht er zurück zu seiner Honda, bekommt sie frei und versucht, Chrischis Spuren seitlich zu umgehen. Dabei kommt er der Dünenkante so nahe, dass wir von hier unten schon befürchten, er könne abstürzen. Schließlich wirft auch Ollie seine XL an und fährt die Düne hinauf.

Do., 17. März 1988, Camp vor Illizi


Chrischi ist wieder am Camp und so voller Adrenalin, dass ich kaum verstehe, was er ruft. Er will, dass ich das Dünenfahren auch probiere. Ich bin skeptisch, weil die BMW soviel schwerer als die japanischen Enduros ist und ich die breiten und schweren Kofferträger nicht ohne weiteres abbauen kann. Trotzdem starte ich die BMW und fahre ein bisschen über die flacheren Dünen bei unserem Camp. In dem Tal zwischen den Dünen bringe ich sie sogar dazu, um die Kurve zu driften. Auf der Fahrt über die Düne, die uns von der Straße abschirmt, unterschätze ich wie steil die windabgewandten Seiten der Dünen sind und springe anderthalb oder zwei Meter zurück in die Ebene. Das Fahrwerk bedankt sich mit einem lauten Krachen, als die hinteren Stoßdämpfer durchschlagen.

Do., 17. März 1988, Camp vor Illizi (© C. v. Ulmenstein, 1988)


Wichtiger ist aber, dass ich ruhig geblieben bin und die Kontrolle über die 350 Kilogramm Stahl und Mensch behalten habe. Ich fahre um die Düne herum zurück zum Lager, hoffe, dass nichts kaputtgegangen ist und bin gleichzeitig froh, über die psychologische Stärkung für den Rest der Reise. Hinter Illizi hört der Asphalt auf und kommt erst nach ein paar Hundert Kilometern Sand und Steinen in Tam zurück.


Abends kochen wir zusammen Nudeln mit einer Sauce aus Zwiebeln und Dosen-Thunfisch. Beim Essen stellen wir fest, dass Stefan wie Chrischi und ich in Langenhagen aufgewachsen ist, und sogar im selben Mietshaus wohnte wie ein guter Schulfreund von uns.

Do., 17. März 1988, Camp vor Illizi


Tag 17, Freitag


Morgens wache ich wieder vom Fauchen meines Benzinkochers auf. Heute bin ich neugierig genug, um sofort aus dem Zelt zu gucken. Micha dreht den Kocher gerade aus, weil der Kaffee fertig ist. Ich krieche aus dem Zelt. »Morgen. Wo hast Du denn gelernt den Benzindrachen zu bedienen?« - »Mein Onkel wohnt in der DDR und ich war da fast jeden Sommer zum Camping, Ostsee, Elbe, Sächsische Schweiz und so...« - »Und die hatten einen ›Juwel‹?« - »Ja. Mein Onkel ist Jäger und hatte deshalb immer was zu tauschen. Ich hab ihn jedes Mal genau beobachtet, wenn er den Kocher angeworfen hat und mit 14 durfte ich‘s zum ersten Mal selbst versuchen. Mein Onkel war so stolz, als das Kaffeewasser fertig und der Campingplatz nicht in die Luft geflogen war. Und als das Ding gestern Morgen hier stand, dachte ich, kenn‘, mach‘ ich mal an.« - »Cool. Normalerweise rennen die Leute weg, wenn sie das Ding sehen. Ich musste das mit ›Versuch-und-Irrtum‹ lernen, klappt inzwischen aber gut, wenn die Düsen nicht verstopft sind.« - »Ja, hab‘ schon gesehen. Du hast die Export-Ausführung mit dem Wartungssatz dabei.« Ich mische zwei Löffel Milchpulver mit ein bisschen Wasser zu einer dicken Milchpampe, von der ich etwas in meinen Kaffee gieße. Das Milchpulver (produziert im Sommer 1985) hatten wir von Chrischis Nachbarin Feh kurz vor Ablauf des Haltbarkeitsdatums geschenkt bekommen. Sie hatte vor zwei Jahren einen Zwanzig-Kilo-Sack für ihre kleine Tochter gekauft, weil im Frühjahr 1986 völlig unklar war, wie sehr Kühe, Wiesen und Milch vom Fall-Out aus Tschernobyl verstrahlt sein würden.


Das Fauchen des Kochers und der Kaffeeduft haben inzwischen auch die anderen aus den Zelten getrieben. Stefan und Andrea wollen heute zur Nordrampe des Fadnoun hinter Illizi, um zu sehen, ob sie da mit dem Käfer überhaupt hinaufkommen.


Ich setze mich nach dem Frühstück unter die Plane, die wir für heute zwischen dem Zelt und den Motorrädern von Micha und Olli aufgespannt haben, und studiere die Strecke von Illizi bis Djanet, unserem nächsten bedeutenden Etappenziel. Vor mir im Sand liegt die Michelinkarte von Nordwestafrika, einige Blätter der sehr genauen Detailkarten vom französischen National-Institut für Geographie und natürlich das von Klaus Därr und dem TCS herausgegebene ›Durch Afrika‹, der mir schon im vegangenen Jahr in Ägypten gute Dienste geleistet hat. Der Reiseführer beschreibt die Strecken in einem gewöhnungsbedürftigen System aus Buchstaben und Ziffern so genau, dass selbst unmarkierte Pisten leicht zu meistern sind – jedenfalls auf dem Papier. Neben Richtungswechseln und genauen Entfernungsangaben, werden auch zum Teil kleinste Landmarken präzise beschrieben, und für jeden Ort an der Strecke die Vorsorgungsmöglichkeiten (Wasser, Lebensmittel, Benzin, Werkstatt, Bank, Post, Hotel, Campingplatz etc.). Um die Schwierigkeitseinstufung des jeweiligen Autors zu gewichten, ist bei jeder Strecke das Fahrzeug und die Reisezeit angegeben. Die von uns geplante Route über das Fadnoun-Plateau erschreckt mich jetzt ein paar Kilometer vor dem Einstieg doch mehr als zu Hause. Immerhin ist die Orientierung einigermaßen einfach und fahrerisch sind steile An- und Abstiege und Auswaschungen auf schmalen Pisten das Hauptproblem, nicht weicher Sand. Das kommt der Charakteristik der BMW entgegen. Schon in Ägypten hatte ich den Eindruck, dass die BMW eher ein Maulesel als ein Dromedar ist. Genau diese Eigenschaft ist für den Aufstieg auf‘s Plateau gefragt. Sandig wird es dann erst wieder in der Ebene zwischen Fort Gardel und Djanet. Djanet war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Residenzstadt des die Sahara beherrschenden Tuaregadels der ›Kerr Ajjer‹ (Leute vom Ajjer). Auch die zahlreichen Forts der französischen Fremdenlegion an den Brunnen entlang der strategisch wichtigen Verbindungswege Südalgeriens konnte an der faktischen Herrschaft der Tuareg über die Region nicht viel ändern.


Micha guckt mir über die Schulter. »Neue Erkenntnisse?« - »Nee, es wird steil, steinig und holperig, wie erwartet.« - Genau. Deswegen nehmen wir die Quer-Piste zurück nach Hassi Belguebour.« - »Echt?! Ist die nicht verboten?« - »Ja, aber mit Ab- und Anmeldung bei der Polizei in Illizi und Bordj Omar Driss geht’s.« Er steht an seiner XL und zeigt auf den am Lenker angebrachten Roadbook-Halter. Ich stehe auf und gucke mir das Roadbook an. Er und Olli haben in mühevoller Detailarbeit die Strecke von Illizi nach Bordj Omar Driss aufgezeichnet. Im Därr ist die Strecke in entgegengesetzter Richtung beschrieben, so dass sie den Verlauf, die Richtungsangaben und Entfernungen umdrehen mussten. »Na, hoffentlich habt ihr beim Umdrehen keine Fehler eingebaut.« Schon eine simple Rechts-Links-Verwechslung kann dazu führen, dass man 100 km in die falsche Richtung fährt und es erst merkt, wenn Benzin oder Wasser alle sind. »Nee! Alles dreimal gecheckt. Und Kompass und IGN-Karten haben wir auch dabei.« - »Na, cooler Plan. Dann viel Glück! Und schreibt mal ‘ne Postkarte, wenn ihr wieder am Meer seid.« Ich drücke ihm einen Zettel mit den Adressen von Chrischi und mir in die Hand. »Woll‘n wir die Strecke noch mal durchgehen?« - »Klar, wenn Du Lust hast.« Ich suche die Stecke C56 im Därr und fange hinten an: »8 km durch die Ebene. Überquerung des Wadi Tadjeradjéri. Dann 19 km am Plateau entlang, teilweise Wellblech...«. - »Passt.« So geht es mit viel Denken und Umrechnen weiter bis die 430 km bis Bordj Omar Driss geschafft sind. Ernthafte Fehler in Michas Road-Book finden wir nicht. Am frühen Nachmittag kommen Stefan und Andrea zurück in unser Lager gefahren.


Andrea springt aus dem Käfer: »Wir haben ein Guelta gefunden. Morgen ist Badetag!« Stefan ist weniger begeistert. »Die Auffahrt auf’s Fadnoun schaffen wir nie mit dem Käfer. Aber am Ortsausgang von Illizi ist eine große Tankstelle, war heute zu, aber ist morgen wieder geöffnet.« Er erzählt, dass zwanzig Kilometer hinter Illizi der Asphalt zu einer sandigen Piste wird und zehn Kilometer später der Aufstieg beginnt. Die Bergpiste ist schmal und die Spuren stark ausgewaschen. In den Spuren sind zum Teil Felsstufen von 30 oder 40 Zentimeter Höhe, die man auf der schmalen Piste mit einem Zweispurfahrzeug nicht umgehen kann. Außerdem ist es im Aufstieg mit einem Auto unmöglich zu wenden, so dass man im schlimmsten Fall rückwärts zurück in‘s Tal von Illizi fahren müsste. »Ihr wolltet eigentlich nach Djanet?«, frage ich. »Ja, unbedingt, wir wollten die Felszeichnungen sehen.« - »Ich hab vorhin ‘ne Stecke gesehen, die zwischen dem Fadnoun und der libyschen Grenze ‘runter nach Fort Gardel führt. Vielleicht passt die besser für den Käfer.« - »Cool! Lass‘ mal sehen.« Wir breiten die IGN-Karte der Gegend aus und legen den Därr daneben. Die Strecke C65 scheint so einfach, dass ich beinahe auch unseren Plan ändere. Eine einfachere Strecke, noch dazu mit einem Auto als Versorgungsfahrzeug klingt verlockend. Aber das Fadnoun-Plateau war von Anfang an einer der Höhepunkte unserer Steckenplanung – neben dem Aufstieg auf den Assekrem, der nächste Woche vor Tamanrasset auf uns wartet. Reto und Steffie stehen neben uns und verfolgen die neue Streckenplanung für Stefan und Andrea. »Vielleicht sollten wir da auch lang fahren«, sagt Reto und guckt Steffie an. »Ich weiß nich‘. Du musst fahren, also musst Du entscheiden.« - »Wenn ihr im Konvoi mit nem Auto als Wasser- und Benzinträger fahrt, ist das auf jeden Fall komfortabler.« - »Wir würden uns freuen und eure Kanister passen auf jeden Fall noch in‘s Auto.« - »Abgemacht«, Reto grinst und schüttelt Stefan die Hand.


Abends essen wir mal wieder Nudeln mit Tomatensauce.


Tag 18, Samstag


Nach einem kleinen Frühstück fahren wir alle zusammen nach Illizi. Unser Lager hier im Dünental ist von der Straße und der abzweigenden Piste aus unsichtbar, wir halten unsere Sachen hier also für völlig sicher.


Illizi ist eine kleine Stadt und wirkt heute fast ausgestorben. Im Vorbeifahren zeigt Andrea auf den kleinen Laden, wo sie Mittwoch die Lammkoteletts gekauft hatte. An einem kleinen Kreisverkehr in der Mitte der Stadt sehe ich eine Bank und stoppe davor. Chrischi und ich tauschen nochmals jeder 500 FF in Dinar. Am südlichen Ortsausgang steht eine große Tankstelle. Wir alle füllen alle verfügbaren Tanks und Kanister auf und kaufen jeweils 5 Liter Motoröl für unsere Fahrzeuge. Auf der ziemlich verwahrlosten Rückseite der Tankstelle ragt in der Mitte einer matschigen Pfütze ein Rohr mit Wasserhahn aus dem Boden. Ein Schild verkündet in Arabisch und Französisch ›eau potable‹. Wir füllen also auch unsere Wasserkanister auf. Die 40 kg mehr Benzin und Wasser auf dem Hinterrad machen sich beim Fahren sofort bemerkbar. Trotzdem fühlt sich die BMW mit voller Beladung besser und irgendwie zufriedener an. Eben ein Lastesel, der nicht gerne leer geht.

Direkt hinter Tankstelle zweigt eine Piste nach Osten ab, wahrscheinlich der Einstieg in die Strecke C65, die wir für Stefan, Andrea, Reto und Steffie ausgesucht haben.


Wir folgen erstmal dem Asphalt nach Süden für ein paar Kilometer geradeaus durch die letzten Ausläufer des Erg Issaouane, vor uns sind schon die schwarzen Felshänge des Fadnoun zu sehen, kurz vor den Felsen biegt die Straße nach rechts ab. Nach ein paar mehr Kilometern hört der Asphalt an einer weiteren Kreuzung auf.


Geradeaus beginnt die Strecke C56, die Micha und Olli nehmen wollen. Ein Wegweiser nach links behauptet, dies sei die National›straße‹ 3 nach Zaouatallaz, das wir unter dem alten französischen Namen Fort Gardel kennen, nach Djanet und Tamanrasset. Wir folgen der N3 auf einer festen Sandpiste einen Wadi hinauf. Die schwarzen Felsen rechts und links rücken immer näher an die Piste heran. Nach wenigen Kilometern blinkt Stefan nach rechts, wo sich ein kleines Seitental öffnet. Er nimmt die schmale sandige Piste nach rechts und nach wenigen Minuten stehen wir vor gelben und orangenen Felsen die ein kleines Guelta mit blau-grünem Wasser einfassen. Ich bin noch dabei, die BMW sicher abzustellen, als ich Chrischi schon ins Wasser springen höre.

Sa., 19. März 1988, Guelta südl. von Illizi


Eine Minute später liegen meine Sachen im Sand und ich bin auch im Wasser, das sicherlich 25° warm ist, sich aber troztzdem eiskalt anfühlt. Sechs Erwachsene mitten in der Wüste toben im Waser herum und führen sich auf wie Kinder. Später sitzen die meisten von uns auf der Straßenseite des Gueltas auf den Felsen und ich – als der ›Reisearzt‹ unserer kleinen Gruppe - muss mehrfach erklären, dass die Erreger der Bilharziose und anderer wassergebundener Krankheiten nur überleben können, wenn ihre Zwischenwirte ganzjährig im Wasser leben können. Guealtas und Wadis aber trocknen im Sommer regelmäßig aus und führen nur im Winter und Frühjahr Wasser.

Sa., 19. März 1988, Guelta südl. von Illizi


Als die Sonne dicht über dem Horizont steht, machen wir uns auf den Rückweg nach Illizi. Auf der Rückfahrt sehe ich, dass die Piste, die nach Westen abzweigt, da wo der Asphalt nun wieder beginnt, ebenfalls in die Berge führt und nicht, wie im Därr beschrieben in eine Ebene. Den Einstieg in die Strecke C56 von Illizi aus, müssen Micha und Olli noch mal genau überprüfen.

In Illizi stoppen wir vor einem Laden mit der Aufschrift ›Restaurant – Bar‹ und essen dort ein Couscous. Immer noch sind alle von unserem Badeausflug euphorisch und plappern wild durcheinander. Ich spreche kurz mit Micha über meine Zweifel über den richtigen Einstieg in ihre morgige Etappe. »ich frag‘ morgen beim Abmelden bei der Polizei, wie wir am besten auf die Piste kommen.« - »Ja, gute Idee.«


Zurück an unserem Lager, kontrollieren wir kurz, ob irgendetwas fehlt und gehen dann alle früh schlafen.


Tag 19, Sonntag

So., 20. bis Di., 22. März 1988 Illizi – Plateau de Fadnoun – Fort Gardel (© Institut Géographique National, 1967)



Ich wache von Klappern und Scheppern auf. Es ist schon hell, aber die Sonne steht nur knapp über den östlichen Dünen. Chrischi schläft noch, aber alle anderen sind schon dabei unser Lager abzubauen und die Fahrzeuge zu beladen. Ich krieche aus dem Zelt und beginne die morgendliche Kaffeeprozedur. Das Fauchen des Kochers scheucht dann auch Chrischi aus dem Zelt. »Geht’s schon los?« - »Nach dem Kaffee.« Zum letzten Mal setzen wir uns alle sechs um unsere Feuerstelle und trinken Kaffee. Die Zelte der anderen sind schon abgebaut und die XLs von Micha und Olli sehen reisefertig aus. Die Sachen von Reto, Steffie, Stefan und Andrea steht gepackt neben der BMW und dem Käfer. Ohne die Benzin- und Wasserkanister, die unter den Aluboxen eingeschoben waren und jetzt neben dem Käfer stehen, sieht die BMW fast nackt aus.

Eine halbe Stunde später sind meine BMW und Chrischis DR auch reisefertig. Micha und Olli verabschieden sich und fahren um die Düne herum zur Asphaltstraße nach Illizi. Fünf Minuten später fahren wir anderen auch los.


In illizi sehen wir die beiden XLs vor der Polizeistation stehen, wo Micha und Olli sich nach Bordj Omar Driss abmelden. An der Tankstelle füllen wir noch mal unsere Wasservorräte auf und verabschieden uns von den vieren, die das Fadnoun Plateau östlich umgehen.


Die ersten Kilometer unserer heutigen Etappe kennen wir schon von gestern. Hinter dem Abzweig zum Guelta wird das Tal schnell schmaler und die Piste steiler. Wie immer fährt Chrischi vorweg. Ich versuche gleichzeitig darauf zu achten, wie Chrischi auf seinem Weg vorankommt, und darauf, Hindernisse direkt vor mir rechtzeitig zu umfahren. Stefans Einschätzung bestätigt sich. Mit einem Vierradfahrzeug ohne große Bodenfreiheit ist der Aufstieg nicht zu schaffen. Ich fahre die meiste Zeit zwischen den beiden tief ausgewaschenen Fahrspuren und kann die hohen Stufen so auf dem weggespülten Geröll und Sand in der Mitte umgehen. An einer Stelle ist aber auch zwischen den Fahrspuren eine Felsstufe von dreißig Zentimeter Höhe, die ich rechts neben der rechten Fahrspur umgehe. Der rechte Koffer schabt am Fels und ich kann nicht langsamer werden, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, aber die Stufe ist geschafft.


Bei unserer ersten Pause nach einer guten Stunde sind wir weniger als 50 km gefahren. Trotzdem sitzen wir zufrieden und glücklich auf einem kleinen Geröllhaufen und bewundern die Aussicht auf die dunkelroten und schwarzen Sandsteinformationen. Gegen Mittag wird die Strecke flacher, wir haben das Plateau erreicht. Wir fahren noch ein paar Stunden weiter, dann suchen wir uns eine ebene Stelle links der Piste, wo wir unsere Motorräder ab- und das Zelt aufstellen. Wir sind vom fühen Morgen bis späten Nachmittag ohne richtige Pausen in schweißtreibender Art und Weise Motorrad gefahren und haben dennoch weniger als 200 km geschafft.

So., 20. März 1988, Camp auf dem Plateau de Fadnoun (© C. v. Ulmenstein, 1988)


Ein richtiges Abendessen haben wir für heute gar nicht eingeplant. Wir trinken Wasser, rauchen Zigaretten und gucken auf die schwarze Felswüste um uns herum. »Das sind zwar nur Sand und Steine, aber das ist wirklich schön.« - »Hmhm«, Chrischi nickt und lächelt.

Wir sitzen vor dem Zelt und mir fällt ein, dass ich noch eine Rolle runde Mini-Pumpernickel im Gepäck habe. Ich stehe auf und suche das Pumpernickel im ›Küchen-Koffer‹, dabei finde ich eine Konservendose mit geschälten, im eigenen Saft eingelegten Mandarinenspalten. Ich trage beides zum Zelt, werfe Chrischi die Pumpernickel-Rolle in den Schoß und öffne die Mandarinendose. Chrischi kann gar nicht aufhören, mich für meine Vorausplanung und guten Ideen zu loben. Tatsächlich ist das kleine Abendessen aus schwarzem Brot und Dosenmandarinen schmal, aber köstlich. »Du hast recht, aber das war die letzte Überraschung, die ich noch im Koffer hatte. Morgen müssen wir uns irgendwas anderes ausdenken.«


Tag 20, Montag


Wir sind beide bei Sonnenaufgang wach. Ich werfe den Kocher an und mache uns Kaffee, Chrischi kontrolliert Reifen und Speichen seiner DR.


Eine halbe Stunde später sind wir wieder auf der Piste nach Süden unterwegs, wobei ›Süden‹ nur die generelle Richtung zwischen unserem Lagerplatz und dem Etappenziel, Fort Gardel, angibt. Tatsächlich verläuft die Piste in einem weiten Zick-Zack Richtung West bis Südwest. Gegen Mittag erreichen wir eine große Hochebene, die rundherum von Bergen umgeben ist. Schon die Abfahrt in die Ebene ist sehr steil und die Piste stark ausgewaschen. In der Ebene wird die Piste mehrere Male von trockenen Wadis gekreuzt, die tiefe Querrinnen hinterlassen haben. Eine dieser Querrinnen sehe ich bei 60 oder 70 km/h zu spät, um vorsichtig hindurchzufahren und springe zumindest halb über die Rinne. Das Hinterrad schlägt hart an die jenseitige Kante. Die BMW beginnt zu schlingern, dahinter ist die Piste aber wieder fest und eben, so dass ich einfach weiterfahren kann. Bis auf das Adrenalin in meinem Körper scheint alles normal zu sein. Ich stoppe am Rand der Piste, um mich zu beruhigen.

Mo., 21. März 1988, Plateau de Fadnoun

Mo., 21. März 1988, Plateau de Fadnoun


Chrischi stellt die DR ein paar Meter entfernt ab. »Haste das Ding nich gesehen?« - »Doch, aber zu spät.« Wir setzen uns auf die kleine Böschung neben der Piste und rauchen eine Zigarette. Beim Blick auf die BMW sehe ich eine kleine Öllache im Sand rechts neben dem Hinterrad. Ich drücke die Zigarette im Sand aus und gehe zum Motorrad. Zwischen hinterem Schwingenarm und Hinterachsgetriebe tropft fröhlich Öl heraus. Eine der vier Muttern, die Schwinge und Hinterachsgetriebe miteinander verbinden sollen, ist einen halben Zentimeter vom Anschlag entfernt. Ich öffne das Werkzeugfach, suche den passenden Schlüssel und drehe die Mutter wieder auf ihrem Bolzen fest, die anderen drei Muttern sind ebenfalls schon ziemlich lose. Wir sind uns sicher, dass das nicht Folge des Schlags von eben war, sondern eher ein chronisches Problem ist. Die Schrauben am Kofferträger ziehe ich fast jeden Abend nach, ab sofort gehören auch die Vebindungen am Fahrgestell zur täglichen Wartungsrunde. Das Ölreservoir in der Schwinge fasst etwa einen Viertel Liter, so dass die 2 oder 4 Zentiliter, die ich hier im Sand sehe, nicht von Bedeutung sind, allerdings ist die dünne Papierdichtung mit Scherheit kaputt. Glücklicherweise werden wir noch für viele Hundert Kilometer nicht auf Asphalt fahren, so dass Öl auf dem Hinterreifen vorläufig kein Sicherheitsrisiko ist.

Nach einer halben Stunde fahren wir weiter. Links vor uns ragt ein schroffer schwarzer Felsen hoch in den Himmel. Obwohl ich das vorher natürlich gelesen hatte, ist es immer noch gewöhnungsbedürftig, dass Südalgerien eine Gebirgsregion ist. Der Gara Ihadja-n-Kli ist fast 1600 Meter hoch und eine der höchsten Erhebungen auf dem Fadnoun-Plateau. Die Piste führt zum südlichen Ende des Hochtals und dann nach Osten an den umschließenden Bergen entlang. Vor dem Gara Ihadja-n-Kli biegt der Weg nach Süden ab und wir verlassen das Hochtal durch eine weite Schlucht. Es geht auf steiniger Piste relativ steil bergab, in ein Tal mit grauem Geröll. Zwei Stunden später sind wir nach einem weiteren steilen Anstieg auf schmaler ausgewaschener Piste wieder auf einem Felsplateau und die Piste zweigt vor einem Abbruch nach Südwest ab. Immer wieder müssen wir mühsam Felsketten von 50 oder mehr Höhenmetern überqueren. Die zügige Fahrt von heute Mittag in dem Hochtal ist vorbei. Inzwischen ist die bereits tief stehende Sonne direkt vor uns. Nachdem die Piste einen weiteren Abbruch hinabsteigend wieder nach Süden führt, folgen wir ein paar Spuren nach Westen und finden hinter einem roten Hügel einen guten sichtgeschützten Lagerplatz. Wir bauen unser Lager auf und kochen uns Nudeln, die wir dann mit Zwiebeln und der algerischen scharfen Gewürzmischung, die wir in Illizi gekauft haben, anbraten. Dazu gibt es warmes Mineralwasser und hinterher einen Minztee.


Tag 21, Dienstag


Morgens während meiner Kontrollrunde um das Motorrad sehe ich schlechtgelaunt die kleine Öllache rechts neben dem Hinterrad und kontrolliere den Ölstand in der Schwinge, Norm sind 4 mm über dem Kardan, ich messe 2 und gieße einen Schluck des kostbaren Getriebeöls in die Schwinge. Spätestens in Tam muss ich die Dichtung ersetzen.


Nach einem schnellen Kaffee sind wir wieder auf der Piste, nach ein paar Kilometern erreichen wir die Pistenverzweigungng, wo es rechts nach In Amguel an der N1 und links nach Zaouatallaz geht. Wir folgen der Piste nach Osten und nähern uns dem steilen südlichen Abbruch des Fadnoun-Plateaus hinab in die Ebene des Wadi Bou Rahla. Kilometerweit folgt die Piste dem südlichen Abhang des Fadnoun, um dann mit einem Ausläufer des Bergmassivs nach Süden abzubiegen. War der Abhang die ganze Zeit südlich, ist er nun für einige Zeit westlich.

Di., 22. März 1988, Plateau de Fadnoun, Richtung Wadi Bou Rahla


Schließlich überquert die Piste den Ausläufer und führt auf seiner Ostseite in engen, aber gut zu fahrenden Kehren in das Tal des Oued Bou Rahla hinab. Chrischi ist drei oder vier Kehren vor mir und als ich vor der letzten Wende nach Norden bin, sehe ich ihn bereits unten in der weiten Ebene an der Spitze einer Staubwolke nach Süden preschen. Nach der letzten Kehre sehe ich den kleinen schwarzen Punkt ein paar Kilometer vor mir wieder schnell nach Süden fahren. Plötzlich verschwindet der schwarze Punkt in einer gelben Staubwolke, aus der kleinere schwarze Punkte herauskugeln. Ich gebe Gas und beeile mich, zur Unfallstelle zu kommen. 500 Meter bevor ich dort ankomme, sehe ich Chrischi mit beiden Armen winkend neben seinem schon wieder aufgerichteten Motorrad stehen. Dass er steht und winkt, ist erstmal ein gutes Zeichen. Das Gehirn, Arme und Beine scheinen noch zu funktionieren.


»Mann! Du machst ja Sachen. Biste noch ganz?« - »Ja, soweit gut, aber der Gepäckträger ist verbogen.« - »Was is’sen passiert. Ich hab nur gesehen, dass Du plötzlich in ’ner Staubwolke verschwunden bist.« - »Weiß auch nicht. Die Piste sah normal aus und plötzlich bin ich in ein Loch gefallen, der Sand ist an meine Beine gespritzt wie Wasser. Und dann ist die Fuhre weggeflogen« - »Fesch-Fesch!« Das arabische Wort bezeichnet fein zermahlenen trockenen Lehm, der vor allem in Wadiquerungen von durchfahrenden KFZ gebildet wird. Im unangenehmsten Fall werden tiefe fest getrocknete Spurrinnen mit Fesch-Fesch aufgefüllt und von einer dünnen Schicht Flugsand überdeckt, so dass die Oberfläche völlig normal aussieht, beim Befahren sinkt man dann in den Fesch-Fesch ein wie in Wasser und kommt in den unerwarteten, tiefen Spurrinnen zu Fall – wie ein Fahrrad in einer zugeschneiten Straßenbahnschiene. Genau das ist Chrischi passiert. Zum Glück hast er den Sturz heil überstanden und ist nach dem Motorrad aus der Kuhle geflogen, so dass die DR ihn nicht mehr treffen konnte. »Du warst aber auch zu weit voraus. Wir müssen dichter zusammen bleiben.« - »Aye, Aye, Captain.« Chrischi grinst und versucht, den Gepäckträger wieder in Ordnung zu bringen. Sein Nummernschild hängt auch nur noch an einer Schraube am hinteren Schutzblech, er reißt die verbliebene Schraube aus dem Plastik und steckt das Nummernschild in den Tankrucksack.


Di., 22. März 1988, Wadi Bou Rahla vor Fort Gardel


Schließlich richtet er die Träger mit ein paar Tritten so, dass das Hinterrad wieder frei dreht, sein Schlafsack und die Isomattte kommen auf die BMW. Wir folgen dem Wadi auf verdächtigem, aber festem Sand nach Süden, am späten Nachmittag kommen wir in Fort Gardel an, das eigentlich nur aus einer Kreuzung, einem Steingebäude (einem Teil des alten Forts der Franzosen) und ein paar Hütten aus Pressholz besteht. Das Steingebäude behauptet ein ›Bar-Café‹ zu sein, alles ist in den süß-saueren Geruch der Dieselabgase eines Stromgenerators getaucht. Wir stellen die Motorräder ab und gehen in das kleine dunkle Gebäude. Eine Wand wird von einem Regal mit den üblichen Fruchtsaftkonzentrat-Dosen bedeckt. Im Hintergrund brummt ein Kühlschrank. Der Mann hinter dem Tresen schickt seinen etwa 14-jährigen Sohn zu uns, der auf Französisch fragt, was wir möchten. Chrischi bestellt ›Saft‹, worauf der Junge die ungefähr zwanzig verschiedenen Sorten aufzählt. Bei ›Mango‹ nickt Chrischi und bestellt zwei Dosen. Der junge bringt die Dosen, die so kalt sind, dass sie trotz der Trockenheit sofort mit Kondenswasser bedeckt sind. Richtig kalt ist der dickflüssige Saft tatsächlich lecker. Wir fragen, ob es einen Campingplatz gibt, der Junge antwortet, dass wir hinter dem Gebäude zelten können, wenn wir hier essen. Womit dann auch die Frage, die wir noch gar nicht gestellt haben, beantwortet wäre. Die Speisekarte ist allerdings so kurz, dass der Junge sie auswendig weiß: »Coq grillé«


Wir bestellen zweimal Grillhähnchen. Uns wird dann je ein Hühnerschenkel gebracht, der außen schwarz verbrannt und am Knochen noch blutig ist.


Mit den zwei Dosen Mangosaft und einer Flasche Wasser bezahlen wir zusammen 1000 Dinar, fast 30 DM, dafür ist aber die Übernachtung und morgens ein Tee inklusive. Abends im Zelt beschließen wir, hier nie wieder Rast zu machen, obwohl uns der Weg von Djanet nach Tamanrasset wieder durch Fort Gardel führen wird.


Tag 22, Mittwoch

Mi., 23. März 1988 Fort Gardel (Zaouatallaz) - Djanet (© Institut Géographique National, 1967)


Wir sind so früh auf, das die Motorräder schon aufgepackt vor dem Gebäude stehen, als endlich der Wirt auftaucht, um uns den versprochenen Minztee zu kochen.

Mi., 23. März 1988, Fort Gardel


Der Därr verspricht für die Piste nach Djanet 150 einfache Kilometer. Die Piste ist nicht zu verfehlen und relativ fest. Ab Kilometer 20 droht heftiges ›Wellblech‹. Eine Oberfläche, die vor allem auf viel von LKW befahrenen Pisten anzutreffen ist und angeblich durch die Blattfederung von LKW und alten Geländewagen erzeugt wird. Die Piste sieht tatsächlich aus wie Wellblech, mit eine Frequenz von 20-50 Zentimeter und einer ähnlichen Amplitude. Fährt man langsam folgt man Wellentälern und -kämmen, ab einer von der Frequenz des Wellblechs und dem Achsstand des Fahrzeugs abhängigen Geschwindigkeit fallen die Räder nicht mehr in die Wellentäler und man fährt einigermaßen erschütterungsfrei nur noch auf den Wellenkämen. Da man aber nur noch einen Bruchteil der Strecke wirklich Bodenkontakt hat, verlängert sich der Bremsweg entsprechend und, wenn man langsam genug ist, knallen die Räder gegen den nächsten Wellenkamm. Wie versprochen sind die ersten 20 km noch relativ fest und eben, dann an der Einmündung der Haupt-Piste von der N1 beginnt das Wellblech, Chrischi findet die richtige Geschwindigkeit eher als ich und ist schnell nur noch an seiner Staubwolke zu erkennen. Ich fasse mir Mut und beschleunige ebenfalls, bei ungefähr 80 km/h hört das Rüttel und Stoßen plötzlich auf. Es fühlt sich an, wie in einem Flugzeug das den Kontakt zur Startbahn verliert und endlich nicht mehr rumpelnd über den Asphalt fährt, sondern ruhig auf der Luft fliegt. Und tatsächlich ist es so. Mehr als 80% der Strecke fliegt die BMW.


Am Pistenrand sind immer wieder die Folgen der unvermeidlich hohen Geschwingkeiten zu sehen. Kamel- und Ziegenkadaver, aber auch verschiedenste PKW hunderte Meter weit von der Piste entfernt auf dem Dach oder der Seite liegend.

Mi., 23. März 1988, Erg D'Admer


Ich sehe im Rückspiegel eine Staubwolke näher kommen und lasse die BMW vorsichtig am rechten Pistenrand ausrollen. Das Geschüttel wird halsbrecherisch, aber schließlich bin ich so langsam, dass ich auf der niedrigen Böschung anhalten kann. Ein Tanklaster rauscht mit etwa 120 km/h an mir vorbei. Der Luftzug reißt mich fast um. Als ich wieder losfahre, sehe ich, dass auch Chrischi angehalten hat, um den Profi vorbeizulassen. Schnell bringe ich die BMW wieder auf Fluggeschwindigkeit und nähere mich Chrischi sogar bis auf ein paar Hundert Meter. Näher will ich nicht heran, um nicht in seiner Staubwolke zu fahren. Ich sehe, wie Chrischi den Arm nach links ausstreckt und langsamer wird. Wir halten beide an. Nördlich der Piste stehen ein paar einzelne Felsen in den Dünen. Der Sand dazwischen ist durchsetzt mit vielen kleinen grünen Punkten. Die Wüste lebt.

Mi., 23. März 1988, Erg D'Admer


Wie schon auf dem Tinrhert und dem Fadnoun gesehen, muss es hier kürzlich geregnet haben. Überall sprießen Pflanzen aus dem Wüstensand. Wir machen ein paar Photos von dem kleinen Wunder und sprechen kurz über das Wellblech und den Tanklaster, dann geht es wieder weiter. Bei gut 80 km/h finden wir beide eine Geschwingkeit um ruhig leicht versetzt nah beieinander über das Wellblech zu gleiten. Trotzdem ist die Fahrt wahnsinnig anstrengend, weil wir uns die ganze Zeit voll konzentrieren müssen, um im Notfall rechtzeitg zum Halten zu kommen und gleichzeitig nach möglichen Hindernissen vor uns und rasenden LKW hinter uns Ausschau zu halten. Die Vorsicht ist richtig und wichtig. Kurz hinter einem Straßenschild, das die Entfernung nach Djanet mit 30 Kilometer angibt, hat ein querender Wadi die rechte Hälfte der Piste weggerissen. Da wir sowieso die ganze Breite der Piste nutzen, fahren wir langsam links an dem Abbruch vorbei.

Mi., 23. März 1988, Erg D'Admer


Etwas weiter ist die linke Seite der Piste für ein paar Hundert Meter unter einer Düne begraben. Auch dese Stelle passieren wir problemlos. Kurz danach trifft die Piste im rechten Winkel auf eine Asphaltstraße. Nach rechts weist ein Schild zum Flugplatz von Djanet, nach links in die Stadt. Es ist gut, die Geschwindigkeit wieder selbst wählen zu können und trotzdem erschütterungsfrei zu fahren.

Mi., 23. März 1988, Djanet


Wir feiern das Ortschild von Djanet wie einen großen Sieg. Mit Djanet haben wir den abgelegensten Punkt unserer Reise erreicht. Der Wendepunkt für die Rückfahrt zum Mittelmeer ist zwar erst in Tamanrasset, aber Tam liegt an der asphaltierten N1 und ist mit praktisch jedem Fahrzeug problemlos erreichbar, Djanet ist für Leute wie uns reserviert – und die wenigen Touristen, die per Fugzeug kommen.

Kurz vor der Ortsmitte liegt links ein kleines Hotel mit Campingplatz. Wir buchen einen Platz für die beiden Motorräder und unser Zelt. Für uns zwei zusammen berechnet der junge Mann an der Rezeption 120 Dinar pro Nacht (1,60 DM), im Preis inbegriffen ist ein Abendessen im Speisesaal und morgens ein kleines Frühstück.

Auf dem Campingplatz stehen zwei Motorräder, ein Zelt und ein Geländewagen-Wohnmobil. Die Kennzeichen der Motorräder tragen das schwäbische GP, beides sind XT600 Ténéré, eine im üblichen rot-weiß, die andere in schwarz-weißer Zebra-Lackierung. Die rot-weiße hat hinten am Ersatzreifen eine kleines besticktes Tuch befestigt, wie man es aus altertümlichen Küchen kennt. Der aufgestickte Spruch lautet, ›Wir fahren nur in die Ferne, um wieder heim zu kommen‹, das ehemals weiße Tuch ist gelb-grau von Staub. Wir bauen unser Zelt auf, machen eine kleine Kontrollrunde um die Motorräder und setzen uns für einen Minztee in den Schatten auf der Terrasse vor dem Speisesaal. Kurz danach hören wir den Muëzzin rufen, es ist also schon 18 Uhr. Wir haben für die 150 km von Fort Gardel hierher mehr als 6 Stunden benötigt, selbst wenn man die wenigen kurzen Pausen abzieht ergibt das eine Durchschnittsgeschwindigkeit von maximal 60 km/h, wenn man für die 130 km Wellblech eine Reisegeschwindgkeit von 80 km/h ansetzt, heißt das... Ich gebe das Rechnen auf. Fest steht: Wir können auch auf ebener Piste nicht mit viel mehr als 200 km am Tag rechnen. Für die nächste Etappe von gut 850 km nach Tamanrasset heißt das, dass wir vier bis fünf Tage einplanen müssen. Laut Karte und Därr gibt es maximal zweimal die Möglichkeit, Wasser und Lebensmittel aufzufüllen, Benzin gibt es ›unsicher‹ im Ort Idelès nach zwei Dritteln der Strecke. Falls es in Idelès Benzin gibt, reichen unsere Vorräte für den Weg nach Tamanrasset über die Berpiste und den Aufstieg zum Assekrem, wenn nicht, müssen wir über In Amguel und die N1 ausweichen.


Die Michelin-Karte und der Därr liegen vor uns und ich bespreche mit Chrischi die weitere Strecke. 850 km mit 70 Litern Benzin sollten auch bei schlechter Piste mit der BMW kein Problem darstellen, Chrischi hat ebenfalls 70 Liter Benzin dabei, die DR ist aber auch viel sparsamer als die BMW, so dass seine Reichweite deutlich größer ist als meine. 5 Tage mit 40 Liter Wasser pro Kopf ist allerdings schon an der Grenze des Möglichen. In der Wüste auf dem Motorrad sollte man mindestens 5 Liter pro Kopf und Tag trinken, für Zähneputzen, Kochen und Waschen bleiben dann nur noch 3 Liter pro Tag. Wir müssen also unseren Wasserverbrauch im Blick behalten und vor allem gut auf die Kanister aufpassen. Ein undichter oder verlorener Wasserkanister kann hier zu einem sehr ernsten Problem werden. »Wenn Du morgen deinen Gepäckträger reparierst, kontrollier‘ auch mal, ob deine Kanister noch alle dicht sind. Am besten halbvoll in die Sonne legen, dann sieht man gleich, ob irgendwo was rausdrückt.« Chrischi nickt.

Ein Glöckchen ruft zum Abendessen in den Speisesaal. Es gibt Couscous mit Lamm und eine kleine Flasche franösisches Mineralwasser dazu. Ich finde das Couscous sehr lecker. Ein ehrliches Sahara-Essen mit Fleisch, Gemüse und Kohlehydraten, ein bisschen scharf, was in der Hitze sehr angenehm ist.


Schräg gegenüber an unserem Tisch sitzen die zwei schwäbischen Motorradfahrer. Nach den üblichen Woher-Wohin-Fragen verabreden wir uns zum Minztee nach dem Essen auf der Terrasse.


Chrischi und ich sitzen schon auf unseren Plätzen von heute Nachmittag als Matthias und Thomas dazu kommen. Ein junger Kellner erscheint und wir bestellen vier Minztee. Während wir auf der Terrasse sitzen, kommt ein Geländewagen aus Deutschland (SB) auf den Campingplatz gefahren. Wie Chrischi und ich kennen Matthias und Thomas sich schon aus der Schule und wie ich war Matthias letztes Jahr alleine im Nahen Osten. Wir haben eben begonnen unsere Reisrouten zu vergleichen als das Land-Rover-Paar aus Saarbrücken auf die Terrasse kommt. »Hallo, ich bin Claus. Das ist Sonya. Gibt’s hier Bier? Sonst hol’ ich schnell was.« Claus ist ca. 30, groß und schlank, aber muskulös, er trägt schwarze halblange Hosen mit vielen Taschen und ein schwarzes ärmelloses T-Shirt, sein blondes Haar ist kurz geschoren. Sonya ist wie wir Anfang 20, auch schlank, aber kleiner als Claus, sie hat lange blonde Haare und trägt ein weites weißes Kleid. Das fängt ja gut an, denke ich, letztes Jahr in Samandağ hatte ich auch einen Claus und eine Sonya aus Saarbrücken getroffen, allerdings mit einem VW-Bus und einem sehr viel griesgrämigeren Claus. Claus ist schon wieder unterwegs zu ihrem Land Rover und kommt nach fünf Minuten mit zwei Trägern Dosen-Becks zurück. Einen Träger wirft er Sonya zu, die ihn mit einer Hand auffängt, den anderen stellt er vorsichtig auf den Tisch. Er reißt die Plastikfolie ab und drückt jedem eine sehr kalte Dose Bier in die Hand. »Ich hab dann auch gleich mal auf die Nacht-Batterie umgeschaltet.« Sonya reckt den Daumen hoch und macht ihre Bierdose auf. »Na, erzählt mal, wo kommt ihr her, wo wollt ihr hin?« Ich fasse ganz kurz Chrischis und meine Reise zusammen. Matthias erzählt von ihrem bisherigen Weg und dass sie wie wir über den Assekrem nach Tam wollen. Claus und Sonya wollen die südliche Piste von Djanet in den Niger und zur Oase Bilma fahren, die Ausgangspunkt der berühmten Salzkarawanen mitten durch den Erg du Ténéré ist. Für afrikabegeisterte Motorradfahrer haben schon die Namen einen magischen Klang – nicht umsonst hat Yamaha die Fernreiseenduro-Variante ihrer 600er XT ›Ténéré‹ genannt. Von Bilma wollen sie dann durch die Ténéré nach Agadez und von dort zurück über die ›Transsaharienne‹ nach Tamanrasset in Algerien.

Für mich klingt die Route traumhaft und Sonya und Claus machen den Eindruck, gut vorbereitet zu sein und als wüssten sie, was sie vor haben. Wahrscheinlich gucken wir die beiden so neidisch an, wie das deutsche Wohnmobilpaar vor El Oued uns anguckte. »Claus, sind nicht auf eurer Piste schon vor Jahren alle Balisen der Berliet-Expedition entfernt worden, damit da keiner lang fahren kann und keiner mehr verloren geht?« - »Ja, die Pfähle sind fast alle weg, aber es gibt da so viele Lagerplätze und Autowracks, dass man sich zurechtfindet. Und die Berge rund um Bilma findet man mit Karte und Kompass auf jeden Fall.« Sonya erzählt, dass ihr Großvater als Oberst der Legion bis zum Abzug der Franzosen 1962 in Fort Flatters, dem heutigen Bordj Omar Driss, stationiert war. »Auf Colonel Reichenberg!« Claus spricht den Namen französisch aus, aber vielleicht ist das auch nur sein saarländischer Dialekt, er hebt seine Bierdose. Ich bin skeptisch und frage, »Wann ist er denn in die Legion eingetreten? Gleich ‘45?« - »’39 noch im Internierungslager, sofort nach Demobilisierung der internationalen Brigaden. Meine Großmutter war da schon mit meiner Mama im Bauch in Mexico.« - »Spanienkämpfer. Auf Oberst Reichenberg.« Ich stoße mit Sonya und Claus an. »Ich wusste gar nicht, dass die Legion auch Kommunisten aufnimmt.« - »Er hat die Kommunisten fast so gehasst wie die Franquisten, er war in der Kolonne Durutti. Und die Legion kennt keine Parteien, nur Patrioten.« Sonya dreht sich halb um und zieht den linken Träger ihres Kleides ein Stück herunter. Auf dem Schulterblatt hat sie ein Agadez-Kreuz tätowiert, ein stehendes Oval mit einem Kreuz darunter, rundherum steht ›legio patria nostra‹. »Das gleiche hatte mein Opa auf dem Unterarm.« - »Ganz schön mutig, sowas offen in Algerien zu tragen.«

Matthias und ich kommen wieder auf unsere Reisen vom vergangenen Jahr zurück und stellen fest, dass wir gleichzeitig in Ägypten waren. Ich erinnere mich an das Bild der entgegenkommenden zebra-lackierten Reiseenduro im Niltal und frage, ob die Ténéré damals schon so lackiert war. »Schon seit ich sie ‘86 gekauft habe.« - »Ich glaube, ich habe dich Anfang Juni im Niltal Richtung Norden fahren sehen.« - »Kann sein, war am 14. wieder auf der Fähre.« Matthias und ich stoßen darauf an, dass wir uns schon zum zweiten Mal in Afrika zufällig begegnen.

Der junge Kellner kommt an unseren Tisch und fragt, ob wir noch ‘was bestellen wollen. Sie würden jetzt Feierabend machen. Claus fragt ihn auf Französisch, ob sie sich auch morgen früh noch anmelden können. Der Kellner nickt und sagt, der Chef sei sowieso schon zu Hause.

Sonya zieht den zweiten Träger Bierdosen unter ihrem Stuhl hervor, stellt ihn auf den Tisch und reißt die Plastikfolie ab. »Trinkt das Bier, bevor es warm wird.« Wir lassen uns nicht zweimal bitten und greifen zu. Deutsches Bier ist hier so wertvoll wie Gold, besonders wenn es wirklich kalt ist.

Chrischi und Thomas unterhalten sich über irgend’was anderes, ich höre mehrmals ›Waldorf-Schule‹. »Ihr ward zusammen auf’ner Waldorf-Schule?« - »Ja. Sollen wir unsere Namen tanzen?« Matthias lacht und steht auf. Ich lache auch, »Nee, lass‘ mal.«

Wir plaudern noch stundenlang weiter, Claus und Sonya gehen irgendwann zum schlafen in ihren Land Rover.


Tag 23, Donnerstag


Obwohl der Zeltplatz mit einigen Palmen und Bäumen recht schattig ist, wache ich früh von der stickigen Hitze im Zelt auf. Mein Kopf tut weh. Zwei Dosen Bier sollten eigentlich keinen Kater verursachen, aber bei der Hitze und der Anstrengung von gestern wirken zwei Bier wahrscheinlich anders als in Mitteleuropa.


Gestern hatte ich mit Chrischi besprochen, dass heute Vorbereitungstag mit Gepäck- und Motorradwartung und morgen Ruhetag ist. Samstag wollen wir zum Assekrem aufbrechen. Ich bin froh, heute mal nicht die Prozedur des Anwerfens des Benzinkochers als erste Tagesaufgabe vor mir zu haben. Es gibt Kaffee und ein kleines Frühstück im Speisesaal. Ich krieche aus dem Zelt. Matthias und Thomas sind auch schon auf. Beim Land Rover von Claus und Sonya sind die Vorhänge noch zugezogen. Ich gehe zu den Waschräumen im Hauptgebäude und Dusche ausgiebig. Das Wasser wird offenbar von der Sonne beheizt und ist jetzt noch ziemlich kalt. Aber unbegrenzt Wasser benutzen zu können, ist immer gut.


Als ich zurück zum Zelt komme, klopft Chrischi gerade seine Stiefel aus und plaudert schon mit Matthias und Thomas. Wir gehen zu viert zum Frühstücken. Der Kaffee ist erwartungsgemäß Nescafé und das Wasser wurde offenbar im selben Topf gekocht wie gestern das Couscous. Der Kaffee schmeckt deutlich nach Kreuzkümmel und man sieht kleine Fettaugen auf der Oberfläche schwimmen, aber mit einem Schuss Milch und genug Zucker spielt das keine Rolle. Dazu gibt es das dünne afrikanische Fladenbrot und verschiedene Marmeladen in kleinen Plastiktöpfchen mit Alu-Deckel, die Prägung auf der Unterseite verrät ›fabriqué en France‹. Trotz Couscous-Kaffee ist das alles irgendwie sehr schön und heimelig.


Als wir zurück zum Zeltplatz gehen, kommen Claus und Sonya uns entgegen, sie haben sich schon angemeldet und tragen das orangene Bändchen am Handgelenk, das ihnen Zutritt zum Speisesaal gewährt.

Zurück bei unseren Motorrädern schnalle ich zuerst den Tankrucksack ab und stelle ihn auf das Laken, das wir als ›Wohnzimmer‹ vor unserem Zelt benutzen. Für die BMW habe ich schon in den Dünen vor Illizi erfunden, den linken Benzinkanister als Seitenständer zu benutzen. Er steht mit der Schräge am Einfüllstutzen unter den linken Zylinderschutzbügel geklemmt. Das ist viel stabiler und komfortabler, als die BMW auf dem Hauptständer aufzubocken, besonders in weichem Sand. Bei der ersten schnellen Sichtprüfung rund um das Motorrad widme ich der kleinen Öllache rechts neben dem Hinterrad besondere Beachtung, es ist wieder ein schnapsglasvoll herausgelaufen, an dem Flansch zwischen Schwinge und Hinterachsgetriebe hängt ein Tropfen. Ich durchwühle meine Ersatzteile und finde den kleinen Pappkarton mit einem Dichtungssatz für Schwinge und Hinterachsantrieb – hätte ich sparsamer gepackt, wäre der sicherlich zu Hause geblieben, nun bin ich froh, dass ich die Dichtung ersetzen kann. Bis Tamanrasset oder Spanien kann aber erstmal alles so bleiben, wie es ist. Ich kontrolliere alle anderen Ölstände und fülle einen Viertelliter Motoröl nach, was für die anstrengenden gut 400 km von Illizi nach Djanet ein moderater Verbrauch ist. 

Dann öffne ich den Lichtmaschinendeckel und stelle die Zündung ein. Schließlich reinige ich noch die Vergaser, in den Schwimmerkammern finde ich das selbe schwarze Zeug, das den einen Benzinhahn verstopft hatte. Schluss der ›kalten‹ Wartung ist dann das Einstellen der Ventile. Dann fahre ich auf der Asphaltstraße Richtung Flugplatz, um den Motor warm zu fahren. Unterwegs schließe ich erst den einen, dann den anderen Benzinhahn, um zu prüfen, ob beide noch Durchfluss haben. Zurück am Campingplatz stelle ich die Vergaser ein. 


Zum Schluss drehe ich noch mal alle Schrauben eine Viertel Umdrehung los und eine halbe wieder fest. Die Befestigungen des hinteren Schutzblechs und fast alle Schrauben am Kofferträger sind schon wieder ziemlich lose.


Als ich mit dem Motorrad fertig bin, kommt das Gepäck an die Reihe, ich lasse ein Drittel des Wassers aus den Kanistern und lege sie fest zugedreht auf den Sand in die Sonne. Dann räume ich erst die eine, dann die andere Alubox aus, kontrolliere den Inhalt und räume sie ordentlich wieder ein. Das Gerüttel der letzten Tage hat meinen Müsli-Vorrat zu Mehl zermahlen. Ich leere den kleinen Baumwollbeutel in einen Mülleimer vor den Waschräumen und stecke den Beutel zusammengerollt in die Alubox. In der anderen Box sind meine Anziehsachen und dazwischen gut geschützt das wichtigste Gepäck der ganzen Reise - die belichteten Filme. Den Beutel mit der Schmutzwäsche werfe ich auf das Laken vor unserem Zelt. Heute wird wohl auch noch Waschtag werden.


Mittags kommt Chrischi zurück, er berichtet ein bisschen beschämt und mit schlechtem Gewissen, dass er in den Dünen vor dem Flugplatz einen Ölwechsel gemacht hat und das alte Öl direkt aus dem Motor in den Sand laufen ließ. »Das Gelände rund um den Fluplatz ist wahrscheinlich sowieso verseucht. Und falls nicht zufällig genau da eine Grundwasserschicht war, kommt das Öl nur da wieder an, wo es mal herkam«, versuche ich ihn zu beruhigen. Er nickt und kann wieder lächeln. Chrischi beginnt seine Wartungsrunde, den Ölwechsel hat er ja schon hinter sich. Ich gehe zu den Waschräumen und wasche meine schmutzigen Sachen. Hinterher spanne ich zwischen unserem Zelt und zwei Bäumchen eine Wäscheleine auf und kontrolliere die beiden Wasserkanister. Der Sand zeigt keinerlei Spuren von Wasser und die Kanister sind prall wie Fußbälle. Ich stelle die Kanister wieder in die Halterungen hinter den Aluboxen und zurre sie mit den dünnen Spanngurten fest.

Als meine Wäsche aufgehängt ist, frage ich Chrischi, ob er noch irgendwelche Hilfe braucht. Er flucht nur über die japanischen Ingenieure, die die Ventileinstellung der DR konstruiert haben, und winkt mit dem Kopf ab, die Hände stecken von beiden Seiten in dem engen Raum zwischen Zylinderkopf und oberer Rahmenschleife der Suzuki.


Matthias und Thomas sind nach dem Frühstück in den Ort gefahren, um eine Tour zu den Felsmalereien zu buchen. Ich gehe zur Terrasse, setze mich in den Schatten und bestelle einen Minztee. Ich habe wieder die Michelin-Karte vor mir ausgebreitet und den Därr aufgeschlagen. Die ersten 150 km kennen wir schon, danach wird es spannend. Wichtig ist zunächst, dass wir den Abzweig von der Amguid-Piste auf die In Amguel-Piste finden und an der richtigen Stelle nach Süden abbiegen. Die einzge Orientierungsmöglichkeit sind die im Därr angegebenen 92 km ab Fort Gardel. Die IGN-Karte zeigt einen ziemlich hohen Berg nördlich kurz vor dem Abzweig, zusammen mit der Entfernungsangabe kann das vielleicht als Orientierung dienen. Auf der Piste nach Idelès stehen im Abstand von 5 km Eisenstangen. Wenn wir die nicht finden, sind wir falsch und müssen zurück. Während ich versuche, mir die Landschaft anhand der Karte und der Beschreibung im Därr vorzustellen, höre ich das unverkennbare Geräusch eines BMW-Boxermotors. Eine weiße G/S mit zwei Passagieren biegt auf den Vorhof des Campingplatzes ein. Ich lege das Buch beiseite und rufe: »Chrischi, Reto und Steffie sind da!«


Chrischi kommt mit ölverschmierten Händen angerannt. Steffie springt von der G/S, sobald Reto gestoppt hat. Reto sucht noch nach einem Platz, wo er das schwere Motorrad sicher abstellen kann, ohne dass es im Weg steht, schließlich lehnt er sie einfach an den Pfosten vom Hotel-Schild. Wir umarmen uns. Ich frage, »Wasser oder Minztee?« Reto setzt den Helm ab und schüttelt den Kopf »Ich muss erstmal das Wellblech aus den Zähnen kriegen.« Ich fummele eine Packung Camel aus der Hosentasche und halte sie ihm hin. Er nickt, schüttelt eine Zigarette heraus und steckt sie zwischen die zitternden Lippen, er ist ganz weiß im Gesicht und die Hand mit dem Feuerzeug zittert ebenfalls heftig. »Ich glaube, Du bist vor allem dehydrid und musst mal ‘was Wasser trinken.« Steffie und Chrischi stehen schon neben uns und reichen Reto eine große Flasche französisches Mineralwasser. »Vorsicht! Langsam, das ist richtig kalt.« Reto setzt die Flasche an und trinkt sie in großen Schlucken halb leer. Dann schüttelt er wieder den Kopf, drückt Steffie die Flasche in die Hand und übergibt sich neben das Motorrad. Ich denke, und ich sach noch... und muss an den Abend mit Wowa und Tom und Marie und Peter in Assos denken und lächele in mich hinein. Steffie und Chrischi kümmern sich um Reto, sie führen ihn zu einem Stuhl auf der Terrasse. Ich schiebe mit dem Fuß etwas Sand auf die grünlich gelbe Lache neben der G/S.

Als Reto wieder ein bisschen Farbe im Gesicht hat, sagt Steffie, »Ich check‘ uns ein, Du nimmst erstmal ‘ne Dusche. Dann kümmern wir uns um die BMW und das Zelt.« - »Ich brauch’n Handtuch und Klopapier.« - »Hol‘ ich Dir. Warte kurz.« Stefie geht zur G/S öffnet den linken Koffer und kommt mit einem Waschbeutel zurück. »Ist alles drin. Geh‘ ruhig.«

Steffie und Reto gehen in das Hauptgebäude, Steffie zur Rezeption, Reto in die Waschräume. Als Steffie wieder da ist, frage ich, »Wo sind denn Stefan und Andrea? Und wie war Eure Fahrt?« - »Stefan und Andrea sind dann doch noch mal von Süden auf’s Fadnoun gefahren, sich die Felsmalereien angucken. Für den Käfer war die Strecke an der libyschen Grenze ziemlich schwierig. Viel weicher Sand. Wir haben das Auto jeden Tag ‘n paar Mal ausgegraben. Zuletzt heute Morgen, kurz vor Fort Gardel. Da war ‘ne fiese Wadi-Querung mit tiefem Fesch-Fesch.« - »Kenn‘ ich«, sagt Chrischi, lässt Steffie aber weiter erzählen. »Wir haben am Anfang des Tals vom Wadi Bou Rahla an einem Guelta, knapp 100 km nördlich von Fort Gardel übernachtet. Bis Fort Gardel haben wir zweieinhalb Stunden gebraucht, unterwegs haben die beiden dann endgültig entschieden, nicht nach Djanet zu fahren. Stefan und Andrea sind in Fort Gardel geblieben und wollen morgen früh auf‘s Fadnoun aufsteigen. Und von da direkt zur Piste nach In Amguel und zurück an’s Meer.« - »Die südliche Rampe ist ziemlich einfach, das schaffen sie ohne Stress.« - »Und ihr? Wie ist es euch ergangen?« Chrischi und ich berichten kurz von unseren Tagen zwischen Illizi und Djanet. Natürlich ist Chrischis spektakulärer Sturz das Highlight der Geschichte – und das unfassbar schlechte und teure Huhn in Fort Gardel. »Da waren wir auch, hatten aber nur ‘n Tee und ‘n Saft. Reto hätte besser ‘n großes Wasser trinken sollen als so’n kleinen Tee. Und dann haben wir uns schon dreiviertel in Djanet noch in’ner Sandverwehug festgefahren, haben fast ‘ne Stunde gebuddelt, um das Vieh wieder frei zu bekommen.« Steffie deutet auf die G/S. Ich lächle. »Jedenfalls das mit dem Wassertrinken hat Reto heute, glaub‘ ich, gelernt. Das passiert ihm so schnell nicht noch mal.«

»Was wird denn jetzt eigentlich mit deinem Gepäckträger?« frage ich Chrischi. »Den brauch‘ ich nich‘. Hab‘ ich schon abgeschraubt.« Ich gehe im Kopf Chrischis bisherige Gepäckaufbewahrung durch, »und die Kanister?« - »Die krieg ich schon irgendwo fest. Wenn Du dann noch Platz hast für meine Isomatte und den Schlafsack, dann passt alles.« Ich nicke, bin aber eigentlich nicht begeistert, dass die BMW zu Chrischis Begleitfahrzeug degradiert wird. »Na, das kriegen wir schon hin. Schließlich sind wir ja ‘n Team.« Sonya kommt mit öligen Hände auf die Terrasse. »Habt ihr zufällig ‘n 12/13er Maulschlüssel, den ihr nicht mehr braucht? Claus hat eben unseren 1-Zoll-Schlüssel abgebrochen und muss uns ’n neuen feilen. Es gibt auch ’n Bier für den Schlüssel.« - »Ich habe zwei. Chrischi, hast Du auch einen?« Chrischi nickt, »Klar!« - Dann könnt ihr einen von meinen haben. Ich brauche zwei zum Ventileeinstellen.« Ich stehe auf und gehe mit Sonya zum Zeltplatz. Ich krame den 12/13er aus dem Werkzeugfach und drücke ihn Sonya in die Hand. Claus sitzt im Sand vor dem Land Rover, er ist bis zu den Schultern ölverschmiert. Zwischen ihm und dem Wagen steht ein halbmeter großer Holzwürfel, den er als Werkbank benutzt. Sonya legt den Maulschlüssel auf den Holzklotz. Claus befestigt den Schlüssel mit einem Metallstreifen und zwei Holzschrauben an seiner ›Werkbank‹, misst die Schlüsselweite mit einer Schieblehre und beginnt, zu feilen. »Na, das kann ja ‘ne Weile dauern. Hoffe nur, deine Feile ist härter als Chrom-Vanadium. Was musste denn machen? Wenn Du Hilfe brauchst, sag Bescheid. Und vergiss nachher nich‘ das Bier.« - »Nur ‘n Ölwechsel am Sperrdifferential, die Ablasschraube ist schon ‘raus und dann wollte die Einfüllschraube nicht. Das ist so eng, da kommt man nur mit ‘nem Maulschlüssel ran. Aber das kriegen Sonya und ich schon hin. Danke.«

Ich nicke und gehe zurück zur Terrasse, Reto sitzt inzwischen auch wieder am Tisch. Er erzählt gerade noch mal im Detail von der Strecke C65, die zwischen Fadnoun-Plateau und libyscher Grenze hindurchführt. »Die Sandverwehungen fingen schon gleich hinter Illizi an. Bis zum Abzweig nach Süden am Brunnen von In Akeouet haben wir fast den ganzen Tag gebraucht. Am nächsten Tag haben wir mit Müh‘ und Not die 60 km nach Tarat geschafft. Allein an dem Tag haben wir den Käfer achtmal ausgegraben. Und am nächsten Tag das selbe.« - »Und zum Schluss haben wir uns noch in’ner Sandverwehung langgemacht.« - »Stimmt. Ich bin irgendwie mit dem Stiefel an der Fußraste hängengeblieben und die BMW ist auf mich d’rauf gekippt, Steffie ist davongekugelt. Stefan und Andrea haben dann die G/S aufgehoben, so dass ich wieder d‘runter raus kam. Passiert ist zum Glück nix.« - »Ich hab meine Minox verloren«, beschwert Steffie sich, »Die ist mir da aus der Jackentasche gefallen und im Sand verschwunden.« - »Schwund ist immer«, sage ich und grinse.

Jetzt kommen auch Claus und Sonya auf die Terrasse. Claus lässt einen Träger Bierdosen am Zeigefinger schlenkern. Seine Hände sind wieder sauber, nur an Oberarm und Schulter sind noch ein paar Ölschmierer. »Wer Bier?« Reto wehrt mit beiden Händen ab und hebt seine Wasserflasche hoch. Chrischi und ich greifen zu. Als Sonya sich auch eine Dose aufmacht und sie Steffie hinhält, nimmt diese sie nach kurzem Zögern an. Ich stelle die vier einander vor und Sonya beginnt sofort mit Steffie zu plaudern. Es sieht aus, als würden die beiden für die nächsten Tage beste Freundinnen werden. Kurz nachdem der Muëzzin die Gläubigen zum Abendgebet ruft, ruft uns das Glöckchen zum Abendessen. Es gibt wieder Couscous und Mineralwasser. Das Couscous erinnert mich an den Kaffee von heute Morgen und erzeugt zugleich das selbe freundlich-gemütliche Gefühl wie gestern Abend. Als wir schon fast aufgegessen haben, kommen Matthias und Thomas in den Speisesaal gestürzt, sie ergattern jeder noch eine Portion und setzen sich zu uns. Reto und Steffie stellen sich vor und erzählen, dass sie Chrischi und mich schon auf der Fähre und dann noch mal in Illizi getroffen haben. Matthias sagt, »Normal, ich hab' Gerd letztes Jahr schon in Ägypten getroffen.« Nach dem Essen sitzen wir zu acht auf der Terrasse. »Was ist eigentlich mit dem Land Cruiser aus Deutschland?« - »Keine Ahnung, ich kenn‘ auch nur den Wagen, die Leute hab‘ ich noch nie gesehen.« Ich gucke die anderen an, die zustimmend die Köpfe schütteln. Claus will von Matthias und Thomas wissen, wie ihre Tour zu den steinzeitlichen Felsmalereien war und mit welchem Führer sie sie gemacht haben. Die beiden berichten begeistert von den farbigen Zeichnungen von Jägern und Elefanten und Antilopen in den Höhlen oberhalb von Djanet und, dass ihr Tourguide Monsieur Benhaoued hieß. »Das haben die Leute vom Tourist-Office organisiert, war wirklich gut und kein Nepp. Ein paar Mark für den ganzen Tag.« - »Ach, 100 Dinar sind für einen Targi hier unten viel Geld. Aber, stimmt, für uns ist das fast nix.«


Claus trinkt seinen Minztee aus und überlegt schweigend. »Soll ich jetzt noch mal Bier holen. Dann ist aber Schluss für Djanet. Wir haben ja noch ‘n paar Monate vor uns und auch der Landy hat nicht unbegrenzt Platz.« Alle bis auf Reto heben eine Hand und Claus geht zum Land Rover. Das eiskalte Bier mitten in der Wüste ist herrlich - und das es das letzte ist, macht es noch herrlicher. Wir sitzen bis weit nach Mitternacht auf der Terrasse und erzählen uns Reisegeschichten. 


Tag 24, Freitag


Morgens bin ich wieder als erster auf. Auf dem Weg zum Wachhaus treffe ich das Paar, dass offenbar zu dem Land Cruiser gehört. Wir begrüßen uns fröhlich und führen das kurze Woher-Wohin-Gespräch. Sie sind über die Piste von In Amguel an der N1 hergekommen und haben die letzten Tage eine geführte Wanderung durch die Berge rund um Djanet gemacht, morgen wollen sie über das Fadnoun-Plateu nach Illizi. Sie erzählen, dass heute das berühmte Sebiba-Fest in Djanet ist und wir uns das unbedingt angucken sollen. Ich stimme zu, bin aber skeptisch und beginne zu überlegen:


  • Sebiba ist die nordafrikanische Version des muslimischen Neujahrsfests,
  • Neujahr ist im ersten, also nach dem letzten Monat des Jahres
  • Der letzte Monat des muslimischen Kalenders ist Ramadan
  • Ramadan begann letztes Jahr Ende April
  • das muslimische Jahr ist 29 Tage kürzer als unser gregorianisches
  • Ramadan beginnt dieses Jahr also frühestens Ende März
  • und kann also keineswegs jetzt, Ende März schon vorbei sein.


Trotzdem erzähle ich den anderen beim Frühstück von dem Tuareg-Fest. Ich hole meine Kamera, stecke mir noch einen Extra-Film in die Tasche und wir machen uns auf den Weg in das Zentrum vom Djanet. Schon an der übernächsten Kreuzung, an der sich das Postamt und die Bank befindet, ist die Straße, die vom östlichen Hügel hinabführt abgesperrt. Auf der anderen Straßenseite sitzen auf einer Ehrentribüne einige Honoratioren, Imame, der Bürgermeister, Provinzpräsident und ähnliche Würdenträger. 

Fr., 25. März 1988, Djanet


Die Straßen sind bereits mit einheimischem Publikum gesäumt. Männer und Frauen sind in ihre traditionellen Trachten gekleidet, Jungs und männliche Teenager überwiegend in Uniformen, Mädchen und weibliche Teenager in westlicher feierlicher Kleidung.

Fr., 25. März 1988, Djanet

Fr., 25. März 1988, Djanet


Chrischi und ich mischen uns unter das Publikum, nach zwanzig Minuten sind Trommeln zu hören und ein Zug von Tuareg kommt den Hügel heruntergetanzt, zuerst die Musiker mit Trommeln, Flöten und Saaiteninstrumenten, dann die Tänzer. Nach den Tänzern und einer Lücke von ein paar Hundert Metern kommt die nächste Gruppe auf Dromedaren und Pferden. Die französischen Besatzer nannten die Tuareg ›chevaliers du désert‹ und tatsächlich sehen die Nachkommen der stolzen Wüstenkämpfer in ihren indigo-blauen Dschellabas und schwarzen Turbanen und Gesichtsschleiern wie Ritter der Sahara aus.

Fr., 25. März 1988, Djanet


Die männlichen Tuareg verschleiern ihr Gesicht, damit die bösen Geister der Wüste nicht durch den Mund in ihre Seele eindringen können. Noch bevor der Umzug ganz an uns vorbei ist, habe ich den zweiten und für heute letzten Film belichtet und konzentriere mich nun darauf, die Darbietung der Tuareg und das Feiern des Publikums mit eigenen Augen genau anzusehen. Auch Chrischi ist unablässig dabei, zu photographieren. Gegen Mittag ist der Umzug endgültig vorbei und die Menge zerstreut sich langsam wieder. Wir kehren auf unsere Terrasse zurück und trinken einen weiteren Minztee. Nach und nach treffen auch die anderen wieder am Campingplatz ein. Wir bleiben bis zum üblichen Couscous am Abend auf der Terrasse und trinken viele weitere Minztees.


Nach dem Essen geht Claus zum Land Rover. Als er zurück kommt, wirft er eine Packung Marlboro auf den Tisch. »Bier gibt’s erst wieder in Bilma. Aber Zigaretten gibt’s reichlich. Und Ihr seid ja jetzt sowieso Minztee-Junkies geworden.« Wir sitzen stundenlang auf der Terrasse und bestellen einen Minztee nach dem anderen, bis der junge Kellner uns seinen Feierabend ankündigt. Claus bittet ihn, uns ein Kännchen Minztee zu bringen. Das ›Kännchen‹ ist dann eine ausgewachsene 1-Liter-Kanne. Ein geselliger Abend ohne Minztee ist in Nordwestafrika unvorstellbar. Ich schenke mir einen weiteren Minztee ein und sage, »Wir müssen morgen d’ran denken, dem Jungen ein ordentliches Trinkgeld zu geben.« - »Definitiv!«, sagt Claus. Die anderen Nicken.


Um zwei oder halb drei beschliessen Chrischi und ich das offesichtliche: wir fahren nicht morgen, sondern erst Sonntag weiter. Matthias und Thomas wollen auch Sonntag los und wir vereinbaren, als Vierergruppe die anspruchsvolle Route zum Assekrem zu fahren. Matthias, Thomas, Chrischi und ich schlagen unsere Fäuste gegeneinander. Thomas sagt, »Lasst es uns gemeinsam versuchen.« Ich sage, was ich bei solchen Gelegenheiten immer sage: »Meister Sauerbrey, der in Hannover die Zylinder der BMW bis auf zwei Zahntel vor den Grauguss aufgeschliffen hat, sagte, ›Nee, wir versuchen das nich‘. Wir machen das oder wir lassen das.‹«. Wir vier rufen, »Wir machen das!« Claus grinst und schenkt sich noch einen Tee ein.


 Als wir gegen vier alle zu unseren Schlafstätten gehen, fühlen wir uns alle ein bisschen betrunken, obwohl niemand einen Tropfen Akohol getrunken hat.


Tag 35, Samstag


Nach dem Frühstück sitzen Matthias und ich schon wieder mit unseren Karten und dem Därr auf die Terrasse als Reto und Steffie winkend an uns vorbeifahren. Sie fahren heute schon zurück nach Fort Gardel und von dort weiter zur N1 und zum Mittelmeer. Wir haben uns beim Frühstück schon ausgiebig verabschiedet und Adressen getauscht. Wir gehen die Route für morgen ein weiteres Mal durch. Wir wollen am Sonntag auf jeden Fall hinter den Abzweig zur Piste nach Im Amguel kommen, mit etwas Glück bis zum verlassenen Fort Serouenout. Laut Därr gibt es dort einen dauerhaft wasserführenden Brunnen. Und in einem ehemaligen Fort der Fremdenlegion zu übernachten, ist auf jeden Fall besser als hinter irgendeinem Hügel neben der Piste.


Wie ich schon vorgestern festgestellt hatte, ist das einzige ernsthafte Problem, den Abzweig von der Hauptpiste nach Süden nicht zu verpassen. Von Serouenout bis Idelès ist die Piste laut Därr dann relativ einfach und gut markiert. Hinter Idelès gilt es wieder, aufzupassen und den Abzweig in Hirhafok Richtung Assekrem zu finden. Ab hier geht es steil bergauf zum Assekrem-Plateau auf rd. 2.800 m Höhe im Hoggar-Gebirge. Vom Assekrem geht es dann eine Tagesreise wieder bergab nach Tamanrasset.


Wir markieren ein paar relevante Punkte auf der Karte und Matthias macht sich Notizen in einem kleinen Büchlein.

Als wir das Gefühl haben, die beste Route gefunden zu haben, packen wir Karten und Bücher zusammen und trinken noch einen Minztee. Hinterher gehen wir zurück zu den Motorrädern und bereiten alles, was jetzt schon möglich ist, für den morgigen Aufbruch vor. Chrischis DR sieht ohne den Kofferträger schlank und sportlich aus – wenn man den klobigen, riesigen Tank nicht beachtet. Sonya und Claus wollen auch morgen früh aufbrechen und bereiten ihren Land Rover auf die 700 Kilometer unmarkierte Piste ins Herz der Sahara vor.


Abends gibt es ein letztes Mal Couscous mit Lamm und einen Minztee auf der Terrasse. Nach einem Tee verabschieden wir uns vorsorglich von Sonya und Claus und gehen alle früh schlafen.


Tag 26, Sonntag

So. 27. März 1988, Djanet – Fort Gardel (© Institut Géographique National, 1967)


Ich wache kurz nach Sonnenaufgang auf und krieche leise aus dem Zelt. Ich gönne mir noch eine ausgiebige Dusche bevor unser Wasser für einige Tage nur noch zum Trinken und Zähneputzen reserviert ist.


Als ich aus dem Waschhaus komme, sind Matthias und Thomas schon dabei aufzupacken und Sonya wuselt um den Land Rover herum. Schließlich guckt auch Chrischis Kopf aus unserem Zelt. Ich winke ihm zu, »Frühstück?« - »Immer.« Er kriecht aus dem Zelt, klopft seine Stiefel aus und wir gehen frühstücken.


Nach dem Frühstück verabschieden wir uns noch mal richtig von Sonya und Claus und packen die letzten Sachen auf die Motorräder. Kurz nach neun sind wir auf der Asphaltstraße Richtung Flugplatz. 

Die Piste nach Fort Gardel ist inzwischen deutlich sandiger als vor ein paar Tagen auf der Hinfahrt. Besonders auf den östlichen Abfahrten der vielen kleinen Hügel befinden sich immer wieder Sandverwehungen mit tiefe Spurrinnen. Obwohl die BMW jetzt vollgetankt und mit vollen Kanistern noch schwerer und unhandlicher ist als auf der Hinfahrt, komme ich ganz gut durch den Sand.


Bis mich kurz vor dem Abzweig nach Fort Gardel eine Verwehung hinter einer Hügelkuppe überrascht und ich statt Zug auf‘s Hinterrad zu bringen, Gas wegnehme. Sofort beginnt das Vorderrad in der Spurrinne zu pendeln, in Panik werde ich noch langsamer und das Vorderrad fährt nach links aus der Spur. Die ganze Fuhre kippt nach rechts. Mein rechtes Bein liegt unter dem Motorrad, aber sonst scheint alles heil zu sein. Allerdings bohrt sich ein Teil des Kofferträgers in meine Wade, wenn ich versuche, das Bein herauszuziehen. Ich blicke sorgenvoll zurück auf den Hügel und lausche, ob ich einen LKW höre. Bei der hier üblichen Geschwindigkeit hätte er sicherlich keine Zeit mehr, mir auszuweichen oder anzuhalten. Stattdessen höre ich das unverkennbare Bollern eines großvolumigen Einzylinders und sehe Thomas über die Kuppe fahren. Er weicht weit nach links aus, lehnt die Ténéré gegen den Rand der entgegenkommenden äußeren Spurrinne und rennt zu mir.

So. 27. März 1988, Erg d'Admer


Ich sage, ihm, dass es mir gut geht, aber ich nicht unter der BMW ‘rauskomme. Thomas hebt die BMW etwas an und ich kann das Bein herausziehen. Er will die blutende Wunde an der Wade gleich verbinden. »Lass uns erstmal hier von der Kuppe abhauen bevor uns doch noch ‘n Laster umnietet. Thomas hilft mir die BMW wieder auf die Räder zu stellen und wartet bis losfahre bevor er selbst startet. Nach ein paar Minuten sehen wir vor uns Matthias und Chrischi am Abzweig nach Fort Gardel warten. Ich halte neben Chrischi, »Nur ‘n kleiner Umfaller, lass uns erstmal nach Fort Gardel.« Thomas hat inzwischen mit Matthias gesprochen und zu viert nehmen wir den Abzweig zum ungeliebten Fort Gardel.

So., 27. März 1988, Fort Gardel


Wir parken die Motorräder vor dem berüchtigten Bar/Café und bestellen vier Minztee. Thomas reinigt meine Wunde und legt einen ziemlich professionellen Verband an. »Zivildienst auf’m Rettungswagen«, erklärt er. »Lernt man da auch sticken und fromme Sprüche?« frage ich und deute auf das Tuch an seinem Ersatzreifen. »Nee! das hat meine Oma gemacht, damit ich heil zurückkomme.« Thomas lacht. Nach dem Tee kontrolliere ich die BMW, auch hier scheint alles glimpflich abgelaufen zu sein. Ich fülle das Benzin aus dem ersten Ersatzkanister in den Tank und tausche den schweren vollen Wasserkanister gegen den leichten leeren Benzinkanister von hinten nach vorne auf dem Gepäckträger, um weniger Gewicht hinter der Hinterachse zu haben. Es ist inzwischen mitten am Nachmittag und wir überlegen, ob eine Weiterfahrt heute noch Sinn ergibt. Die größte Orientierungsherausforderung der ganzen Reise in der hereinbrechenden Dämmerung zu versuchen, wollen wir nicht riskieren, und entscheiden, wieder in Fort Gardel zu übernachten, auch wenn das bedeutet, hier wieder essen zu müssen.


Das gegrillte Huhn ist ebenso schlecht wie letzte Woche und auch noch genauso teuer.


Wir stellen unsere Zelte hinter dem Steingebäude auf und gehen früh schlafen.


Tag 27, Montag

Mo., 28. März 1988, Fort Gardel - Fort Serouenout  (© Institut Géographique National, 1967)


Wieder sind wir so früh auf den Beinen, dass die Motorräder fertig gepackt vor dem Café stehen, als der Besitzer ankommt, um uns unseren Frühstückstee zuzubereiten.


Nach dem Tee verlassen wir Fort Gardel in südlicher Richtung. Als die südlichen Ausläufer des Tassili N’Ajjer rechts verschwunden sind, biege die Spuren nach Südwest ab. Die Piste ist jetzt viele hundert Meter breit und es ist immer möglich Sand oder Wellblech aus dem Weg zu gehen.


Chrischi ist schon wieder weit voraus. Matthias, Thomas und ich fahren dicht beieinander in einer versetzten Reihe. Gegen Mittag weist Matthias nach rechts. Dort befindet sich der einzelne Gipfel, den die IGN-Karte gezeigt hatte. Innerhalb der nächsten 20 Kilometer muss irgendwo links der Abzweig unserer Piste sein. Seit Fort Gardel sind wir laut meinem Tacho 90 km gefahren, laut Därr liegt der Abzweig bei Kilometer 92. Wir halten an und besprechen die Lage. Chrischi ist inzwischen nur noch an seiner Staubwolke zu erkennen. »Wenn wir nicht mehr hinter ihm sind, wird er schon zurückkommen.« Wir warten und rauchen Zigaretten. Nach ein paar Minuten brettert ein LKW mit mindestens 100 km/h nur ein paar Meter entfernt an uns vorbei. Thomas schreit ihm nach »Ey! Fahr doch woanders oder ist dir die Wüste nicht groß genug!« Matthias und ich lachen. Als ich die zweite Zigarette anzünden will sehe ich, dass von vorne eine Staubwolke näher kommt.


Chrischi hält neben uns und fragt, ob alles OK ist. »Wir haben nur gewartet, dass Du zurück kommst. Wir müssen irgendwo da vorne links abbiegen.« Thomas klingt ein bisschen ärgerlich, obwohl es dafür eigentlich keinen Grund gibt. Aber vielleicht bin ich Chrischis ungebändigten Fahr- und Tatendrang einfach nur schon besser gewöhnt.

Mo., 28. März 1988, Nationalstraße 55 in der D'Admer-Ebene


Wir queren die Piste und fahren am linken Rand weiter nach Westen. Wir versuchen, die Spuren der Hauptpiste nördlich von uns nicht aus dem Blick zu verlieren und gleichzeitig den Abzweig nach Süden zu finden.


Nach wenigen Minuten hupt Matthias einmal lang und dreimal kurz. Er ist am Rand der Piste stehengeblieben, dort zweigen viele Spuren nach links ab und in ein ein paar Hundert Metern Entfernung sehe ich eine Eisenstange mitten auf der Piste nach Süden. Ich fahre hin, sehe in weißer Farbe die Buchstaben TAM von oben nach unten aufgemalt. Ich fahre um die Eisenstange herum und zurück zu den drei anderen. »Das ist die Piste! Es gibt sogar Balisen.« Ich zeige nach Süden und während ich wende, fahren die anderen Richtung Tamanrasset los.


Die Piste ist schmaler und sandiger als zuvor. Nach wenigen Kilometern müssen wir einen trockenen Wadi durchqueren. Es gibt ein paar Felsen und sehr weiche Passagen, aber für uns alle klappt die Querung problemlos. Hinter dem Wadi wird die Piste noch schmaler und führt durch schroffe Felsen und Hügel hindurch. Mindestens alle Hundert Meter beweist eine kleiner Haufen aufeinander gestapelter Steine, dass wir noch auf dem richtigen Weg sind. Auf manche ist in weiß ›TAM‹ gepinselt. Die Piste führt in Kurven um die Hügel herum, es geht stetig leicht bergauf, der Untergrund ist weicher Sand, aber selbst für die schwere BMW leicht zu bewältigen. Am Rand der Piste sehen wir immer wieder Autowracks, die meisten sind nicht mehr zu identifizieren, ein ausgebrannter 2CV ist aber leicht zu erkennen. Weit rechts voraus sehe ich einen schwarzen pyramidenförmigen Berg. Gleichzeitig sehe ich am rechten Pistenrand einen Mann gehen - der ein Fahrrad schiebt! Wir fahren alle näher heran. Der Mann ist inzwischen stehen geblieben und winkt uns zu. Wir halten kurz, um zu fragen, ob er Hilfe benötigt. Er winkt ab und sagt, »Wir sehen uns dann gleich im Fort.«

Mo., 28. März 1988, Ebene vor dem Fort Serouenout


Wir fahren auf inzwischen wieder breiter und fester, steiniger Piste direkt auf den schwarzen Berg zu. Hinter einem auffälligen Tafelberg hat sich links eine weite Ebene geöffnet. Vor dem schwarzen Pyramiden-Berg stehen die Ruinen des Fort Serouenout. Wir fahren zum Tor in der gut erhaltenen Steinmauer und bleiben einen Moment stehen – wie um auf Erlaubnis zur Einfahrt zu warten. Chrischi fährt als erster in den Hof und parkt die DR im Schatten der Mauer neben einem Gebäude mit leeren Tür- und Fensteröffnungen.

Mo., 28. März 1988, Fort Serouenout


Wir drei folgen seinem Beispiel. Die Gebäude stehen mit Abstand zur Mauer, bis auf die ehemalige Latrine, die diese Aufgabe auch nach dem Abzug der Franzosen dem Geruch nach beibehalten hat. Wir begutachten das größte Gebäude in der Mitte der Anlage und wählen es als Übernachtungsort. Es ist erst Nachmittag, die heutige Etappe haben wir schneller als erwartet geschafft. Wir packen die Übernachtungssachen ab und werfen sie in das Gebäude. Der Boden des Gebäudes besteht wie der Hof innerhalb der Mauern und die Fläche außerhalb aus weichem Sand.

Mo., 28. März 1988, Fort Serouenout


Thomas ruft uns vom Tor zu sich. Der Radfahrer kommt zügig auf das Fort zugefahren.

Er stoppt direkt vor unseren Füßen. »Hi, ich bin Fritz. Wollt ihr euch nicht mal was bequemeres anziehen?« Er trägt Leder-Sandalen, halblange Hosen, ein T-Shirt und einen breikrempigen Baumwollhut, alles in blassem olivgrün. »Hallo, ich bin Matthias und das sind Thomas, Chrischi und Gerd. Wir sind auch eben erst angekommen.« - »Nehmt ihr mich in eurem schönen alten Haus auf. Ich habe eigenes Wasser und Essen und schnarche auch nicht.« Ich mache eine einladende Geste und sage, »Die französische Republik, die dieses Haus gebaut hat, heißt dich willkommen.« Fritz lacht, führt seine rechte Hand an Stirn und Herz und deutet eine Verbeugung an, um uns zu danken.

Er schiebt sein Fahrrad in den Hof und lehnt es neben den Motorrädern an die Mauer, Matthias folgt ihm und zeigt ihm unseren Schlafplatz und wo die Latrine ist, währenddessen wandern wir vor dem Fort herum. Einer der Gründe, das Fort genau hier zu errichten, war der unverfehlbar von weitem sichtbare schwarze Berg hinter dem Fort. Und natürlich der Brunnen an der strategisch wichtigen Route von Tamanrasset nach Djanet. Thomas steht am Brunnen und wirft einen kleinen Stein hinein. »Der hat noch Wasser!« Wir gehen auch zum Brunnen. Neben dem einen Meter messenden runden Loch liegen die Reste einer Holzkonstruktion, eine Hanfleine und ein paar kaputte Blecheimer und Plastikkanister. Thomas knotet die Leine schon an einen Eimer. Fritz ruft vom Tor her, »Heute wird geduscht!« und läuft zu uns.


Mo., 28. März 1988, Hassi Serouenout


Thomas hat inzwischen festgestellt, dass die Hanfleine ein wenig zu kurz ist, um das Wasser zu erreichen. Fitz lässt sich dadurch aber nicht von seinem Duschplan abbringen, »Dann kletter‘ ich ‘runter, füll‘ die Kanister auf und binde sie an der Leine fest. Ich sage was von Brunnengas und, dass er da auf keinen Fall ‘runter klettern soll. Er zieht ein Feuerzeug aus der Tasche, »Solange das brennt, ist da genug Sauerstoff zum Atmen.« - »Oder Methan und Du fliegst direkt zum Mond.« - »Wartet mal.« Fritz geht ein paar Meter weiter und reißt einen vertrockneten Busch aus dem Sand. Er geht zum Rand des Brunnens und wir alle stellen uns rundherum auf. Er zündet die trockenen Zweige an und wirft den Busch in das Loch. Er brennt bis zum Wasserspiegel und ein Teil sogar noch als der Busch schon auf dem Wasser schwimmt.

 

»Sauerstoff und kein Methan!« Ich bin noch nicht ganz überzeugt, habe aber keine Argumente mehr. Fritz sucht einen Kanister aus, der noch am heilsten aussieht und wirft ihn in den Brunnen. Dann setzt er sich neben das Loch und stützt seine Füße an einer Brunnenwand ab während er sich langsam über das Loch bewegt und den Rücken an der gegenüberliegen Wand abstützt. So arbeitet er sich langsam die fünf Meter bis zum Wasserspiegel hinab. Wir hören es platschen als er sich das letzte Stück fallen lässt. »Schön kühl hier unten. Werft das Ende vom Strick ’runter.«

Mo., 28. März 1988, Hassi Serouenout


Eine halbe Stunde später steht Fritz nackt neben dem Brunnen und lässt sich die hart erarbeiteten zehn Liter Wasser über Kopf und Körper laufen. »Boah! Ganz schön salzig. Aber gut.«


Abends essen wir die üblichen Camping-Nudeln mit Tomatenmarksauce. Alle - bis auf Fritz, der darauf besteht, vegetarisch zu essen - mischen sich noch ein paar Stückchen Ölsardinen unter die Nudeln. Dazu gibt es lauwarmes nach Plastik schmeckendes Wasser aus unseren Kanistern. Nach dem Essen lasse ich eine meiner Camel-Packungen durch die Runde gehen. Fritz zieht einen kleinen Lederbeutel aus der Tasche und beginnt einen Joint aus Gras, ohne Tabak zu bauen. »Tabak ist einfach zu ungesund.« Fritz lacht und zündet die Tüte an.


Wir sind natürlich alle neugierig auf Fritz‘ Reisegeschichte und er erzählt gerne von seiner Fahrradtour von seinem Bauernhof in der Eifel nach Marseille und weiter nach Algier und dann nach Süden in die Sahara, nach einer weiteren Zigarette gehen wir alle schlafen.


Tag 28, Dienstag

Di., 29. März, Fort Serouenout - Camp hinter Hirhafok (© Cartes Routière et Touristique Michelin, No. 153, 1986)


Als ich das erste Mal aufwache, ist es noch dunkel vor den glaslosen Fensterhöhlen. Ich schlafe wieder ein und wache später vom Geklapper von Töpfen und Besteck auf. Der Helligkeitsunterschied von drinnen und draußen ist so groß, dass ich fast nichts sehen kann. Aber ich höre Chrischi und Thomas leise miteinander sprechen.


Ich öffne den Schlafsack und stehe auf. Im Hof sitzen Chrischi und Thomas in der Sonne und plaudern. Ich bringe den Benzinkocher zum Laufen und koche Wasser für Kaffee. Das Fauchen des Kochers weckt dann auch Matthias und Fritz auf. Wir haben noch ein paar Fladenbrote und Marmeladentöpfchen aus Djanet und improvisieren ein Frühstück. Fritz will keinen Kaffee und kein Brot. Er mischt Haferflocken mit Olivenöl und trinkt dazu Wasser mit einem Schuss Olivenöl. »Gut für die Verdauung, leicht zu transportieren und ewig haltbar.« Fritz grinst und bietet uns seinen Becher an. Alle lehnen lachend ab. Bis wir aufgepackt haben und reisefertig sind, ist es zehn Uhr.

Di., 29. März, Balise Richtung Tamanrasset hinter Fort Serouenout


Kurz hinter dem Fort verzweigt sich die Piste an einem schwarz-gelb gestrichenen Stahlträger, wir folgen dem Rat Därrs und nehmen die linke Piste. Bis zum Abzweig war die Piste fest und für Motorräder leicht zu fahren, jetzt windet sich der Weg durch ein enges Tal, am Rand des Tals stehen sogar ein paar große Bäume, links sind die Gipfel des Hoggar zu sehen. Der Weg führt in weichem Sand hinab in ein weites steiniges Tal.


Ich versuche, die kurzen Weichsandpassagen so zügig wie möglich zu durchqueren, heute klappt das ganz gut und ich blicke zuversichtlich auf die weitere Strecke, die laut Därr längere sandige Abschnitte haben wird. Und direkt am Ende der steinigen Ebene, die wir in hoher Geschwindigkeit durchqueren, folgt eine Wadiquerung, deren Ausfahrt wieder aus sehr weichem, tiefen Sand besteht, der Sand an der kurzen Steigung hält die BMW fest wie Kaugummi und schließlich bin ich so langsam, dass ich umkippe. Wieder ist es Thomas, der hinter mir fährt und mir beim Aufrichten der 250 Kilo hilft. Es ist schon fast Mittag, aber wir haben erst ungefähr 100 km geschafft. Die linke Site der Piste ist unter Dünen verschwunden, wir versuche, sie rechts zu umgehen,ohne zuweit von der Hauptpiste abzuweichen. Ich fahre mich noch ein paarmal fest und Thomas muss mir wieder und wieder helfen, die Fuhre aufzurichten. Zuerst verwünsche ich im Geist Chrischi dafür, dass ich sein Gepäck herumfahren muss und die sowieso schon schwere BMW mit noch mehr Gewicht noch schwerer zu handhaben ist.

Di., 29. März 1988, Piste zwischen Fort Serouenout und Hirhafok


Aber die Erfahrung der vielen kleinen Sandverwehungen lehrt mich, dass die Umfaller nicht Chrischis Schuld sind, sondern meine eigene. Ich muss den Sand mit mehr Mut nehmen und mit Vertrauen in die Massenträgheit, die die BMW auf geradem Weg wieder herausführen wird, und die Kreiselkräfte der Räder, die uns in der Senkrechten halten. Durch die meisten Weichsandpassage kommeich inzwischen gut hindurch, einige Male muss Thomas aber doch noch zu Hilfe eilen. Nach 20 mühsamen Kilometern wird die Piste wieder breiter und fester. Die BMW hat immer wieder Zündaussetzer, die ich mir nicht erklären kann, Benzin ist ausreichend vorhanden. Vor mir sehe ich Matthias und Chrischi neben einem Eisenpfahl stehen. In weiß ist darauf geschrieben ›TAM 280‹, das ist die Entfernung um den Assekrem herum. Unser Weg ist über 100 km kürzer, dauert aber länger, weil wir nebenbei noch knapp tausendfünfhundert Höhenmeter hinauf und wieder hinab müssen. Da sowieso alle für einen Photostopp angehalten haben, stelle ich die BMW mit laufendem Motor ab und suche die Ursache für die Zündaussetzer. Das Massekabel an der Batterie hält nur noch mit einigen Adern, wahrscheinlich hat Thomas bei einem der vielen Aufrichtversuche das Kabel statt das Rahmenrohr erwischt und es fast abgerissen. Ich kürze das Kabel um fünf Zentimeter und klemme es wieder an die Batterie an. 50 km weiter erreichen wir einen Abschnitt mit heftigem Wellblech, aber unsere Erfahrung von der Djanet-Piste hilft uns, schnell eine angenehme Reisegeschwindigkeit zu finden. Die Zündaussetzer sind weg. Wir fahren mit vielen hundert Metern Abstand, um den Staubfahnen der Vorausfahrenden zu entgehen. Chrischi, Matthias, ich und Thomas.

Di., 29. März 1988, Piste zwischen Fort Serouenout und Hirhafok


Nach nur wenigen Minuten auf dem Wellblech sehen wir rechts eine Ortschaft, wir nehmen den Abzweig nach rechts und sind nach einem Kilomter in Idelès. An einem Brunnen stehen ein paar Kinder mit ihren Ziegen, ich halte an, um zu fragen, wo die Tankstelle ist. Chrischi stoppt neben mir, die beiden anderen stehen etwas entfernt. Sobald die Motorräder stehen, umringen die Kinder uns und schreien auf Französisch auf uns ein: »Donne moi un cadeau!« - ›Gib mir ein Geschenk.‹ Als ich den rechten Handschuh von der Hand ziehe und diese in die linke Innentasche meiner Jacke stecke, beginnen die Kinder, die außen stehen, sich vorzudrängen. Die am nächsten stehenden sind schon bedrohlich nahe an den einige hundert Grad heißen Krümmerrohren und kommen immer näher.


Gleichzeitig drängeln von links und rechts so viele Kinder an mich heran, dass ich befürchte, sie könnten mich und die BMW umwerfen. Ich ziehe eine Handvoll Kugelschreiber aus der Tasche und werfe sie weit nach vorne rechts. Der Tumult verlagert sich zur Landestelle der Kugelschreiber und wir nutzen die Chance und fahren von dem Brunnen weg, die Kinder, die keinen Kugelschreiber abbekommen haben oder nicht genug bekommen können, laufen schreiend hinter uns her. Matthias und Thomas folgen uns und dem Tross von Kindern. Wir fahren zwischen den Häusern hindurch und biegen bei nächster Gelegenheit rechts ab, um zurück zur Hauptpiste zu kommen, zufällig stehen wir plötzlich vor der einzigen Tankstelle auf unserem Weg nach Tamanrasset. Wir füllen so schnell es geht Tanks und Kanister, um nicht von den Kindern eingeholt zu werden, die haben das Interesse offenbar aber schon verloren. Wichtiger als Treibstoff, ist aber das Auffüllen unserer Wsserreserven. Auf der Rückseite der Tankstelle gibt es einen öffentlichen Wasserhahn, den wir nutzen, um unsere Vorräte aufzufüllen.


Kurz hinter Idelès zweigt nach links eine sehr sandige Piste ab, die den Assekrem östlich umgeht. Wir fahren 30km weiter auf der guten Hauptpiste bis Hirhafok, wo der Abzweig nach Süden zum Assekrem mit Eisenpfählen und Steinhaufen gut markiert ist.

Es ist schon später Nachmittag und immer wieder verschwindet die Sonne hinter den Bergen rechts von uns. An einem Abzweig nach rechts ist Matthias stehengeblieben, Chrischi kommt eben von voraus zurück, als ich ebenfalls an dem Abzweig ankomme. Matthias fragt, ob wir den Abzweig nehmen und einen Schlafplatz suchen sollen. Wir warten auf Thomas, erklären ihm den Plan und fahren langsam die schmale Piste in die Berge hinauf. Wir finden eine Stelle, an der wir die Motorräder gut und sicher abstellen können, ein paar Meter weiter ist ein schöner, ebener Lagerplatz mit Blick auf die Hügel rund um Hirhafok.


Wir packen ab, was wir für heute Nacht brauchen und bereiten das Lager vor. Ich überprüfe noch mal das Massekabel an der Batterie und klimpere die Speichen durch - am Geräusch kann man erkennen,ob alle gleichmäßig angezogen sind – und kontrolliere alle zugänglichen Schrauben und den Ölstand im Kardan. Dann gehe ich zu den anderen, die unsere Isomatten und Schlafsäcke schon mit schöner Aussicht ausgebreitet haben. Wie immer, wenn wir ohne Zelt draußen übernachten, haben wir auf den Isomatten mit unseren Klamotten rund um das Kopfteil eine kleine Festung aus möglichst bunten Sachen gebaut, um neugierige Tiere abzuhalten. Zu essen gibt es wieder Camping-Nudeln mit Tomaten-Sardinen-Sauce. Das neue Wasser aus Idelés schmeckt weniger nach Plastik – oder wir haben uns an den Geschmack gewöhnt. Nach dem Essen sitzen wir noch lange um den Kocher herum, besprechen die Ereignisse des Tages, besonders den Kugelschreiberkrieg in Idelès und erzählen uns Reisegeschichten.


Thomas will wissen, wie ich Ägypten fand, weil Matthias nicht begeistert war. »An meinem letzten Tag in Assuan war ich nachmittags in einer Hotelbar und hab‘ da einen amerikanischen Eisenbahningenieur getroffen, er hat mir einen Whiskey spendiert, und gesagt, ›Egypt you must‘ve seen but once you saw it there is no reason to come back.‹ Und da hatte er recht. War echt schön da, aber wiederkommen muss man nicht. Wenn ich ein Land in der Gegend wieder sehen will, dann Syrien, das ist wirklich schön und vielfältig und die Leute sind die besten im ganzen Nahen Osten,«

»Aber Du findest ja auch, dass die Sahara ›nur Sand und Steine‹ ist«, wendet Chrischi ein. »Stimmt doch auch! Schön, aber nur Sand und Steine.«


»Und ein herrlicher Sternenhimmel«, ergänzt Matthias, »besser als in Ägypten.« - »Stimmt, hier ist die Luft viel trockener, also der Blick klarer.« Wir legen uns auf den Rücken und gucken in den Himmel. »Was macht ihr eigentlich Sylvester 99/2000?«, fragt Thomas plötzlich. Matthias antwortet sofort, »ich bin dann wieder hier. ‘n besseres Feuerwerk gibt’s nicht!« - »Na, wieder hier wahrscheinlich nicht, aber in’ner Wüste will ich auf jeden Fall sein.« - »Wo willste denn hin, Gerd?« - »USA find‘ ich nicht so spannend, vielleicht Australien, ja, Zentral-Australien hat auch’n schönen Sternenhimmel.«


Auf einem gegenüberliegenden Hügel sehen wir ein paar flackernde Lichter und überlegen kurz, ob wir auch ein Lagerfeuer anzünden sollen. Genug Buschwerk und Totholz von Bäumen wäre da, aber wir wollen keine Aufmerksamkeit erregen und heute Nacht keinen Besuch von neugierigen Tuareg bekommen. Wir gucken alle noch ein bisschen in den Sternenhimmel und schlafen schnell ein.


Tag 29, Mittwoch

Mi., 30. März 1988, Camp hinter Hirhafok - Assekrem (© Institut Géographique National, 1967)


Am nächsten Morgen stehen wir wieder mit der Sonne auf, ich werfe den Drachen an und koche Kaffee für unsere kleine Reisefamilie. Die Marmelade aus Djanet ist alle und die beiden letzten Fladenbrote sind hart wie Kekse vom letzten Weihnachten. Chrischi zerbricht die Brote in acht ungefähr gleich große Stücke und wir tunken sie in unseren Kaffee. Nach dem ›Frühstück‹ packen wir auf. Alle kontrollieren noch mal den Ölstand ihrer Motorräder und es geht los.

Wir fahren die schmale Bergpiste zurück zum Weg nach Süden, biegen rechts ab und sind wieder unterwegs. Für heute haben wir nur 65 km im Roadbook, allerdings sind auf dieser kurzen Strecke tausend Höhenmeter zu erklettern. Zunächst ist es fahrerisch eine Fortsetzung der gestrigen Etappe, allerdings fast ohne weichen Sand, dafür mit mehr steilen Passagen. Das kommt mir und der Motor- und Fahrwerkscharakteristik der BMW entgegen.

Nach wenigen Kilometern auf der Hauptpiste, meine ich, rechts Wasser blitzen zu sehen. Ich hupe unser inzwischen übliches ›Achtung!‹-Signal, lang-kurz-kurz-kurz, wende die BMW auf der engen Piste und fahre hundert Meter zurück. Tazsächlich liegt nur wenige Meter neben der Piste ein Guelta. Ich warte am Abzweig und wir fahren zusammen zum Baden.

Mi., 30. März 1988, Guelta hinter Hirhafok


Wir genießen die erfrischende Pause am und im kalten Wasser.

Mi., 30. März 1988, Guelta hinter Hirhafok


Nach einer knappen Stunde Entspannung geht es zurück auf die Piste. Die wunderschöne karge Berglandschaft und das entspannt konzentrierte Fahren machen mich glücklich. Gegen Mittag müssen wir den trockenen Wadi, der bisher links von uns war, durchqueren. Es geht auf festem Sand kurz steil bergab, die Piste kreuzt den Lauf des Wadis diagonal und ist hier vom Wasser ziemlich zerstört, hat tiefe Löcher und viele große Steine, denen man ausweichen muss, dann geht es auf steinigem Untergrund hundert Meter steil bergauf. Chrischi und Matthias sind etwas voraus. Thomas ist wie die letzten Tage seit Djanet knapp hinter mir. Als wir die Kuppe und die eigentliche Piste wieder erreichen sehe ich Chrischi und Matthias neben ihren Motorrädern sitzen und rauchen. Ich halte ebenfalls und nach zwei Minuten sitzt auch Thomas neben uns. »Mann, deine BMW ist aber echt ‘ne Bergziege. Immer wenn ich denke, jetzt kann der Berg die Ténéré nicht mehr abwürgen, schaltest Du entspannt einen Gang höher.« Thomas klingt ein bisschen enttäuscht von seiner Fernreiseenduro mit gleicher Leistung, mehr Federweg und weniger Gewicht, obwohl ich meinen Motorumbau und seine Folgen schon in Djanet ausführlich erklärt hatte (s. über die BMW). Wir trinken noch jeder viele kleine Schlucke lauwarmes Wasser aus unseren Feldflaschen und sind nach zehn Minuten weder unterwegs.

Mi., 30. März 1988, nördliches Hoggar-Gebirge


Wir haben schon die Hälfte der Strecke zum Assekrem geschaft, aber Matthias Höhenmesser hat eben immer noch nur 1.600 Meter angezeigt, unser Ziel liegt auf knapp 2.600 m Höhe. Nach kurzer Fahrt auf einem schönen Hochplateau geht es auf schmaler wilder Bergpiste in steilen Kehren hinauf zu einem Pass, der den letzten Wadi vom nächsten trennt. Nach kurzer Abfahrt folgen wir dem neuen Tal einige Kilometer steil bergauf. Links sind schwarze vulkanische Bergkegel zu sehen, die mich an die Beschreibungen des Landes ›Mordor‹ in Tolkiens ›Herr der Ringe‹ denken lassen.

Mi., 30. März 1988, Nordrampe des Assekrem


Die Piste folgt dem Wadi auf seiner östlichen Seite und kreuzt ihn schließlich. Die Querung verläuft diagonal auf völlig zerstörter Piste, der Aufstieg auf die westliche Seite hat hohe Stufen, tiefe Querrinnen und Felsbrocken auf dem Weg. Selbst für die Motorräder ist ein sicherer Weg nicht immer sofort erkennbar. Der Aufstieg mit einem Zweispurfahrzeug wäre bei den aktuellen Verhältnissen nur mit enormer Bodenfreiheit, Allrad und hohem Drehmoment möglich – oder mit einem kleinen wendigen Panzer, wie die Schweizer sie zur Sicherung ihrer Alpenpässe bereithalten.

Mi., 30. März 1988, Nordrampe des Assekrem


Laut Därr soll es sich um eine ›neue, breite und sehr gute‹ Piste handeln, die im vergangen Sommer noch von einem Nissan-Bus und verschiedenen Motorrädern ohne große Probleme befahren wurde. Offenbar hat es auch hier dieses Frühjahr stark geregnet und die Pisten haben entsprechend gelitten.


Matthias nimmt einen falschen Abzweig und landet in einer engen steilen Sackgasse. Nur mit vereinten Kräften gelingt es uns, die XT zu wenden und Matthias kann zurück zur richtigen Piste fahren.

Mi., 30. März 1988, Nordrampe des Assekrem


Auf der westlichen Seite geht es auf immer schmaler werdender Piste weiter steil bergauf. Außerhalb des Überschwemmungsbereichs des Wadis ist der Untergrund aber wieder leicht fahrbarer grober Schotter. Nur gelegentlich müssen wir größeren Felsbrocken auf dem Weg ausweichen.

Mi., 30. März 1988, Nordrampe des Assekrem


Um 17 Uhr erreichen wir die Einmündung auf die östliche Hauptpiste zwischen Tamanrasset und Assekrem. Ein Schild weist nach rechts zum 6 km entfernten Assekrem. Hier ist die Piste tatsächlich neu und breit und gut ausgebaut. Nach ein paar Kehren auf feinem Schotter erreichen wir den Pass und die Schutzhütten.

Vor den Hütten stehen einige Geländewagen mit europäischen Kennzeichen, ein VW Bus aus Frankfurt und viele algerische Kleinbusse, die Tagestouristen von Tamanrasset hier herauf bringen. Der Assekrem ist eine der wichtigsten touristischen Attraktionen in Südalgerien, weil Anfang des 20 Jahrhundets der ehemalige französische Offizier und Trappisten-Mönch Charles de Foucauld hier eine Einsiedelei errichtet und so das Assekrem-Plateau nördlich von Tamanrasset in Frankreich berühmt gemacht hatte. Ich stehe mit Chrischi vor der Panorama-Tafel des französischen Touring-Clubs von 1939, die die Höhe des Plateaus mit 2.780 Metern angibt und die Namen der von hier aus sichtbaren Gipfel des Hoggar-Gebirges nennt. Richtung Süden beeindruckt mich aber vor allem die weite Ebene und Leere der Zentralsahara. Irgendwo tausend Kilometer weiter hört die Wüste auf und das grüne und schwarze Afrika beginnt. Ein bisschen weiter fließt in Nigeria der größte Fluss Westafrikas in den Atlantik. Ich bin hier südlicher als letztes Jahr in Assuan, den Wendekreis des Krebses haben wir irgendwann heute Vormittag unbemerkt überquert. Obwohl die Entfernung, sowohl Luftlinie als auch nach gefahrenen Kilometern oder Tagen und Wochen, von hier nach Hause geringer ist als letztes Jahr in Ägypten, fühle ich mich doch viel weiter entfernt. Hier bin ich wirklich in Afrika.


Neben uns hören wir ein Gespräch auf Deutsch, genauer auf Hessisch. Chrischi als Wahl-Wiesbadener kommentiert das ›Gebabbl‹ auf Hessisch. Das junge Paar lacht und kommt zu uns. »Hallo, ich bin Jan-Eric. Und das ist Miri.« Wir stellen uns ebenfalls vor und Schütteln die Hände der beiden. Jan-Eric gehört der VW-Bus aus Frankfurt, den wir vor den Hütten gesehen haben. Miri hat er an der algerischen Mittelmeerküste getroffen und hierher mitgenommen. Wir gehen zusammen langsam zurück zu den Motorrädern. Auch Matthias und Thomas haben inzwischen eine neue Bekanntschaft geschlossen. Ein Paar mit einem Nissan Patrol aus Stuttgart. Die Hütten sind für heute schon ausgebucht, also werden wir hier auf dem Vorplatz unser Lager aufschlagen. Die Stuttgarter, Markus und Wiebke, haben in ihrem Nissan die beste und geräumigste Küche und bieten an, für uns alle ›Käs’spätzle‹ zu machen. Jan-Eric spendiert fast kaltes Dosenbier und so zelebrieren wir mal wieder ein richtiges Abendessen. Thomas will nichts essen und rückt nach einigen Nachfragen damit heraus, dass er seit Djanet nicht mehr richtig auf dem Klo war und besorgt ist, seine Verstopfung könne ein Darmverschluss sein oder werden. Wiebke beruhigt ihn und sagt, dass sei sicher nur psychsomatisch und Sauerkraut werde einen physischen Druck aufbauen, der stärker als die psychische Hemmung sei. Also isst Thomas Käsespätzle mit Sauerkraut und trinkt Bier dazu.


Nach dem Essen bereiten wir unser Lager zum Schlafen vor und um zehn sagt Markus, »Wir wollen doch morgen früh raus. Ab in’s Bett!« Neben der Einsiedelei von Pater de Foucauld ist der Sonnenaufgang die Hauptattraktion des Assekrem-Plateaus. Wir bedanken uns also bei Markus und Wiebke für das Essen und bei Jan-Eric für das Bier und wünschen allen eine gute Nacht. Während wir unser Lager vorbereiten, erscheinen zwei Mädchen, die auf Englisch fragen, ob sie  in unserer Nähe campieren dürfen. Sie erzählen, dass sie aus Madrid kommen und mit Fahrrädern die N1 von Algier herunter gefahren sind, heute Morgen haben sie sich und ihre Fahrräder mit einem Kleinbus hier herauf fahren lassen. Der Fahrer folgt ihnen seitdem und sie möchten lieber in der Nähe von Europäern übernachten. Natürlich bitten wir sie zu uns, obwohl ich eher vermute, dass der algerische Fahrer glaubt, es sei seine Pflicht, sich weiterhin um sie zu kümmern und sie sie im Zweifel zu beschützen. Kaffeetrinken ist für fünf Uhr vereinbart, da wir den Sonnenaufgang auf kurz vor sechs schätzen.


Öl und Zähne  nach oben


Tag 30, Donnerstag

Do., 1. April 1988, Assekrem - Tamanrasset über die Ostroute (© Institut Géographique National, 1967)


Irgendwann nachts wache ich auf und sehe, dass Chrischi nicht da ist, ich höre ihn und Miri etwas entfernt leise reden und schlafe wieder ein, bis Chrischi mich an der Schulter rüttelt. »Kaffeezeit, wirf schon mal den Kocher an.« Es ist noch völlg dunkel, aber im Osten werden die Sterne schon blasser. Das Fauchen des Kocher weckt die anderen und auf dem ganzen Vorplatz steigert sich die Aktivität, Lichter gehen an, Leute laufen herum, niemand will den Sonnenaufgang verpassen. Wir trinken unsren Kaffee mit Milchpulver und rauchen eine Zigarette. Am südöstlichen Ende des Plateaus steht eine kleine Menschenmenge. Wir finden einen kleinen Hügel von dem wir freie Sicht auf den lila werdenden Horizont haben. In kürzester Zeit mache ich zwanzig Photos und wechsele gerade den Film als die Sonne sich über die östlichen Berge schiebt.

Do. , 1.April 1988, Morgendämmerung am Assekrem


Matthias fragt, ob wir Thomas gesehen haben, als dieser gerade mit gesenktem Blick auf unseren Hügel steigt. »Sonnenaufgang verpasst. Aber Verstopfung ist weg. Das Sauerkraut hat nach dem Kaffee ziemlich explosiv gewirkt.« Er lacht und wir stimmen ein. Wir gehen zurück zu unserem Lager und ich habe den Eindruck, dass Thomas jetzt auch wieder besser gelaunt und dynamischer ist als in den letzten Tagen. Auch Chrischi hat den Sonnenaufgang verpasst, er sitzt noh an unserem Lager und kocht Kaffee für die beiden Spanierinnen. Als ich ankomme, erzählt er gerade, dass er und Miri aufgewacht sind, weil sie hörten, dass nachts Schakale geheult haben. Wir packen auf und tauschen mit Markus, Wiebke und Jan-Eric Adressen und Telefonnummern. Thomas ist kaum zu bändigen und heute sogar der erste, der seinen Motor startet, sonst ist es immer Chrischi, der zum Aufbruch drängt. Wir hatten gestern beim Essen besprochen, dass wir die einfachere und kürzere östliche Abfahrt nach Tam nehmen wollen. Thomas prescht aber schon nach links vom Plateau. Matthias schreit ihm ohne Erfolg hinterher und startet sein Motorrad. Am Ende des Plateaus bleibt Matthias winkend stehen und blickt die schmale westliche Piste hinunter. Ich komme als letzter dort an und Thomas ist schon nicht mehr zu sehen. »Merkt er, dass wir ihm nicht folgen, und kommt zurück?« - »So wie der heute drauf ist, merkt er das erst, wenn’s zu spät ist.« Matthias hat den Helm abgenommen und guckt genervt auf die Piste. Chrische sagt, »Dann fahren wir eben auch hier runter, ist ja am Ende egal, 85 oder 100 Kilometer macht doch keinen Unterschied.« - »Der Därr warnt ausdrücklich vor der westlichen Auffahrt, die Abfahrt ist mit hoher Bodenfreiheit und starkem Motor möglich, aber schwierig. Ich finde, wir warten, ob er zurückkommt. Ich will da nicht runter«, sage ich bestimmt. Matthias stimmt zu. »Ich will da auch nicht runter, aber wenn wir ihn nach einer Zigarette nicht sehen, müssen wir hinterher. Eine Piste, von der Därr sagt, dass sie schwierig ist, kann man einen nicht alleine fahren lassen.« Chrischi und ich nicken. Ich lasse den Motor ausgehen, nehme den Helm ab und ziehe die Camels aus der Jackentasche. Wir rauchen und warten. Der Platz vor den Hütten ist schon fast leer und kein einziger Wagen ist in diese Richtung gefahren. Wenn einer der Geländewagen die westliche Abfahrt genommen hätte, könnten wir wenigstens hoffen, dass Thomas bei einem Problem eingesammelt würde. Ich schnippse den Zigarettenstummel in die Felsen, setze den Helm auf und kicke die BMW an. Irgendwie reagiert der Motor heute komisch auf den Gasgriff, Beim Gasgeben und vor allem beim Gaswegnehmen gibt es eine leichte Verzögerung. Naja, für Tam ist ja sowieso eine große Inspektion geplant. Wir blicken uns noch mal an, Matthias zuckt mit den Schultern und Chrischi nickt uns zu. Wir fahren los.


In tiefen Spurrinnen geht es steil bergab. Rechts ragt eine Felswand steil auf, links geht es tief hinab. Nach ein paar Minuten wird die Strecke flacher und die Spurrinnen sind fast weg. Die Piste führt auf der südlichen Seite des Hoggar-Hauptkamms entlang. Der Untergrund besteht aus losen groben Steinen, ist aber gut zu befahren. Nach 20 km fahren wir zwischen den Häusern des kleinen Dorfs Ilâmane hindurch. Am Ortsausgang wartet Thomas. Matthias stoppt und brüllt ihn an. Ich fahre vorbei, sehe aber das Thomas schuldbewusst zu Boden blickt. Hinter Ilâmane steigt die Piste in einen sandigen Wadi hinab, dessen Verlauf wir einige Kilometer folgen, dann geht es auf der Ostseite des Wadi wieder steil bergauf. Wir überqueren einen Bergrücken auf grobem scharfkantigen Schotter, sobald es wieder bergab geht, wechselt die Oberfläche zu rundlichen schwarzen Steinen in der Größe von Billiardkugeln. Die einzige Chance diese Piste heil hinab zu kommen, ist das Hinterrad ständig auf Zug zu halten, also immer etwas schneller zu fahren, als man rollen würde, das heißt hier etwa 40 oder 50 km/h. Das Problem dabei ist, dass wegen der Kurven und Kuppen, die Sichtweite nur zwei bis zwanzig Meter beträgt und jede Kurskorrektur mindestens zehn Meter im Voraus eingeleitet werden muss. Hinter einer Kuppe überrascht mich dann ein halbmeter großer Felsblock mitten auf der Piste. Ich starre ihn an und lehrbuchhaft folgt das Motorrad meinem Blick, obwohl ich lieber rechts vom Block, wo genug Platz ist, vorbei gefahren wäre. Das Vorderrad trifft den Block mittig, hebt ab und springt über den Stein. Ich spüre einen schweren Schlag in der Wirbelsäule als der Motor auf dem Stein landet. Die Geschwindigkeit reduziert sich schlagartig von 30 auf Null. Mit dem Stein unter dem Motor erreichen meine Füße den Boden nicht mehr und wir fallen nach links um. Immerhin versuche ich nicht, die BMW zu halten, sondern lasse mich nach links wegfallen, so dass ich nicht unter die BMW gerate. Ich springe wieder auf und versuche das Motorrad aufzurichten, bevor zu viel Benzin aus dem Tankdeckel, der halb nach unten zeigt, läuft. Beim Aufrichten sehe ich eine schwarze Lache unter dem Motor, die ich zuerst für Benzin halte. Die Lache hat ihren Ursprung mitten auf dem Fels und erweist sich bei näherem Hinsehen als Motoröl. Der Motor ist glücklichweise schon vor dem Umfallen ausgegangen. Ich kippe die BMW zurück auf die Räder und kann sie alleine aufrichten, klemme den Kanister unter den Sturzbügel und sehe das Motoröl aus der Ölwanne laufen.

Matthias und Thomas halten neben mir. Ich zeige auf mich und recke den Daumen hoch, auf‘s Motorrad und zeige mit dem Daumen nach unten. Jetzt kommt auch Chrischi zurück zu uns. Ich nehme den Helm ab, setze mich auf einen Felsen am Pistenrand und zünde eine Zigarette an. Der linke Ellenbogen tut weh vom Sprung weg vom fallenden Motorrad und der Rücken von dem ungefederten Schlag der Fuhre auf den Felsblock. Erst beim Anzünden der Zigarette merke ich, dass ich am ganzen Körper zittere. Schock, denke ich und versuche, meine Gedanken zu sammeln. Chrischi kommt zu mir und sagt etwas. »Gib mir ‘ne Minute, bin gleich wieder klar«, stammele ich. Als ich die Zigarette wegschnippse bin ich schon wieder rationaler als die drei anderen, die wild verschiedene Pläne durcheinander brabbeln. Matthias sagt, »Wir können nach Tam fahren, ‘n Pickup organisieren und dich abholen.« - »Quatsch! Das dauert mindestens 48 Stunden und ich will hier nicht zwei Nächte alleine campieren.« - »Dann bleib ich hier, ist ja irgendwie meine Schuld«, sagt Thomas. Chrischi hat auch noch irgendeinen Vorschlag. Ich winke ab und sage, »Ich reparier‘ das hier provisorisch und dann fahren wir alle zusammen nach Tam. Und da sehen wir dann weiter.« Ich sehe mich in Tam mit meiner Versicherung telefonieren und die BMW auf einen Laster nach Algier verladen. Ich wollte doch endlich als Afrikaheld zwischen all den Touristen die spanische Mittelmeerküste hoch fahren. Die BMW muss wieder laufen und auf eigenen Rädern nach Hause fahren!


Ich blicke mich um. Hundert Meter bergab ist links eine kleine Ebene an einer Wadibiegung, in der sogar noch etwas Wasser steht. Es ist gerade mal Mittag – noch mehr als sechs Stunden Tageslicht. Wenn mein Plan funktioniert, sind wir heute Abend in Tam. Ich zeige den anderen die kleine Ebene und gehe mit dem Helm in der Hand zur BMW. »Das ist unser Mittagslager für heute.« Ich setze mich auf’s Motorrad, stecke den Kanister wieder in seine Halterung und lasse die BMW vorsichtig zu der Wadibiegung rollen. Auf einem flachen ziemlich ebenen großen Felsen stelle ich das verwundete ›Horse with no name‹ ab. Ich schnalle den Tankrucksack ab und öffne das Werkzeugfach. Von außen sieht die Beschädigung gar nicht so schlimm aus, aber in weniger als einer Minuten sind da zwei Liter Öl ’rausgelaufen. Ich schraube die Ölwanne ab und begutachte sie von allen Seiten. Die drei anderen stehen um mich herum und gucken zu. Es gibt ein Loch von einem Zentimeter Durchmesser und von dort Risse in drei verschiedene Richtungen, einer der Risse läuft bis zur Bohrung von einer der Befestigungsschrauben. Der ganze Aluguss ist mindestens einen Zentimeter nach innen gewölbt. Eigentlich hätte die ganze Wanne in tausend Stücke zersplittern müssen. Aluguss kalt zu verbiegen, ist normalerweise nicht möglich. Ich lege mich auf den Boden und untersuche die Unterseite des nun offenen Motors. Das Blechsieb am Ölansaugrohr ist ebenfalls etwas eingedellt, aber sonst gibt es innen keine Beschädigungen. Ich versuche, ob sich die Ölablassschraube ’raus- und wieder hinein drehen lässt. Das Gewinde ist noch tadellos.


Ich wische die Ölwanne so gut es geht von innen und außen sauber. Dann gehe ich zurück zum Tankrucksack und hole den Beutel mit den Glasfasermatten und die Blechdose mit Härter. Chrischi und Matthias sitzen an dem kleinen Tümpel, wo sich das letzte Wasser dieses Jahres gesammelt hat, waschen sich Gesicht und Hände und albern mit dem Wasser herum. Thomas steht neben der BMW und guckt mir über die Schulter. »GFK? Das hält doch nie, wird doch viel zu heiß dadrin.« Ich sehe auf und lege den Finger über die Lippen. »Nicht vom Teufel sprechen!« - »OK, OK. Mach Du mal.« Er geht weg. Ich ziehe einen sauberen Lapen aus dem Tankrucksack, tränke ihn in Benzin und reinige die Ölwanne nochmals, erst von innen, dann von außen. Hinterher lege ich die Ölwanne in die Sonne und warte, dass das Benzin wegtrocknet. In der Zwischenzeit gehe ich zu Matthias und Chrischi und wasche mir ebenfalls Hände und Gesicht. »Und? Wie sieht’s aus?« fragt Chrischi. »Ich klebe sie von innen mit GFK zu, das sollte halten, zumindest bis Tam und dann sehen wir weiter. Im Zweifel bohren wir sechs Löcher rein und dichten das ganze mit zwei Stahlblechen und reichlich rotem Technicoll ab, falls man den BMW-Aluguss mit Stahlblechen geradeziehen kann. Ich rauche noch eine mit den beiden und gehe zurück an die Arbeit. Die Ölwanne ist sauber und trocken. Ich schneide die Glasfasermatte auf eine Größe, die das Loch und die Risse vollständig abdeckt und lege sie in die Ölwanne, dann tränke ich das ganze mit Härter und lege es zum trocknen beiseite. Später lege ich noch eine zweite Lage GFK von innen und mit wenig Hoffnung eine Lage von außen in die Kühlrippen. Um vier Uhr ist die Arbeit erledigt und das GFK ausgehärtet. Ich rauche noch eine Zigarette mit den drei anderen und schraube die Ölwanne mit den besten Wünschen der anderen wieder an den Motor. Während der Wartezeit hatte ich schon den Tank abgenommen, um gut an den Öleinfüllstutzen zu kommen. »Jetzt kommt der Moment...« - »...in dem der Frosch in’s Wasser rennt«, ergänzt Chrischi und lacht, weil das unser gemeinsamer Freund Como immer sagt, wenn eine wichtige Entscheidung unmittelbar bevorsteht. Ich gieße einen halben Liter Öl ein, und lege mich auf en Boden,um die Ölwanne zu untersuchen. Kein Öl! Ich warte noch einen Moment und fülle dann auf die vorgeschriebenen zwei Liter auf. Ich setze den Tank wieder auf den Rahmen und trete die BMW an, während Chrischi von rechts unten die Ölwanne beobachtet. »Alles trocken.« - »Wollt ihr wirklich heute noch nach Tam? In zwei Stunden ist‘s dunkeln.« Matthias guckt skeptisch auf seine Armbanduhr. »Ja, wahrscheinich hast Du recht und wir sollten uns hier ‘n sicheres Lager suchen.« Ich zeige vom Wadi weg. »Nicht hier im Wadi. Vielleicht kommt da nachts noch mehr Wasser ’runter.« Die Piste führt eine sandige Böschung hinauf, oben fahren wir nach links und finden nahe an den Felsen einen ruhigen ebenen Lagerplatz. Wir bereiten unser Lager vor und kochen Nudeln. Ich gehe noch mal zum Wadi zurück und wasche meine Hände gründlich. Wir haben den Platz in einem ziemlich erbärmlichen Zustand hinterlassen, eine Öllache neben der anderen, Reste der Glasfasermatte und etwas Müll. Ich sammele eine leere Wasserflasche und ein bisschen Plastik ein und stecke am Lager alles in den Tankrucksack. Beim Essen muss ich nochmals erklären, wie der Unfall eigentlich genau passiert ist. Thomas entschuldigt sich mehrfach, aber je mehr er sich entschuldigt, umso mehr gebe ich ihm die Schuld an der zerschlagenen Ölwanne. Nach dem Essen geht genau in unserer Blickrichtung die Sonne hinter den südwestlichen Ausläufern des Hoggar in orange und lila unter.


Tag 31, Freitag


Morgens wache ich von der Kälte auf. Die gegenüberliegenden Berge sind schon von der Sonne orange beleuchtet, unser Lager liegt noch im Schatten der Felsen hinter uns. Ich mache die Augen wieder zu und hoffe, dass es bald wärmer wird. Als ich das nächste Mal aufwache, liegt die sandige Ebene vor mir schon im hellen Licht der Sonne. Matthias schält sich gerade aus seinem Schlafsack. Ich stehe auf und bereite unseren Kaffee vor. Der Sand unter der BMW zeigt keine Öltropfen, die Reparatur war soweit wohl erfolgreich. Nach Kaffee und Zigarette packen wir auf und sind schnell wieder unterwegs.


Das Problem am Gasgriff wird immer schlimmer. Inzwischen hat der Gassgriff eine Viertel Umdrehung Leerweg und Gaswegnehmen geht nur noch mit Pumpbewegungen. Ich ignoriere das Problem vorläufig so gut es geht. Auf die schöne Landschaft kann ich mich trotzdem nicht konzentrieren. Das Hochgebirge läuft in freundliche Hügel aus, immer wieder durchqueren wir trockene Wadis. Wenn es Wiesen und Kühe gäbe, könnten wir auch im Allgäu sein. Nach knapp zwei Stunden erreichen wir die asphaltierte N1 und biegen links nach Tamanrasset ab.


Für mich ist die Asphaltstraße eine große Erleichterung, weil ich hier mit weitgehend gleichbleibender Geschwindigkeit fahren kann und den Gasgriff kaum bewegen muss.


Noch vor Mittag erreichen wir Tamanrasset, die letzte Stadt vor der großen Wüste und vor dem Ende des Asphalts. Alle hier nennen die Stadt ›Tam‹, ›Tamanrasset‹ ist reserviert für Landkarten und die Regierung in Algier, das ›R‹ in der Mitte ist ein Relikt der französischen Kolonialzeit, denn es ist ein französisches oder Norddeutsches Rachen-R, wie die Schreibweise des namengebenden Wadi Tamanghasset zeigt, der mitten durch den Ort führt. Tam markiert die südliche Grenze Nordafrikas, die Grenze zwischen Asphalt und Sandpiste, die Grenze zwischen Touristen und Abenteuer-Reisenden. Und wie jede Grenze unterscheidet sie nicht nur zwischen diesem und jenem, sondern vermischt beides auch. Wir halten im Ortszentrum an einem Café, vor dem neben anderen PKW und Motorrädern eine 70er-Jahre-Mercedes-Limousine mit deutschen Zollkennzeichen und ein Land Rover mit Sandblechen auf dem Dachgepäckträger steht. Der Gehweg vor dem Café ist vollgestellt mit runden Tischchen und Caféhaus-Stühlen aus Stahl. Eine dunkelgrüne Markise spendet den Gästen Schatten. Wir finden einen freien Tisch, allerdings nur drei freie Stühle. Thomas setzt sich neben dem Tisch auf seinen Helm. Wir bestellen vier Minztee und merken erst hinterher, dass es auch Kaffee gegeben hätte. Nach fünf Tagen in Staub und Sand genießen wir die kleine Zivilisation von Tam. Am Nebentisch unterhält sich der Fahrer des Mercedes mit dem des Land Rovers. Der Mercedes soll ab morgen auf den knapp tausend Kilometer Sandpiste nach Agadez und dann weitere zweieinhalbtausend Kilometer nach Abidjan in der Elfenbeinküste fahren, um dort verkauft zu werden. Der Land Rover ist in wenigen Tagen die N1 herunter gefahren und wird übermorgen nach einem Abstecher zum Assekrem wieder auf Asphalt zurück ans Mittelmeer fahren. Obwohl die Reisen der beiden Fahrer kaum unterschiedlicher sein können, unterhalten sich die beiden gut und tauschen ihre Geschichten aus. Ich finde, der Land Rover ist für die Tour über-ausgerüstet und irgendwie angeberisch. Auf der algerischen N1 sind Sandbleche so nötig wie auf der deutschen A7. Der Mercedesfahrer zeigt aber keinerlei Arroganz oder Neid.


Wir bezahlen unseren Tee und machen uns auf die Suche nach dem Campingplatz am Südende der Stadt. Der Campingplatz ist wie eine größere Version des Cafés. Wohnmobile, die für Südfrankreich konzipiert sind, stehen neben selbst hergerichteten Geländewagen, Tourenmotorräder mit Vollverkleidung neben gewagt umgebauten Reiseenduros. Wir suchen uns einen Platz, wo morgens eine großen Akazie Schatten spendet, packen ab und bauen die Zelte auf und sehen uns um. Ein Mercedes-Kieslaster hat einen zweiten Kieslaster auf der Ladefläche, daneben steht eine alte Mercedes-Limousine und zwei Peugeout 504, alles offenbar auf dem Weg nach Westafrika, um dort verkauft zu werden.


Als unser Lager steht, fahren Chrischi und Thomas in die Stadt, um Essen und Wasser zu kaufen.


Ich baue in der Zeit den Gasgriff auseinander. Am Drehgriff befindet sich eine Verzahnung, die ein Aluguss-Zahnrad auf der Oberseite des Griffs im Uhrzeigersinn dreht und damit die Bowdenzüge anzieht. Das Zahnrad auf der Oberseite hat einige Zähne verloren und dreht sich entsprechend nicht mehr kontinuierlich mit dem Drehgriff mit. Eine Reparatur des zerfressenen Alu-Guss-Zahnrades erscheint mir nicht möglich. Irgendwie sollte es aber machbar sein, die Drehbewegung des Gasgriffs in eine Ziehbewegung für die Bowdenzüge zu übersetzen – ich weiß nur noch nicht wie.

Ich setze mich mit Matthias an die Akazie, wir rauchen Zigaretten und überlegen, wie der Gasgriff repariert werden könnte. Zum ersten Mal seit Tozeur schließe ich den Walkman mit eingebautem Lausprecher an die Motorradbatterie an und lege die Gute-Laune-Cassette ein, die ich zu Hause in Erinnerung an meine Levante-Reise aufgenommen habe. Die Stones spielen Sympathy For The Devil. Matthias schlägt vor, zu versuchen, den Gasgriff irgend eines anderen Motorradmodells anzubauen. Bei Yamaha werden die Bowdenzüge direkt vom Drehgriff um das Lenkerrohr gezogen - eindeutig die einfachere und bessere Konstruktion. Eine Yamaha-Werkstatt sollte es in Tam irgendwo geben. Wir haben einen Plan, den wir morgen verfolgen können!


Jetzt müssen wir nur noch auf Chrischi und Thomas warten, können essen und den zunächst nur theoretischen Erfolg feieren. Während wir warten, kommen zwei sehr ›benutzt‹ aussehende 81er XT 500 mit deutschen Kennzeichen auf den Platz gefahren, früher waren die XT wohl ‘mal rot-weiß gewesen, was aber nur noch zu erahnen ist, und schlagen ihr Lager in unserer Nähe auf. Als Chrischi und Thomas zurückkommen, geht einer der beiden XT-Fahrer zu uns, um Hallo zu sagen. Andi und sein Kumpel Tom sind auf dem Rückweg von Kenia und haben verrückte Geschichten von knietiefem Schlamm in Zentralafrika und einem Fährunglück auf dem Kongo zu erzählen. Die tausend Kilometer Sandpiste von Agadez hierher bezeichnen sie als ›easy ride‹. Die zweitausend Kilometer Asphalt nach Algier werden sicherlich furchtbar langweilig für die beiden. Wir alle hören mit gespitzten Ohren zu und ich sehe an Chrischis Miene, dass ihm Algerien nicht genug ist, dass er sobald wie möglich tiefer nach Afrika will, mir geht es ebenso. Thomas und Chrischi haben Lammfleisch, Dosengemüse und Reis ergattert. Wir winken Tom zu uns und beginnen zu kochen. Andi und Tom haben aus Niger Steifen von getrocknetem Ziegenfleisch mitgebracht, das ziemlich lecker ist und das wir als Vorspeise essen. Wir erzählen ein bisschen von unserer Algerientour und den kleineren und größeren Problemen, die wir unterwegs hatten. Was Andi und Tom zu berichten haben, interessiert uns aber vielmehr. Beide erzählen gerne und ausführlich, aber nicht immer übereinstimmend von den fast achttausend Kilometern, die sie seit Nairobi zurückgelegt haben. Selbst die Entfernungsangaben der beiden passen nicht zusammen. Der Kilometerzähler von Toms XT hat seit Nairobi über 500 km mehr gezählt als der von Andi. »Weil ich abends immer noch das Bier holen musste«, sagt Tom und lacht. Die beiden haben offenbar genug zusammen erlebt,um sich blind zu verstehen – und zu vertrauen. Ich frage mich, ob Chrischi und ich auch ein so eingeschworenes Team sind, und wie wir auf die anderen wirken. Die Differenzen zwischen Matthias und Thomas sind in den letzten Tagen ja offensichtlich geworden. Andi und Tom wurden schon kurz nach dem Start in Uganda von der früh einsetzenden Regenzeit überrascht und haben sich so schnell wie möglich - mit 50 bis 100 km am Tag - zum Kongo durchgeschlagen und in Kisangani die Motorräder auf eine Fähre nach Lisala am nördlichsten Punkt des großen Bogens, den der Kongo durch Zentralafrika schlägt, verladen. Unterwegs mussten sie ein paar Tage in einem Hafen auf eine Ersatzfähre warten, weil ihr Boot beim Anlegen gegen den Pier gefahren und leckgeschlagen ist. Von Lisala sind sie in schlamm¬gefüll¬ten tiefen Spurrinnen nach Bangui in der Zentralfrikanischen Republik gefahren, wo sie die Regenzeit ein paar Wochen in einem Hostel ausgesessen haben, um dann durch Kamerun und Nigeria nach Niger zu fahren und dort dem Regen und Schlamm endlich entkommen waren. In Agadez hatte Andi sich bei der Motorradwartung einen Sonnenbrand zugezogen, der ihn zwei Tage komplett außer Gefecht setzte. Dort hat Tom auf einem Markt das getrocknete Ziegenfleisch entdeckt. Die Strecke nach Tam haben sie dann, nachdem Andi wieder fit war, in drei Tagen abgerissen. Eigentlich wollten sie die Ankunft in Tam groß feiern. Aber kurz vor Tam, als sie schon wieder auf Asphalt fuhren, begann die Elektrik von Andis XT zu spinnen und nur mit stotterndem und bockendem Motor haben sie es auf den Campingplatz geschafft. »Gibt’s hier Bier?« fragen Andi und Tom gleichzeitig. »Nur wenn Du ‘n deutsches Wohnmobil oder ’n Land Rover mit Kühlschrank findest. Im Campingplatz-Laden gibt’s Mineralwasser und Konserven und angeblich morgens Fladenbrot.« - »Die Versorgungslage in Algerien ist schwierig.« - »Mist! Und wir dachten, je nördlicher, je besser. Da war Bangui ja‘n Paradies!« - Nee. Das Paradies war die Fähre. Ganzen Tag Bier trinken und Krokodile gucken..., obwohl: nachts die Mücken war’n auch Scheiße. Die gibt’s hier immerhin nicht.« Ich trinke noch einen Schluck Mineralwasser und reiche die Flasche weiter. Matthias sagt, dass er morgenfrüh für alle Frühstück kaufen geht. Wir gehen in unsere Zelte, ich denke noch kurz über die komische, gute Mischung der Leute in Tam nach und schlafe schnell ein.


Tag 32, Samstag


Morgens gibt es tatsächlich Fladenbrot und Marmelade ›fabriqué en France‹. Matthias musste allerdings schon um 7 Uhr eine halbe Stunde vor dem Laden anstehen.


Wir sitzen zu sechst auf dem Wohnzimmer-Laken zwischen unseren Zelten und frühstücken fröhlich plaudernd. Ich habe eben den letzten Kaffee verteilt als die beiden Spanierinnen auf unser Lager zu schlendern. In einiger Entfernung folgt ihnen eine kleine Gruppe algerischer Jungs. Chrischi lädt die Spanierinnen auf einen Kaffee ein, den ich sofort beginne, vorzubereiten. Sie erzählen, dass die Jungs schon seit sie hier sind immer hinter ihnen her scharwenzeln. Chrischi ist empört, steht auf und will die Jungs ein für alle Mal verscheuchen. Die beiden bestehen aber darauf, dass nichts schlimmes passiert sei und sie das selbst regeln wollten. Chrischi zuckt die Achseln und setzt sich widerstrebend wieder hin.

Nach einer zweiten Runde Kaffee schiebt Andi seine XT in den spärlichen Schatten der Akazie und macht sich auf die Suche nach der Ursache für das Elektrikproblem. Ich baue den Gasgriff wieder auseinander, reinige die Einzelteile und verstaue alles in meinem Rucksack. Ich fahre mit Chrischi nach Tam. Zunächst fahren wir zu einer Bank und tauschen einen weiteren Travellerscheck in algerische Dinar, dann suchen wir eine Motorradwerkstatt, das einzige, was wir finden können, ist ein Laden, der Peugeot-Mopeds und Moped-Ersatzteile verkauft. Wir fahren eine Weile durch die Nebenstraßen rund um dem Peugeot-Laden in der Hoffnung, hier andere Motorrad-Läden zu finden, aber dieser Laden für Mopeds scheint der einzige für motorisierte Zweiräder in Tam zu sein.

Chrischi parkt die DR vor dem Peugeot-Laden und wir gehen zusammen hinein. Chrischi erklärt dem Inhaber, was wir suchen, während ich mir die Konstruktion der Gasgriffe bei Peugeot ansehe. Hier wird die Drehbewegung des Griffs über eine geschwungene Kunstoffschiene in eine Ziehbewegung der Bowdenzüge übersetzt. Ich packe die Einzelteile des BMW-Griffs aus und Chrischi fragt, ob der Inhaber das raparieren kann oder jemanden kennt, der das kann. Der alte Targi winkt mit den Händen vor seiner Brust, dann guckt er sich die Teile genauer an und sagt etwas auf Französisch. »Es gibt in Tam niemanden, der Alu schweißen kann«, übersetzt Chrischi. Ich lasse Chrischi fragen, ob wir einen Peugeot-Gasgriff kaufen können. Der Targi lächelt und greift in das Regal hinter ihm. Er legt einen Gasgriff aus Plastik auf den Tresen, der noch billiger aussieht, als der den ich mir eben an dem Moped angesehen habe, und schreibt auf einen Zettel ›1000‹, das sind rund 13 DM, für hiesige Verhältnisse aber ein Vermögen. Ich streiche die ›1000‹ durch und schreibe ›500‹ darunter. Der Inhaber winkt wieder mit den Händen vor der Brust und schreibt ›650‹ auf den Zettel. Ich ziehe meine Brieftasche aus der Jacke und zähle einige der eben eingetauschten Dinar-Scheine ab. Wir packen die BMW-Teile und den neuen Mofa-Gasgriff ein und verabschieden uns von dem Targi. Auf dem Rückweg denke ich schon darüber nach, wie ich den neuen Griff an die BMW bekomme.

Zurück auf dem Campingplatz wird mir schnell klar, dass die alte Gasgriff-Basis in der Mitte durchgesägt werden muss, um den neuen Gasgriff hinter der Halterung für den Bremshebel auf das Lenkerende schieben zu können. Außerdem muss ich den rechten Spiegel opfern, um genug Platz für die Umlenkung des Peugeot-Gasgriffs und den Bremshebel zu bekommen. Schließlich müssen noch die Nippel von den BMW-Gaszügen abgeschnitten werden. Bei Peugeot werden die Züge direkt mit Schraubklemmen an der Umlenkung befestigt. An der BMW müssen so viele Dinge unumkehrbar geändert werden, dass ich die geplante Reparatur noch einmal genau durchdenken muss, bevor ich anfange. ›Vor dem Absägen gründlich nachdenken, ‘ransägen kann man es hinterher nicht mehr!‹

Ich bleibe noch einen Moment neben dem Lenker stehen und gucke auf die Teile. Es scheint alles so zu funktionieren, wie eben erdacht. Ich entscheide, morgen Vormittag die Operation zu beginnen, dann gehe ich zu Andi, der vor dem geöffneten Lichtmachinendeckel seiner XT sitzt, Kabel abzieht, Kontakte reinigt und wieder ansteckt. »Hast’e schon ‘was gefunden?« - »Außer, dass alles ziemlich marode ist, nee.« - »Wenn Du irgend’was brauchst, sag‘ Bescheid.« Auch die anderen widmen sich Wartungsaufgaben an ihren Motorrädern. Ich gehe zu Chrischi, dessen DR neben den beiden XTs von Matthias und Thomas steht, und der gerade skeptisch die Zündkerze betrachtet. »Ist doch viel zu dunkel. Irgendwie läuft sie zu fett.« - Luftfilter?« - »Hab ich schon kontrolliert, war gut.« - »Chrischi hat Du mal ‘n Moment?« Ich winke ihn zu meinem Motorrad und erkäre, was ich tun will und was dabei alles unumkehrbar umgebaut werden muss. »Meinst’e das klappt? Hab‘ ich was vergessen?« - »Hast Du noch ‘n Paar Gaszüge dabei?« ich nicke. »Dann los, der Griff ist eh Schrott, zersägt oder ganz. Wertlos ist er so oder so.« Ich bin überzeugt, will mir aber noch Zeit bis morgen geben. Ich starte den Walkman wieder und setze nich an die Akazie.

Abends fahren wir auf drei Motorrädern nach Tam und essen Couscous in einer kleinen ›Bar‹.


Tag 33, Sonntag



Ich bin früh wach und stehe leise auf. Die anderen Zelte sind noch zu und ich gehe zum Laden und kaufe Fladenbrot, Marmelade und Mineralwasser. Auf dem Rückweg zu unseren Zelten sehe ich wieder die beiden Spanierinnen und fünfzig Meter hinter ihnen die unvermeidlichen Jungs.


Nach dem Frühstück beginne ich die Operation an der BMW. Alles klappt, wie gestern geplant. Nachdem ein Dreh am Gasgriff wieder beide Züge gleichmäßig anzieht, reinige ich die Vergaser und stelle die Züge provisorsch ein, für die endgültige Vergasereinstellung und -synchronisierung muss der Motor warmgefahren sein. Zunächst fahre ich mit der ›kalten‹ Wartung fort: Zündung und Ventile einstellen, Öl- und Schrauben-kontrolle. Ich prüfe nochmals meinen Vorrat an Getriebeöl und, ob die Dichtungen für Schwinge und Hinterachsantrieb komplett sind, dann lasse ich das Öl aus dem rechten Schwingenarm ab, nehme das Hinterrad heraus und löse die Schrauben des Hinterachsantriebs.

Mittags bin ich soweit, dass ich nach Süden aus Tam herausfahren kann,um den Motor auf Betriebstemperatur zu bringen. Mit dem neuen Gasgriff scheint die Synchronisation der beiden Vergaser leichter von der Hand zu gehen als im Originalzustand. Nachmittags ist alles erledigt. Die fünf anderen sitzen schon an der Akazie und trinken Kaffee. Chrischi klopft mir auf die Schulter. »Wie sieht denn die Ölwanne aus?« - »Überall hängen Tropfen, aber erstmal scheint’s zu halten.« Ich halte Chrischi meinen Zeigefinger vors Gesicht, an dem die dreiviertel zerrissene Dichtung der Schwinge hängt. »Das ist jedenfalls wieder dicht.« Ich ziehe die Wachpaste aus dem Tankrucksack und gehe zu den Waschräumen.


Abends kochen wir wieder zusammen und sitzen bis lange nach Mitternacht zu sechst zwischen unseren Zelten.


Tag 34, Montag


Wir vertrödeln fast den ganzen Tag auf dem Campingplatz, nachmittags fahren wir zu dem Café, mit dem uns Tam am Freitag begrüßt hatte. Wir bestellen Espresso und sitzen lange auf der Terrasse und beobachten die unterschiedlichsten Fahrzeuge, die nach Tam hinein oder aus Tam heraus fahren.


Tag 35, Dienstag


Auch am nächsten Tag machen wir praktisch nichts. Morgens fahren Andi und Tom Richtung Algier und Fähre nach Hause los. Auch Matthias und Thomas fahren heute schon los, wir wollen uns übermorgen in In Salah treffen, und dann bis Nordalgerien weiter zusammen fahren.


Ab mittags bereiten Chrischi und ich uns und die Motorräder auf die für morgen geplante Rückfahrt nach Norden vor.

Plötzlich nur noch zu zweit zu Abend zu essen, fühlt sich merkwürdig an. Chrischi und ich haben aber genug zu bereden, dass wir uns nicht langweilen müssen. Natürlich ist die spontane und falsche Entscheidung von Thomas am Assekrem eines der Hauptthemen, ich habe mit der Verrücktheit von Thomas an jenem Morgen, die uns die westliche Abfahrrt hinab gezwungen hat, abgeschlossen und ärgere mich inzwischen mehr über meinen vorhersehbaren und vermeidbaren Fahrfehler und die offensichtliche Fehlkonstruktion des Gasgriffs von BMW und frage mich, ob der Zahnfraß mit mehr Wartung und Pflege hätte vermieden werden können. »Quatsch! Ist einfach ‘ne Fehlkonstruktion. Kommt in den besten Familien vor.« Chrischi zeigt auf das weiß-blaue BMW-Emblem auf meinem Tank und lacht.


Tag 36, Mittwoch

Mi., 6. April 1988, Tamanrasset - Camp bei In Ekker


Wir sind früh wach und nach Kaffee und Zigarette packen wir auf, zahlen unsere Rechnung und sind unterwegs. Wir wollen die knapp 700 Aphalt-Kilometer nach In Salah in zwei Tagen gemütlich abreiten. Hinter dem Ortsausgang, am Abzweig zum Flugplatz von Tam steht einegrpße moderne Tankstelle. Wirtanken voll und lassen den 5-Liter-Kanister mit Altöl neben den Zapfsäulen stehen. Kurz hinter dem Abzweig, an dem wir Freitag auf den Asphalt eingebogen sind, führt eine Umleitung auf fester breiter Piste weg vom Asphalt. Nach zwanzig Kilometern sind wir wieder auf der frisch asphaltierten N1 – so frisch, dass der Asphalt noch schmierig und rutschig ist. Bei einer Zigarettenpause sehe ich, dass die ganze Front der BMW mit kleinen Asphalttröpfchen gesprenkelt ist, die das Vorderrad aufgewirbelt hat. Die Schutzbleche sind von innen mit einer dünnen Asphaltschicht bedeckt, was ein perfekter Rostschutz wäre, bei Plastik-Schutzblechen aber nicht nötig ist. Während ich noch die Aphaltierung der BMW bestaune, höre ich Chrischi hinter mir fluchen. »Was’sen los? Irgend’was kaputt?« Zuerst denke ich, dass Chrischi sich über die Asphalttröpfchen ärgert, die mühsame Reinigungsarbeiten zur Folge haben werden, sehe dann aber, dass das Vorderrad der DR fast platt ist. Ich packe den kleinen Druckmesser und die Luftpumpe aus. 1,5 Bar sind auf Asphalt nicht akzeptabel. Wir pumpen den Reifen wieder auf 2,0 Bar auf. »Ist Dir vorher nix aufgefallen?« - »Heute morgen war’s noch gut.« Wir kontrollieren noch, ob das Ventil dicht ist, schrauben das Käppchen d‘rauf und fahren weiter. Kurz danach zwingt uns eine Umleitung erneut für zehn Kilometer auf eine gut gepflegte und markierte Piste. Wieder auf Asphalt macht Chrischi Zeichen, dass er stoppen will. Ich glaub‘ die Luft ist schon wieder raus.« Wir kontrollieren den Druck wieder und entscheiden, den Schlauch auszubauen und zu flicken. Während Chrischi das Loch im Schlauch sucht und einen Flicken aufklebt, kontrolliere ich sehr sorgfältig den Reifen, kann aber keinerlei Beschädigungen finden. Nach einer Stunde sind wir wieder unterwegs, die nächste Umgehung ignorieren wir und bleiben auf der fertiggestellten Trasse der N1, die nach wenigen Kilometern sogar schon wieder asphaltiert ist. Wir passieren einen Trupp Straßenarbeiter, die uns rufend und winkend vom frischen Asphalt vetreiben wollen. Wir winken nur zurück und fahren weiter. Inzwischen sind die Berge des Hoggar, die uns den ganzen Tag zur Rechten begleitet haben, nur noch als schwarze Schatten am Horizont rechts hinter uns zu sehen. Die N1 biegt nach rechts in das Tal eines Wadi ein und die Trasse ist so schlecht, dass wir einigen Spuren nach rechts auf eine parallel verlaufende Piste folgen. Wir versuchen die N1 links von uns nicht aus dem Blick zu verlieren, aber die Piste bringt uns von selbst zurück zur jetzt wieder asphaltierten Hauptstrecke.

Mi., 6. April 1988, Ausweichpiste neben der N1 zwischen Tamanrasset und In Ekker (© C.v. Ulmenstein)


Wir sind früh wach und nach Kaffee und Zigarette packen wir auf, zahlen unsere Rechnung und sind unterwegs. Wir wollen die knapp 700 Aphalt-Kilometer nach In Salah in zwei Tagen gemütlich abreiten. Hinter dem Ortsausgang, am Abzweig zum Flugplatz von Tam steht einegrpße moderne Tankstelle. Wirtanken voll und lassen den 5-Liter-Kanister mit Altöl neben den Zapfsäulen stehen. Kurz hinter dem Abzweig, an dem wir Freitag auf den Asphalt eingebogen sind, führt eine Umleitung auf fester breiter Piste weg vom Asphalt. Nach zwanzig Kilometern sind wir wieder auf der frisch asphaltierten N1 – so frisch, dass der Asphalt noch schmierig und rutschig ist. Bei einer Zigarettenpause sehe ich, dass die ganze Front der BMW mit kleinen Asphalttröpfchen gesprenkelt ist, die das Vorderrad aufgewirbelt hat. Die Schutzbleche sind von innen mit einer dünnen Asphaltschicht bedeckt, was ein perfekter Rostschutz wären, bei Plastik-Schutzblechen aber nicht nötig ist. Während ich noch die Aphaltierung der BMW bestaune, höre ich Chrischi hinter mir fluchen. »Was’sen los? Irgend’was kaputt?« Zuerst denke ich, dass Chrischi sich über die Asphalttröpfchen ärgert, die mühsame Reinigungsarbeiten zur Folge haben werden, sehe dann aber, dass das Vorderrad der DR fast platt ist. Ich packe den kleinen Druckmesser und die Luftpumpe aus. 1,5 Bar sind auf Asphalt nicht akzeptabel. Wir pumpen den Reifen wieder auf 2,0 Bar auf. »Ist Dir vorher nix aufgefallen?« - »Heute morgen war’s noch gut.« Wir kontrollieren noch, ob das Ventil dicht ist, schrauben das Käppchen d‘rauf und fahren weiter. Kurz danach zwingt uns eine Umleitung erneut für zehn Kilometer auf eine gut gepflegte und markierte Piste. Wieder auf Asphalt macht Chrischi Zeichen, dass er stoppen will. Ich glaub‘ die Luft ist schon wieder raus.« Wir kontrollieren den Druck wieder und entscheiden, den Schlauch auszubauen und zu flicken. Während Chrischi das Loch im Schlauch sucht und einen Flicken aufklebt, kontrolliere ich sehr sorgfältig den Reifen, kann aber keinerlei Beschädigungen finden. Nach einer Stunde sind wir wieder unterwegs, die nächste Umgehung ignorieren wir und bleiben auf der fertiggestellten Trasse der N1, die nach wenigen Kilometern sogar schon wieder asphaltiert ist. Wir passieren einen Trupp Straßenarbeiter, die uns rufend und winkend vom frischen Asphalt vetreiben wollen. Wir winken nur zurück und fahren weiter. Inzwischen sind die Berge des Hoggar, die uns den ganzen Tag zur Rechten begleitet haben, nur noch als schwarze Schatten am Horizont rechts hinter uns zu sehen. Die N1 biegt nach rechts in das Tal eines Wadi ein und die Trasse ist so schlecht, dass wir einigen Spuren nach rechts auf eine parallel verlaufende Piste folgen. Wir versuchen die N1 links von uns nicht aus dem Blick zu verlieren, aber die Piste bringt uns von selbst zurück zur jetzt wieder asphaltierten Hauptstrecke.


Kurz danach stoppen wir an der mit großen Schildern markierten Abzweigung der Hauptpiste nach Djanet. Wir trinken Wasser, rauchen eine Zigarette und blicken etwas wehmütig in die Wüste nach Osten. Chrischi hat den Druck im Vordereifen kontrolliert. 2,0 Bar, der Flicken scheint zu halten. Wir fahren weiter und folgen einer Felskette links von uns nach Norden. Wir müssen vor einer Wadiquerung wieder einer Umleitung folgen, die uns auf breiter aber weicher Piste in vielen Kurven um hohe Dünen östlich der N1 herumführt. Auf einem festen flachen Abschnitt stoppt Chrischi wieder. Ich halte neben ihm. »Is‘ schon wieder platt.« Es ist nicht nötig den Druck zu messen, die Felge berührt fast den Sand. »Lass uns da vorne in die Dünen fahren, wird sowieso bald dunkel.« Wir verlassen die Piste nach links und fahren hinter eine Düne. Chrischi stoppt die DR und wirft genervt das Gepäck in den Sand. Ich bereite unser Lager vor, Chrischi baut fluchend das Vorderrad aus, zieht den Reifen ab und kontrolliert den Schlauch. Im Reifen finde ich ein kleines, dickes Stückchen Draht, wahrscheinlich vom Bürstenaufsatz einer Flex. Chrischi hat das Loch im Schlauch gefunden und klebt den Flicken auf. Ich lege das Drahtstück auf den Zeigefinger und zeige es Chrischi. »Gefahr erkannt, Gefahr gebannt.« Chrischi pustet den Draht von meinem Finger. Chrischi baut alles wieder zusammen und pumpt das Vorderrad wieder auf 2,0 Bar auf. Auf ein Camp ohne Versorgungsmöglichkeiten sind wir heute eigentlich nicht vorbereitet, aber Nudeln und Tomatenmark – und Wasser natürlich - gibt’s immer. Nach dem Essen fragt Chrische, »Hast Du noch Kippen?« - »Nee, aber wart mal.« Ich fahre seit letztem Jahr ein Päckchen französischen Drehtabak aus Syrien in meinem Tankrucksack spazieren. Blättchen haben wir allerdungs beide nicht, so dass ein Stück einer Seite aus meinem Notitzbuch den schwarzen, trockenen, krümeligen Tabak aufnehmen muss. Die ›Zigarette‹ schmeckt hauptsächlich nach Papier. Während wir rauchen, scheint es, als käme von Osten ein LKW auf uns zu, hinter den Dünen nähert sich ein helles Licht. Zu hören ist nichts. »Der Mond!« rufe ich und reiche die Zigarette vorsichtig an Crischie weiter, damit die Tabakkrümel nicht herausfallen. Nach ein paar Minuten schiebt sich tatsächlich die Mondscheibe über den Horizont. Wir sind beide sprachlos von der Schönheit der Szene.


Tag 37, Donnerstag

Do., 7. April 1988, Camp bei In Ekker –Ârak 


Morgens versuche ich mich mit Hilfe der IGN-Karte zu orientieren. Die Umleitungspiste sollte uns in wenigen Kilomtern zurück zur N1 bringen und kurz danach werden wir In Ekker passieren. Hier kam es Anfang der 60er Jahre, nach der formellen Unabhängigkeit Algeriens zu einem schweren Unfall bei einem der Atomtests der französischen Ex-Kolonialmacht. Die Explosion erfolgte nicht wie geplant unterirdisch, sondern bahnte sich ihren Weg durch den Zugangsstollen an die Oberfläche. Hunderte Tonnen geschmolzenes strahlendes Gestein und radioaktives Gas verseuchten die Umgebung, einige tausend französische Militär- und Regierungsbeobachter und zufällig anwesende Einheimische wurden verstrahlt.


Wieder auf Asphalt passieren wir den Abzweig zu einer algerischen Öl-Förderanlage, dann erreichen wir In Ekker, eine kleine Siedlung, an deren Ortskern die frisch renovierte und stark befahrene N1 direkt vorbei führt. Wir halten an einem kleinen Restaurant, kaufen Zigaretten, trinken Minztee und essen kleine süße Küchlein. Bevor wir aufbrechen, kontrolliert Chrischi nochmals das Vorderrad der DR, es scheint alles in Ordnung zu sein. Auf dem Weg nach Norden wechseln sich gut ausgebaute Asphaltabschnitte und Umleitungen auf breiten Wellblechpisten ab. Auf einem asphaltierten Abschnitt steht am linken Straßenrand ein weißer Alfa Romeo 2000 ›Bertone‹. Wir stoppen und fragen, ob wir helfen können. Der Fahrer winkt ab. »Muss nur schnell den Achsschenkel wechseln. Ist schon das dritte Mal seit München, geht schnell.« Wir wundern uns über die sehr unterschiedlichen Fahrzeuge und Menschen, die auf der N1 nach Süden unterwegs sind und fahren weiter. Später sehen wir noch einen Citroën 2CV, an dem gerade ein Vorderrad gewechselt wird. Auch hier werden wir weiter gewunken.


Die Strecke führt durch eine weite Stein- und Geröllebene, immer wieder passieren wir enzelne kleine Tafelberge. Wir befinden uns immer noch auf einer Höhe von 800 bis 1000 Metern über Meeresspiegel. Nachmittags kommen im Norden wieder höhere Berge in Sicht, die wir laut Karte westlich umfahren werden. Als uns eine Umleitung eben wieder zurück auf die asphaltierte N1 gebracht hat, folgt die Straße einem Wadi in eine enge Schlucht hinein. An der engsten Stelle liegt ein mit Öltonnen gesicherter Kontrollpunkt von Soldaten, die uns gelangweilt durchwinken, dann passieren wir die Tankstelle von Ârak – eigentlich bereits unser gestriges Tagesziel. Rechts ragen Felsen steil auf, links befindet sich hinter gelben Steinmauern ein Campingplatz mit einzelnen Palmen und einem kleinen Café an der Straße. Wir trinken einen Tee und beschließen für heute hier zu bleiben. Wir buchen die Übernachtung und suchen uns einen Platz, der für morgen früh Schatten verspricht. Für das Abendessen gehen wir zurück zum Café, ich setze mich in den Schatten, Chrischi legt sich mit freiem Oberkörer für ein paar Minuten in die Sonne. Der Kellner und andere Algerier fragen mich besorgt, ob ›mon camarade malade‹ sei. Ich radebreche, »non malade mais fou« - ›nicht krank, aber verrückt‹. Ich winke Chrischi in den Schatten, zeige auf eine einzelne kleine Wolke am blauen Himmel. »Es zieht sich sowieso zu. Und hier versteht niemand, warum man sich freiwillig in die Sonne legt.« Wir lachen und bestellen Couscous und eiskalten verdünnten Orangensirup.


Als der Kellner das Essen bringt, halten die Ténérés von Matthias und Thomas vor dem Café. Ohne große Vorrede setzen sie sich zu uns an den Tisch und bestellen ebenfalls Couscous und Orangensirup.

Die beiden sind vorgestern auch nur bis knapp hinter In Ekker gekommen, weil sie wie Chrischi mehrfach platte Reifen hatten. »Das sind die großen Drahtbürsten, mit denen sie auf den Umleitungen jeden Tag das Wellblech wieder glatt machen.« - »Chrischi hat ein Stück Drahtbürste von zu Hause mitgebracht. Hahaha.« Gestern sind sie dann zum Pilgergrab Moulay Hassan westlich der N1 gefahren und haben da übernachtet. In Ârak wollten sie eigentlich nur tanken und dann bis zur Dunkelheit weiter nach Norden fahren. »Aber so ist‘s ja auch viel gemütlicher.« 


Tag 38, Freitag

Fr., 8. April 1988, Ârak - In Salah


Am nächsten Morgen packen wir auf und frühstücken zusammen in dem Café an der Straße. Chrischi und ich fahren das kleine Stück zur Tankstelle zurück und tanken voll, die Benzinkanister lassen wir leer, die Wasserkanister haben wir auf dem Campingplatz schon aufgefüllt. Dann geht es zurück zum Café, wo Matthias und Thomas schon auf ihren Motorrädern warten. Kurz hinter dem Campingplatz folgt die Straße in einer engen Linkskurve dem Verlauf der Schlucht. Nach wenigen Kilometern wendet sich die N1 in eine Ebene nach Norden zwischen einer Bergkette rechts und entfernten Dünen links. Wieder wechseln sich Abschnitte auf frischem Asphalt und der planierten Trasse ab. Nur an einer Wadiquerung bei Tadjemout müssen wir für ein paar hundert Meter eine gut befestigte Umleitung nehmen. In Tadjemout stoppen wir für eine Minztee- und Zigarettenpause. Immer noch umgibt uns eine weitläufige ›Reg‹, eine Stein- und Geröllwüste. Hundert Kilometer nach unserer Mittagspause fängt der Motor der BMW an, zu stottern und unrund zu laufen. Ich drehe die Benzinhahnen in verschiedene Positionen, um zu testen, ob das Problem wieder hier liegt. Das Stottern bleibt immer gleich. Vor allem Beschleunigen geht nur noch mühsam. Statt voranzuziehen, schüttelt sich die BMW nur heftig. Ich stoppe kurz, um die Kerzenstecker links und rechts kurz abzuziehen und wieder aufzustecken - ohne Erfolg. Heute Abend muss ich mich um Vergaser und Zündung kümmern. Am Nachmittag erreichen wir In Salah, den Campingplatz am westlichen Ortsausgang finden wir leicht. Eine hohe gelbe Mauer umgibt einen sandigen Vorplatz, an der Stirnseite steht ein gelber Ziegelbau, in dem sich das Restaurant und die Waschräume befinden. Wir stoppen auf dem Vorplatz, der Motor der BMW klappert links ziemlich laut und geht aus. Ich befürchte schon einen Schaden im Zylinderkopf und lehne die BMW wie üblich gegen den Benzinkanister. Ich will zunerst prüfen, ob links überhaupt Benzin ankommt und öffne die Schwimmerkammer des linken Vergasers - zusammen mit dem bisschen Benzin aus der Schwimmerkammer fällt die Hauptdüse in den Sand!


Dass der Motor mit herausvibrierter Hauptdüse überhaupt noch 150 km gelaufen ist, grenzt an ein Wunder – oder liegt an den ›überragenden Notlaufeigenschaften‹ des Boxermotors, wie Heiko sagen würde. Ich reinige die Düse sorgfältig und drehe sie wieder in Position. Die BMW springt sofort an und läuft tadellos. Thomas und Chrischi haben inzwischen herausgefunden, dass es im Restaurant bis 22 Uhr Couscous und Getränke gibt. Wir buchen einen Platz für unsere Zelte und Motorräder. Vor dem Essen will ich noch kurz in das hiesige Hamam, von dem ich im Därr gelesen habe. Ich fahre mit der BMW zurück in die Innenstadt. Das Hamam ist ein Kuppelbau im Stadtzentrum direkt neben der Moschee. In Salah ist ein kleiner Ort, rund um eine Oase, nördlich und westlich von Dünen umgeben. Das Hamam ist kleiner und weniger aufwendig als ich es aus der Türkei kenne, trotzdem tut es gut, sich mal wieder komplett sauber zu fühlen. Das Abendessen in unserem Campingplatz-Restaurant ist gut und reichhaltig und es gibt sogar Bier, allerdings kostet eine Halbliter-Dose fast genauso viel wie eine Portion Couscous. Wir trinken jeder zwei Bier und nehmen jeweils noch eins mit zu den Zelten. Seit dem Hamam fühle ich einen komischen Druck in der Stirnhöhle und denke schon, eine ›Erkältung‹ könnte aufziehen. Wir sitzen noch lange vor den Zelten, plaudern und bewundern den Sternenhimmel.


Tag 39, Samstag

Sa., 9. April 1988, In Salah - Timimoun


Nach einem schnellen Frühstück im Campingplatz-Restaurant mit Milchkaffee, der nicht nach Couscous schmeckt, machen wir uns zu unserer letzten Pistenetappe auf. Wir verlassen In Salah auf Asphalt Richtung Westen. Beim kleinen Vorort El Barka hört der Asphalt auf und die planierte Piste führt uns nördlich an dem Dörfchen vorbei. Die Piste ist mit weißen Stangen, die gerade noch in Sichtweite zueinander stehen, markiert. Wir passieren eine Gabelung der Piste und halten uns auf der nördlichen Variante, die dem Bergrücken im Norden folgt und größtenteils gut zu befahren ist. Nur an einer Steigung auf ein kleines Plateau gibt es ein paar hundert Meter tiefen Sand, den wir aber problemlos bewältigen. Kurz nach der Steigung geht es schon wieder hinab in eine weite Ebene, wieder liegt nördlich ein Bergrücken.

Sa., 9. April 1988, Piste zwischen In Salah und Aoulef (© C.v. Ulmenstein)


Die Piste ist fest und wir kommen schnell voran. Mittags erreichen wir einen Flugplatz und kurz darauf die Oase Aoulef. Am westlichen Ortsausgang stoppen wir an einer Tankstelle mit Restaurant und essen eine Kleinigkeit. Obwohl wir erst gut 150 km gefahren sind, fühle ich mich total erledigt und müde. Wir haben heute nur noch 100 km Piste und dann 350 km angeblich guten Asphalt vor uns, ich reiße mich zusammen und wir fahren weiter. Die letzten Kilometer Piste bis Reggâne werden zur Qual. Ich kann mich kaum auf Landschaft und Piste konzentrieren, stattdessen fällt mir ein, dass auch Reggâne ein Atomtest-Zentrum der Franzosen war und südlich der kleinen Stadt in den 60ern ein Dutzend Atombomben oberirdisch explodiert sind - kurz frage ich mich, ob ich vielleicht ›strahlenkrank‹ bin. Außerdem ist Reggâne Ausgangspunkt der berüchtigten Tanezrouft-Piste, die die Sahara im Westen Algeriens Richtung Mali durchquert.


Endlich erreichen wir Reggâne und sind wieder auf Asphalt unterwegs. Im Stadtzentrum zeigt ein Hinweisschild nach Süden die Entfernung bis Gao in Mali mit tausendirgendwas Kilometern an, wir biegen wir nach Norden ab. Ich bin inzwischen sicher, dass ich mir gestern im Hamam von In Salah eine kleine Grippe zugezogen habe. Der Hals kratzt und alles tut weh. Die anderthalb Stunden bis zum Abzweig nach Timimoun fließen wie ein Fiebertraum an mir vorbei. Das Hinweisschild am Abzweig, das 90 km bis zum Tagesziel ankündigt, nehme ich erleichtert zur Kenntnis. Matthias führt uns zum Campingplatz in Timimoun. Ich stoppe die BMW vor unserem Schlafplatz, stelle die Füße auf den Boden und lasse mich nach vorne auf den Tankrucksack fallen. Chrischi und Thomas sichern das Motorrad und helfen mir zu unserem Lager. Ich lege mich hin und schlafe sofort ein. Die drei kümmern sich um die Formalitäten und Chrischi bringt mir irgendwann eine Flasche Wasser und fragt, ob ich was essen will. »Nee, lass mal. Wasser ist gut.«


Tag 40, Sonntag


Ich wache vormittags um elf auf - so lange habe ich schon seit Wochen nicht mehr geschlafen. Die Wasserflasche, die Chrischi mir gestern gebracht hatte, ist leer.


Ich öffne das Zelt und blicke auf einen Campingplatz, der wie ein subtropischer Garten aussieht. Es gibt viele große Palmen, die jeweils von kleinen Rasenflächen und Blumenrabatten umgeben sind. Ich krieche aus dem Zelt. Die Motorräder stehen neben den Zelten. Die drei anderen sind nirgendwo zu sehen. Ich gehe zu den Waschräumen und nehme eine lange Dusche. Als ich zurückkomme, sitzen die anderen vor unseren Zelten. Sie wollen natürlich wissen wie es mir geht. »Besser, aber der Kopf brummt noch. War wohl ‘ne heftige, aber schnelle Erkältung.« - »Du hast zu wenig getrunken. Klassische Dehydrationssymptome. Heute noch drei Liter Wasser und Du bist wieder fit.« Thomas grinst und reicht mir eine Wasserflasche. Ich trinke einen halben Liter in kleinen Schlucken und auch die Halsschmerzen werden besser. Wir sitzen eine Weile vor den Zelten und diskutieren meine ›Krankheit‹.


»Gibt’s hier ‘n Restaurant? Ich hab‘ ‘n Bärenhunger.« - »Ja.« Matthias guckt auf die Uhr. »Macht aber erst um zwei wieder auf, noch ‘ne halbe Stunde. Wir hatten gestern Abend ‘ne Grillplatte, war super!« - »Gut, dann gucken wir gleich mal was sie zum Mittagessen haben.« Ich trinke die ganze Zeit weiter aus der großen Mineralwasserflasche und gucke mich auf dem wunderschönen Campingplatz um. Gegenüber von den Waschräumen rechts von uns steht links das Restaurant, ein Gebäude mit überdachter Steinterrasse, mit großen Töpfen blühender Pflanzen darauf. Nachdem der Tag gestern irgendwie an mir vorbeigeflogen ist, bin ich scheinbar heute umso aufmerksamer. Ich lege den Finger an die Lippen. Zum ersten Mal seit vielen Wochen ist wieder der Gesang von Vögeln zu hören. »Hört ihr die Vögel?!« Wir lauschen ein paar Minuten schweigend und bewundern das Grün des Campingplatzes. Plötzlich fällt mir die Ölwanne der BMW wieder ein und ich lege mich neben das Motorrad auf den Boden. Die ganze Unterseite hängt inzwischen voller Öltropfen. »Ich glaube, ich muss mir ‘ne neue Ölwanne nach Spanien schicken lassen. Das hält nicht mehr lange.« Es ist jetzt kurz vor zwei und wir gehen zum Restaurant. Es gibt eine richtige Speisekarte mit vielen verschiedenen Gerichten, trotzdem entscheide ich mich für ein Couscous mit Lamm. Die Kellner sind sehr freundlich, das Essen ist wirklich gut und das Mineralwasser ist kalt.


Nachmittags kümmern wir uns alle um unsere Motorräder. Matthias und Thomas wollen noch bis Dienstag hierbleiben und dann über El Golea und El Ghardaïa nach Algier fahren, wo Freitag ihre Fähre zurück nach Marseille ablegt.


Abends essen wir wieder in dem Campingplatz-Restaurant, die drei wollen noch mal die Grillplatte, die sie gestern schon hatten, ich stimme begeistert zu. Wir bleiben bis Mitternacht auf der Terrasse und essen und plaudern.


Tag 41, Montag


Mo., 11. April 1988, Timimoun - Beni Abbès


Wir sind alle um neun Uhr auf den Beinen, packen auf und trinken Kaffee mit Milch auf der Terrasse des Restaurants. Mittags sind Chrischi und ich wieder auf der Fernstraße nach Norden. Unser heutiges Etappenziel ist nur rund 350 Asphalt-Kilometer entfernt in Beni Abbès, wo wir am späten Nachmittag ankommen. Wir finden eine kleine überfüllte, laute Bar, wo wir Abendessen wollen, stellen aber fest, dass wir kein algerisches Geld mehr haben und die Banken schon geschlossen sind. Ich finde noch einen schweizerischen 10-Franken-Schein in meiner Brieftasche, der uns ein Abendessen in der Bar ermöglicht. Wir übernachten etwas außerhalb des Ortes in den Dünen.


Tag 42, Dienstag

Di., 12. April 1988, Beni Abbès – Aïn Séfra


Morgens fahren wir zuerst zurück nach Beni Abbès und tauschen unsere letzten FF-Reisechecks in algerische Dinar, danach tanken wir die Motorräder voll, dann geht es zurück auf die N6, Richtung Norden. Nach 30 km biegen wir nach rechts auf eine kleinere Landstraße ab, die einen Haken der N6 abkürzt. Nach zwei Stunden sind wir wieder auf der N6. Links sind die Zäune und Bebobachtungstürme der marokkanischen Grenze zu sehen. Auf dem Teilstück, das wir abgekürzt haben beginnt an der N6 die neu gebaute N50, deren Zweck die Anbindung der Oase Tindouf an der Grenze zur seit 1975 von Marokko besetzten ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara ist. Tindouf ist ein riesiges Flüchtlingslager der vor den Markokkanern geflohenen Saharauis, Hauptquartier der POLISARIO und Standort der Exilregierung der Demokratischen Arabischen Republik Sahara. Die Vereinten Nationen haben mehrfach die Durchführzung einer Volksabstimmung über den Anschluss an Marokko bzw. die Selbständigkeit der Westsahara beschlossen. Marokko weigert sich bis heute, diese Volksabstimmung durchzuführen, und lockt stattdessen Marokkaner aus dem Norden mit wirtschaftlichen Anreizen in das besetzte Gebiet. Die Westsahara ist einerseits reich an Bodenschätzen und verdoppelt andererseits die Länge der marokkanischen Atlantikküste und vergrößert die marokkanischen Fischereigewässer entsprechend. Die algerische Regierung hat die Unabhängigkeitsbewegung der Westsahara schon unterstützt, als der Küstenstreifen noch spanische Kolonie war, anfangs auch militärisch, inzwischen nur noch logistisch und politisch. Die gut ausgebaute N6 und N50, die Marokko östlich und südlich umgeben und die Verbindung vom Mittelmeer zur ›Hauptstadt‹ der POLISARIO, Tindouf, herstellt, ist in jedem Fall ein starkes Symbol des großen ›sozialistischen‹ Nachbarn gegen das kleine westlich orientierte Königreich.


Nachmittags passieren wir Beni-Ounif an der marokkanischen Grenze, der kürzeste Weg nach Melilla würde uns hier nach Marokko führen, aber wir wollen es vermeiden, in Marokko übernachten zu müssen. Wir haben zu viele Geschichte über den erzwungenen Dreieckshandel mit Drogen gehört und bleiben lieber so lange wie möglich in Algerien. Vor allem das Rîf-Gebirge ist berüchtigt dafür, dass bewaffnete Gangs Touristen auf den Fernstraßen nötigen, Cannabis zu kaufen, das den Touristen dann einige Kilometer weiter von einer ›zufälligen‹ Polizeikontrolle gegen Zahlung einer hohen Geldstrafe wieder abgenommen wird und vermutlich von dort gegen Zahlung einer ›Entschädigung‹ wieder zurück an die Gangs geht.


Wir lassen den Grenzübergang also links liegen und kommen eine Stunde später in Aïn Sefra, unserem heutigen Tagesziel an. Wir finden ein kleines billiges Hotel mit Abendessen auf der Terrasse. Die Motorräder können wir im Hof abstellen, so dass wir uns keine Gedanken um das Gepäck machen müssen.


Tag 43, Mittwoch

Mi., 13. April 1988, Aïn Séfra – Maghnia


Zum Frühstück sitzen wir wieder am selben Tisch auf der Terrasse wie gestern Abend. Auch unser Gespräch dreht sich weiter um die Planung unserer nächsten Reise - nach Ostafrika. Wir beide sind von den Geschichten von Andi und Tom angestachelt und wollen Zentralafrika durchqueren und unsere Motorräder in die weiten Savannen Kenias oder Tansanias bringen. Uneinigkeit herrscht nur über die Frage, ob das ganze eine Motorrad-Rundreise oder was die Motorräder angeht ein One-Way-Trip werden soll und wir eine der Strecken im Flugzeug zurücklegen. Gegen zehn müssen wir dann zu unserer letzten Etappe in Algerien aufbrechen. Bis Maghnia an der marokkanischen Grenze sind es 460 km gute Landstraße, also knapp acht Stunden Fahrt, so dass wir gerade noch im Hellen dort ankommen sollten. Der größte Teil der Etappe führt durch eine weite öde Ebene, erst kurz vor Maghnia steigt die Straße in die Ausläufer des Atlas-Gebirges auf. Am Orteingang weist ein Schild nach links die Entfernung zur marokkanischen Grenzstadt Oujda mit 26 km aus. Wir erreichen den Campingplatz genau um 18 Uhr. Wieder einmal gibt es Nudeln mit Tomatensauce und lauwarmes Wasser.


Tag 44, Donnerstag

Do., 14. April 1988, Maghnia – Melilla


Wir sind nach einem schnellen Kaffee früh wieder unterwegs, obwohl unsere heutige Etappe nur rd. 150 km lang sein wird. Wir fahren zurück zur Fernstraße nach Westen und sind nach wenigen Minuten am Abfertigungsposten des algerischen Militärs und Zolls. Unsere Dokumente werden geprüft und schließlich fragt sogar einer der Uniformierten nach unserer Devisen-Umtauschbestätigung, die wir uns in In Aménas haben ausstellen lassen. Dass die Umtauschbestätigung ein anderes Datum als der Einreisestempel hat, stört niemanden. Nach nur zwanzig Minuten werden wir über die mit einem weißen Strich markierte Grenze geschickt. Die Marokkaner lassen sich etwas mehr Zeit und wollen sogar in die Tankrucksäcke gucken, aber nach einer Dreiviertel Stunde sind auch hier alle Stempel gesetzt und wir werden weiter gewunken. Direkt hinter dem Posten steht am Straßenrand ein kleiner Kiosk, der Coca-Cola und Orangen verkauft – wir sind zurück im Kapitalismus! Wir haben seit Wochen kein frisches Obst mehr gesehen, geschweige denn gegessen. Chrischi kauft vier Orangen und zwei kleine Flaschen Cola. Wir stoßen mit der Cola an, die Orangen heben wir uns für später auf. Hinter Oujda steigt die Straße auf den Hauptkamm des Atlas auf und führt von dort in weichen Kurven und mit herrlicher Aussicht hinunter in die Küstenebene. Die Halbinsel von Melilla ist schon von weitem hinter ausgedehnten Salinen zu sehen. Eine Stunde später stehen wir erneut vor Grenzabfertigungsanlagen und verlassen Marokko schon wieder. Die spanische Guardia Civil beachtet uns als offensichtliche Europäer kaum, widmet sich dafür ausführlich den kleinen überladenen Peugeots und Renaults mit marokkanischen, spanischen und belgischen Kennzeichen, die die afrikanischen Gastarbeiter zurück zu ihren europäischen Areitsplätzen bringen. Ein Stück vor uns ist der gesamte Inhalt eines kleinen Seat neben dem Auto ausgebreitet und wird von einem Grenzer mit Schäferhund untersucht.

Es ist Mitte April, und hier bedeutet das, es ist ein angenehm warmer Frühlingstag. Und da wir inzwischen wieder einige Tausend Kilometer weiter nördlich sind, wird es auch nicht mehr pünktlich um 18 Uhr dunkel. Wir verbringen den Nachmittag in der mittelalterlichen Festungsstadt Melilla. Gegen fünf fahren wir zum Hafen, kaufen uns zwei Deckspassagen nach Almería auf dem europäischen Festland und reihen uns in die Schlange vor dem Fähranleger ein. Um acht geht die Schiffsreise nach Spanien los. Wir essen in einem Restaurant auf dem Oberdeck zu Abend und suchen uns hinterher einen windgeschützten Schlafplatz auf dem Aussichtsdeck in der Nähe der Rettungsboote. Die Fahrt über die Alboran See ins 200 km entfernte Almería dauert acht Stunden, so dass wir am frühen Morgen in Europa ankommen werden. Wie immer bauen wir eine kleine Festung aus unseren Sachen rund um den Schlafplatz. Meine Motorradjacke und der Rucksack dienen als Kopfkissen, der Helm liegt rechts neben meinem Kopf. Das sanfte Schaukeln des Mittelmeeres und das gleichmäßige Brummen der Schiffsmotoren, das durch das Stahldeck übertragen wird, lässt uns schnell einschlafen.


Verlust und Gewinn                            nach oben


Tag 45, Freitag

Do. bis Fr., 14.-15. April 1988, Melilla – Almería


Wir wachen bei Sonnenaufgang auf. Über Nacht ist es deutlich kälter geworden. Zuerst stelle ich fest, dass ich nicht mehr auf meinem Rucksack liege, sondern neben ihm. Und der Verschluss des Rucksacks ist aufgeschnürt! Ich fasse hinein und kann den Photoapparat nicht finden. Ich setze mich auf und durchsuche den Rucksack gründlich. Der Photoapparat ist weg.


Außer über den emotionalen Wert der über zwanzig Jahre alten Porst Kamera, die mein Vater sich selbst in den 60er Jahren und dann letztes Jahr mir für meine Reisen geschenkt hatte, bin ich traurig über die fast 36 Photos, die unsere Reise seit dem Assekrem dokumentiert haben und nun mit der Kamera verschwunden sind. Ich sage Chrischi, was passiert ist, und er durchsucht sein Gepäck, aber bei ihm fehlt nichts.


Backbord voraus ist bereits die andalusische Küstenlinie zu sehen. Wir packen unseren Kram zusammen und bereiten uns auf das Ausschiffen vor. Chrischi versucht noch, mich zu überzeugen, den Diebstahl von heute Nacht bei den Schiffsoffiziellen zu melden. Aber ich habe nicht viel Hoffnung, dass das irgendeinen Erfolg haben könnte – bin stattdessen sicher, dass es zu einem bürokratischen Albtraum werden würde, zumal wir beide nur einige Brocken Spanisch sprechen.


Wir trinken einen Kaffee in der kleinen Bar auf dem Aussichtsdeck und beobachten von dort die Einfahrt in den Hafen von Almería.

Um halb acht fahren wir auf unseren Motorrädern aus dem Hafen. Andalusien empfängt uns mit einem sonnigen Frühsommertag. Direkt gegenüber des Hafens steht ein großes altes Postamt. Wir parken die Motorräder, trinken einen weiteren Kaffee in einem kleinen Café und warten, dass die Post um acht öffnet. Nach dem Kaffee und einer Zigarette gehe ich in das Postamt und rufe meine Eltern an, um Bescheid zu sagen, dass wir heil nach Europa zurückgekommen sind, dass aber heute Nacht die Porst verloren gegangen ist und bitte darum, mit Heikos Hilfe eine Ölwanne zu kaufen und per Express nach Almería zum Hauptpostamt zu senden, außerdem bitte ich noch um die telegraphische Anweisung von 500 DM, damit wir entspannt zurück nach Deutschland fahren können. Meine Mutter ist froh, dass der gefährliche Teil der Reise glücklich beendet ist und wir ›nur noch‹ zweieinhalb tausend Kilometer europäische Autobahn bis nach Hause vor uns haben. Um die Ölwanne und das Geld werden sie sich noch heute Vormittag kümmern. Ich tausche noch meine restlichen britischen Pfund Sterling in spanische Pesetas und gehe zurück zu dem Café, wo Chrischi wartet und inzwischen eine Tortilla Francesa, ein Omelette, bestellt und halb aufgegessen hat. Ich bestelle mir auch eine Tortilla und wir suchen auf der Landkarte nach einem Campingplatz in der Nähe. Wir entscheiden, nach dem Frühstück, Almerá Richtung Westen zu verlassen, und an der Küste den erstbesten Campingplatz zu nehmen.

Wir verlassen das Stadtzentrum fahren die Küstenstraße nach Westen. Nach wenigen Minuten zeigt ein Hinweisschild nach links zum ›Camping La Garofa‹, wir fahren die enge Schotterpiste zum Strand hinunter und buchen einen Platz für ein Zelt und zwei Motorräder. Ein kleiner Bach windet sich hier aus dem Küstengebirge ins Meer, der Strand ist steinig und sieht nicht sehr einladend aus, aber wir wollen uns hier ja auch nicht Badeurlaub machen, sondern uns nur ein paar Tage erholen, die Ölwanne der BMW tauschen und uns und die Motorräder auf die Heimfahrt vorbereiten. An der Rezeption des Campingplatzes gibt es die Möglichkeit gegen hohe Gebühr, nach Deutschland zu telefonieren. Chrischi ruft seine Ma an, um ebenfalls Bescheid zu sagen, dass wir wieder in Europa sind. Die wurde aber schon vor einer Stunde von meinen Eltern angerufen. Die Informationsketten in Hannover funktionieren. Wahrscheinlich trifft Heiko sich gerade mit meinem Vater bei BMW, um eine Ölwanne und die nötigen Dichtungen zu kaufen. Und sicherlich weiß Ande auch schon Bescheid, dass wir auf dem Rückweg sind.


Nach einer kurzen Pause am Strand, während der wir die marokkanischen Orangen von gestern essen, fahren wir zurück auf die Küstenstraße, wo wir vorhin an einem großen Supermarkt vorbeigekommen sind. Wir kaufen H-Milch, Kaffee, einen kleinen Grill und Holzkohle, kleine Chorizos und ein paar Tetrapacks billigen Rotwein. Immer wieder denke ich kurz, ich müsste ein Photo machen, besinne mich dann aber, dass ich gar keinen Photoapparat mehr habe. Nach den vielen Wochen auf Reise, während denen ich alles photographiert habe, ist es ein merkwürdiges und verstörendes Gefühl, ohne Kamera unterwegs zu sein. Zurück auf dem Campingplatz erzähle ich Chrischi davon und vergleiche das Gefühl mit der Fahrt durch Kairo ohne funktionierende Hupe. Crischie lacht. Gewohnheitsmäßig machen wir unsere tägliche kleine Wartungsrunde um die Motorräder, obwohl wir heute weniger als 50 km Stadt und Landstraße hinter uns haben. Am Nachmittag beginnen wir die Vorbereitungen für unser Grillfest am Strand. Ich probiere den Rotwein, der trotz des Preises von umgerechnet nur zwei Mark erstaunlich gut ist. Chrischi hat inzwischen den Grill angeworfen. Wir essen unsere Paprikawürstchen direkt vom Grill mit den Fingern und trinken Rotwein dazu. Und wir erzählen uns die Höhepunkte unserer Reise, die wir doch zusammen erlebt haben, aber eben aus unterschiedlichen Perspektiven. Und immer wieder blitzt der Plan einer Motorradtour nach Ostafrika kurz auf.


Tag 46, Samstag


Etwas benommen vom Rotwein wachen wir am nächsten Vormittag auf. Ich starte den Benzinkocher und mache Kaffee während Chrischi im kleinen Campingplatzladen ein Baguette und ein paar kleine Törtchen kauft. Wir frühstücken im Schatten vor unserem Zelt und trinken Kaffee mit richtiger Milch. Chrischi scheint ein bisschen nervös zu sein und geht nach dem Frühstück nochmals zur Rezeption, weil er seine Ma ein weiteres Mal anrufen will. Ich breite inzwischen die Spanien- und Frankreichkarten vor mir aus und plane unseren Weg nach Hause. Ich will auf jeden Fall einen Zwischenstopp in Cadaqués in Katalonien einlegen. Durch Spanien werden wir Landstraßen fahren und in Frankreich dann die zwar mautpflichtge aber deutlich schnellere Autobahn nehmen. Der übliche Weg führt über Montpellier, Avignon und Lyon nach Mulhouse, südlich von Freiburg überquert man dann die französisch-deutsche Grenze und fährt auf A5 und A7 über Karlsruhe und Frankfurt nach Hannover. Beim Blick auf die Karte fällt mir ein, dass unsere Motorräder vielleicht immer noch auf der ›Fahndungsliste‹ der deutschen Autobahnpolizei stehen und 600 km auf deutschen Autobahnen wahrscheinlich keine gute Idee sind. Ich überlege kurz und denke, die beste Möglichkeit wäre vermutlich, wenn wir uns an der deutschen Grenze von jemandem abholen lassen würden. Wenn wir in Cadaqués sind, werde ich Heiko anrufen und fragen, ob er sich ein passendes Auto leihen kann und Zeit hat, uns an der luxemburgischen oder belgischen Grenze abzuholen. Im Zweifel könnte ich auch meine Eltern bitten, uns einzusammeln.

Als Chrischi von der Rezeption zurückkommt, erzähle ich ihm von meinen Überlegungen, aber er hört gar nicht richtig zu. »Chrischi, ist alles ok zu Hause?« - »Ja, alles super. Deine Ölwanne kommt heute abend am Bahnhof von Almería an.« - »Wie, am Bahnhof?« - »Weiß auch nicht.« Chrischi grinst schief. »Irgendwie Express wegen Zoll und so...« Ich ahne bürokratisches Durcheinander und bin nicht erfreut. »Na gut. Sehen wir, was passiert.« - »Genau!« Chrischi grinst wieder. »18:43 Uhr, Hauptbahnhof Almería. Lass uns mal gucken, ob wir noch was zum Grillen für heute Abend bekommen. Man muss ja auch sonntags was essen.« Chrischi hat natürlich recht, aber glücklicherweise haben die großen Supermärkte in Spanien auch sonntags geöffnet. Wir räumen unseren Frühstückskram zusammen und fahren wieder zu dem großen Supermarkt an der Küstenstraße. Wir kommen genau richtig, er schließt heute um 14 Uhr, in einer halben Stunde. Für heute kaufen wir Lammkoteletts, einen Nudelsalat und mehr Rotwein. Zurück auf dem Campingplatz breite ich die Landkarten nochmals aus und erzähle Chrischi von meinem Plan für den Heimweg. Er stimmt zu, dass ein Zwischenstopp in Cadaqués schön wäre. Er selbst kennt das kleine ehemalige Fischerstädtchen an der Costa Brava, das auch Altersitz von Salvador Dalí war, nur von den Geschichten, die in Hannover die Runde machen. Fast jeder unserer Freunde war in den letzten Jahren mindestens ein Mal in Cadaqués. Auch, dass wir uns an der Grenze abholen lassen sollten, findet Chrischi vernünftig. Er kennt meine Eltern gut genug, um sicher zu sein, dass sie uns ohne Murren ›überall‹ abholen würden. Er kennt die Geschichte, dass mein Vater mich vor ein paar Jahren mit dem Auto in Südfrankreich abgeholt hat, nachdem meine Vespa vor der Jugendherberge in Arles geklaut worden war.


Um fünf setzt Chrischi wieder sein nervöses Grinsen von heute Vormittag auf und sagt, dass wir bald los müssen. Wir haben natürlich keine Ahnung, wo der Bahnhof von Almería ist, ich vermute ihn aber in der Nähe des Hafens. Um sechs fahren wir dann los. Chrischi kann seine Aufregung kaum verbergen, was ich nicht verstehen kann, schließlich geht es nur um eine Ölwanne für die BMW. Wir fahren ins Stadtzentrum von Almería, an dem Kreisverkehr, wo wir gestern den Hafen verlassen haben, zeigt ein Hinweisschild geradeaus zur ›Estacion‹. Wir passieren die Hafenanlagen, hinter einem weiteren Kreisverkehr steht rechts ein gelbes Backsteingebäude mit Stahl-Glaskuppel aus dem frühen 20. Jahrhundert. Wir parken die Motorräder vor dem Haupteingang des Bahnhofs, Chrischi konsultiert die Fahrpläne und führt mich zu den Bahnsteigen. Wir warten weniger als eine Zigarettenlänge, bis ein Fernzug einfährt. »Und jetzt?« frage ich. »Abwarten.« Chrischi grinst wieder. Die Lokomotive und die ersten Waggons fahren an uns vorbei, bevor der Zug stoppt. Im hinteren Teil öffnen sich die Türen und Ande klettert aus dem Zug! Ich gucke Chrischi ungläubig an. »Hab‘ doch gesagt, ›Express, wegen Zoll‹.« Ich renne schon auf Ande zu. Wir fallen uns in die Arme, ich stammele ein paar Fragen. Ande sagt nur, »Lass uns fahren, ich erklär‘ das später.« Ich schnappe mir Andes schwere Reisetasche und wir gehen zurück zu Chrischi. Die beiden begrüßen sich. »Hat ja geklappt mit der Überraschung.« -»Ja, war aber echt schwierig, den Mund zu halten.« Chrischi grinst wieder und jetzt verstehe ich die Show, die er den ganzen Tag abgezogen hat. Wir gehen zu den Motorrädern und fahren zu dritt zum Campingplatz. Dass Ande als Sozia hinter mir keinen Helm hat, ignorieren wir für die zwanzigminütige Strecke einfach.

Mir schwirren tausend Fragen durch den Kopf, die bis zum Campingplatz warten müssen. Ande geht es sicherlich genauso. Auf der Küstenstraße überholt Chrischi uns winkend, als wir bei unserem Lager ankommen, sitzt Chrischi schon vor dem Grill am Strand. »Hunger?« fragt er und hantiert mit der Kohle und einem benzingetränkten Stück Klopapier. »Ich brauch‘ erstmal ‘n Wein.« ich ziehe das halbvolle Tetrapack von gestern aus dem Zelt und halte Ande eine unserer Blechtassen hin. »Du auch?« Ich gieße drei Becher voll und wir stoßen an. Ande holt ihre Reisetasche von der BMW. Sie stellt sich vor mich und hält mir die Ölwanne vor’s Gesicht. »Expresszustellung.« Wir lachen. »Wann musst Du denn wieder zurück?« - »Eigentlich morgen, aber ich werde wohl verlängern.« - »Cool!«


Wir grillen und Ande erzählt, wie es zu der persönlichen Expresszustellung der Ölwanne kam. Sie zieht ihre Brieftasche aus der Jackentasche und drückt mir die 500 DM von meinen Eltern in die Hand. »Und hier noch deine telepathische Geldanweisung. Hahaha.« Wir essen und trinken viel Rotwein, während Chrischi und ich von unserer Reise berichten. Besonders der Unfall bei der Abfahrt vom Assekrem, der den Ölwannentausch nötig machte, muss im Detail berichtet werden und natürlich Chrischis Unfall im Fesch-Fesch vor Fort Gardel. Obwohl wir bis lange nach Mitternacht am Strand sitzen und erzählen, können wir die ganze Reise nicht vollständig beschreiben. Mir fällt auf, dass – wie bei Andi und Tom in Tamanrasset – die Geschichten von Chrischi und mir manchmal voneinander abweichen. Aus verschiedenen Perspektiven kann dasselbe Geschehen eben unterschiedlich aussehen.


Tag 47, Sonntag


Wir frühstücken lange vor unserem Zelt. Bevor ich die Ölwanne tausche, fahre ich mit Ande nach Almería zum Bahnhof, damit sie ihren Zug zurück nach Hannover von heute Abend auf morgen Abend umbuchen kann, danach ruft sie in ihrer Schule an und meldet sich für Montag krank, ich habe inzwischen einen Teil der 500 Mark von meinen Eltern in spanische Pesetas getauscht. Unterwegs kaufe ich an einer Tankstelle einen Kanister Motoröl.


Auf dem Campingplatz sitzen Ande und ich lange am Strand und erzählen uns, was in den letzten zwei Monaten in Afrika und Hannover passiert ist. Chrischi hat beschlossen einen kleinen Ausflug die Küste entlang zu machen und uns einen freien Nachmittag zu zweit zu gönnen. Als Chrischi zurückkommt, bin ich gerade dabei, die Ölwanne abzuschrauben und die Reste des GFK-Härters vom Motorblock zu kratzen, besonders hartnäckig sitzt der feste Kunststoff auf der Dichfläche rund um eine der Befestigungs-Schraubenlöcher, wo der Riss der Ölwanne bis zur Bohrung reichte. Bevor es dunkel wird, ist die Ölwanne mit neuer Dichtung montiert und das Öl aufgefüllt. Die große Wartungsrunde verschiebe ich auf morgen. Chrischi und Ande waren inzwischen nochmals im Supermarkt und haben Abendessen gekauft. Während ich meine Hände sauber schrubbe, fangen die beiden an, Nudeln mit einer Fischsauce zuzubereiten. Auch der billige Weißwein im Tetrapack ist erstaunlich gut. Nach dem Essen dreht Ande sich eine Zigarette und mir fällt die improvisierte Zigarette mit Mondaufgang an der N1 nördlich von Tam ein. »Eigentlich ist das schönste in der Sahara der Himmel. Sonst gibt’s nur Sand und Steine.« - »Och, nö. Nich‘ schon wieder.« stöhnt Chrischi. »Mit seinem ›nur Sand und Steine‹ nervt er schon seit zwei Monaten.« Chrischi erzählt von den riesigen Dünen, die er beinahe erstiegen hätte und den wunderschönen Landschaften der Wüste und des Hoggar. Ich stimme ihm zu, dass der Hoggar des schönste Gebirge ist, dass ich bisher gesehen habe.


Heute ist der Abend, an dem wir von unseren kleinen Ticks und Marotten erzählen, den gemeinsamen und den bisher unausgesprochenen beim anderen beobachteten.


Vom morgendlichen Stiefelausklopfen, um die Skorpione hinauszuschütteln, über das ›Es zieht sich zu‹ bei der kleinsten Wolke am ansonsten makellos blauen Himmel und mein schon erwähntes ›Nur Sand und Steine‹, bis zu unseren aufwendigen Lagerbauten aus möglichst bunten Sachen, die wir bei Übernachtung unter freiem Himmel um unseren Schlafplatz aufbauen, um neugierige Tiere abzuschrecken. Aber auch, dass ich immer Pläne mache, an die sich dann alle ohne Abweichung zu halten haben; dass ich immer übervorsichtig bin und alle Sicherheitsvorkehrungen dreimal überprüfe; dass Chrischi einen eigenwilligen Orientierungssinn hat und immer lieber weiterfährt, als auf der Karte nach dem richtigen Weg zu gucken.


Schließlich aber auch, dass diese Mischung aus Vorsicht und Übermut zusammen mit der Fähigkeit darüber miteinander zu lachen, vielleicht das Erfolgsrezept unserer insgesamt gelungenen Saharareise ist.


Tag 48, Montag


Wir frühstücken ausgiebig vor unserem Zelt. Ande und ich bereiten uns darauf vor, dass wir uns heute Nachmittag schon wieder trennen müssen, diesmal aber nur für ein paar Tage. Samstag oder Sonntag sollten wir mit den Motorrädern wieder in Hannover sein. Ich schließe meine gestern abgebrochene große Wartung an der BMW ab und wir vertrödeln den Rest des Tages am Strand, um fünf bringen wir Ande zum Bahnhof. Auf dem Rückweg halten wir an einem kleinen Restaurant am Hafen und essen dort eine Paëlla. 


Tag 49, Dienstag

Di., 19. April 1988, Almería – L‘Ampolla


Das Aufwachen bei Sonnenaufgang und das sehr schnelle Frühstück am Morgen, haben wir schon wieder verlernt, so dass wir den Campingplatz erst gegen zehn verlassen. Wir durchqueren Almería, hinter der Stadt passieren wir ein paar in den 60er und 70er Jahren für Filmproduktionen gebauten Westernstädtchen und begeben uns auf die E15, die von der Südspitze Spaniens quer durch Frankreich bis in den Norden Schottlands führt, und der wir bis Zentralfrankreich folgen werden. Da wir die mautpflichtigen Autobahnen in Spanien meiden wollen, fahren wir hauptsächlich auf kleinen und größeren Landstraßen, nach einem Schlenker ins Landesinnere, die Mittelmeerküste hinauf. In Valencia verfahren wir uns im Bemühen, die Richtung nach Barcelona zu finden, ohne den blauen Autobahnschildern zu folgen. Hinter Valencia führt die gut ausgebaute Landstraße die Küstenlinie entlang. Gegen Abend schneidet die Fernstraße die Landzunge des Ebrodeltas ab, zurück an der Küste, im Städtchen L’Ampolla sehen wir das Hinweisschild zu einem Campingplatz mit Restaurant. Wir stoppen kurz und beschließen hier zu übernachten.


Der Campingplatz ist eine grüne Wiesen mit Olivenbäumen und Blumeninseln, das Restaurant ist gut und preiswert.


Wir gehen früh ins Bett, 650 km Landstraße haben uns müde gemacht und morgen stehen wieder 300 auf dem Plan.


Tag 50, Mittwoch

Mi., 20. April 1988, L’Ampolla - Cadaqués


Wir frühstücken in dem Campingplatz-Restaurant und packen auf. Als wir abfahrbereit sind, zieht es sich zu – heute tatsächlich. Von Westen drängen dunkle tiefliegende Wolken gegen die Küste. »Es wird Regen geben.« - »Mach kein’n Scheiß! Wir sind in Spanien.« Etwas verunsichert wegen des Wetters fahren wir los, folgen der Küste nach Nordwesten. Zwei Stunden später sind wir in den Vororten von Barcelona und müssen wieder unseren Weg nach Norden finden und dabei die Autobahn vermeiden. Immerhin scheint jetzt mal die Sonne. Hinter Barcelona tanken wir die Motorräder voll und biegen ins Landesinnere ab, um die nieder-ampurische Küstenlinie der Costa Brava abzuschneiden. Es geht in dichten Wäldern hinauf in die Berge von Hoch-Ampurien, während ich den Benzinverbrauch seit Almería berechne, wenn ich keinen Rechenfehler gemacht habe: gut 8 Liter pro 100 km. Dass ist wesentlich mehr als erwartet, aber es ist auch die erste europäische Landstraßenetappe seit dem Motorumbau, vielleicht sind 8 Liter der neue Normalverbrauch. Kurz vor Girona bricht ein heftiges Gewitter über uns herein. Nach fünf Minuten sind wir beide völlig durchnässt. Für die nur noch knapp 100 km bis Cadaques bruchen wir doch fast zwei Stunden. Nasser Asphalt verunsichert uns inzwischen mehr als feste Sand- oder Schotterpisten.


Als wir den Pass erreichen, an dem der Abzweig hinunter in die Bucht von Cadaqués beginnt, hört der Regen auf. Den Weg zum Campingplatz auf dem Höhenrücken nördlich der Stadt kenne ich gut. Auf dem Platz haben wir freie Wahl, es ist noch früh im Jahr und noch lange nicht Camping-Saison. Wir wählen einen Platz am Ende einer der Stichwege, mitten auf dem Höhenrücken. Nach einer Zigarette laden wir die nassen Sachen von den Motorrädern und bauen unser Zelt auf. Ich hole zwei kleine Flaschen Bier aus dem Campingplatz-Café und wir setzen uns vor das Zelt, immer noch ein bisschen verwirrt von dem heftigen Regen, der uns heute erwischt hat. Unsere Jacken und Handschuhe hängen auf den Lenkern zum Trocknen. »Machen wir hier ‘n Tag Pause?« fragt Chrischi bittend. Ich breite die Frankreich-Karte vor uns aus und rechne schnell die Kilometer zusammen. Zur deutschen Grenze in Belgien oder Luxemburg sind es noch rund tausend Kilometer. Wenn wir uns abholen lassen wollen, wäre dafür Samstag oder Sonntag ideal. »Ich ruf mal Heiko an, ob der uns Sonntag abholen kann, dann haben wir noch ‘n Tag in Reserve, aber auch wenn wir schon Samstag an der Grenze sein müssen, können wir unseinen Tag hier noch erlauben. Ich suche mein spanisches Kleingeld zusammen und gehe zu der kleinen Campingplatz-Bar, wo es ein Münztelefon gibt. Ich erreiche Heiko zu Hause, aber er fährt über das Wochenende in’s Allgäu, wo seine Freundin eine Ausbildung macht. Ich rufe direkt meine Eltern an und sie erklären sich bereit, uns am Samstagmittag an der deutsch-luxemburgische Grenze abzuholen. Chrischi und ich gehen hinunter in das kleine Städtchen, essen eine Kleinigkeit am Hafen und gehen danach in eine Bar, wo wir einen Espresso und ein paar Gläser Wein trinken.


Tag 51, Donnerstag


Nachts höre ich nochmals kurz Regen auf’s Zelt prasseln, aber morgens ist der Himmel wolkenlos blau. Wir frühstücken ausführlich vor unserem Zelt während ich auf die Frankreichkarte vor mir blicke und im Kopf Kilometer addiere. Das Mittelmeer vor der französischen Küste dient als Notizzettel für die Etappen. Am späten Vormittag beginnen wir die Wartung der Motorräder. Vorgestern und gestern sind wir so viele Kilometer gefahren, wie in Algerien in einer ganzen Woche, und morgen wird es noch mal genauso viel. Ich schließe die ›kalten‹ Arbeiten ab und breche zum Pass oberhalb von Cadaqués auf, um den Motor warm zu fahren. Auf dem Rückweg kommt Chrischi mir in einer Kurve halb auf meiner Spur entgegen. Ich halte an einem kleinen Parkplatz und genieße die Aussicht auf die Bucht von Cadaqués, nach ein paar Minuten steht auch Chrischi neben mir. »Na? ›Meer und Steine‹ gucken?«. Ich lache und reiche ihm mein Päckchen Zigaretten hin.


Nach der Zigarette fahren wir zurück zum Campingplatz und beenden die Wartung. Trotz all‘ der Probleme der letzten Wochen, ist die BMW offenbar in erstaunlich gutem Zustand. Zündung und Vergaser sind perfekt eingestellt. Zum ersten Mal seit Wochen läuft nirgendwo Öl ‘raus. Sogar die Trial-Reifen, die letztes Jahr in Ägypten anfingen, sich aufzulösen, sehen noch hervorragend aus.

Nach dem Händewaschen setzen wir uns an den Pool neben der Campingplatz-Bar, trinken ein Bier und genießen unseren freien Tag.


Nach meiner Berechnung müssen wir morgen bis hinter Dijon kommen, um Samstagvormittag an dem mit meinen Eltern vereinbarten Treffpunkt an der deutschen Grenze bei Trier zu sein. Wir haben morgen also mindestens 750 km französische Autobahn vor uns. Beim aktuellen Spritverbrauch der BMW und der hohen Autobahmaut in Frankreich heißt das, dass wir schon wieder am finanziellen Limit fahren und auf jeden Fall noch im günstigeren Spanien volltanken sollten.


Abends machen wir uns ein letztes Mal Nudeln mit Tomatensauce und trinken billigen Supermarktwein dazu.


Tag 52, Freitag

Fr., 22. April 1988, Cadaqués – Raststätte hinter Metz


Wir wachen früh auf, die Sonne scheint und wir trinken Kaffe vor unserem Zelt. Um zehn sind die Motorräder aufgepackt und wir zahlen unsere Rechnung an der Rezeption.


Wir überqueren die Grenze nach Frankreich auf der kleinen kurvigen Küstenstraße. In Perpignan geht’s auf die Autobahn A9 ›La Languedocienne‹, die von hier nach Nordwesten zum Unterlauf der Rhone führt. Zunächst führt die Autobahn in engen in den Fels gesprengten Durchstichen durch die nordwestlichen Ausläufer der Pyrenäen. Vor Narbonne kommt dann rechts das Mittelmeer in Sicht, kurz danach verschwindet die Autobahn in den Vororten der Universitätsstadt Montpellier. Vor Mittag biegen wir bei Orange auf die A7 ›Autoroute du Soleil‹, die uns heute aber nicht zur Sonne, sondern von ihr weg bringt. Obwohl das Wetter nach wie vor stabil warm und sonnig ist. Nachdem wir das Atomkraftwerk Tricastin passiert haben, in dem es vor ein paar Jahren zu einem ernsten Zwischenfall gekommen war, halten wir an der A7 an einem Themen-Restaurant zu Asterix und Obelix und essen zwar keine Wildschweine, aber ein leckeres reichhaltiges Mittagessen.


Nach der Mittagspause geht es den Rest des Tages zügig weiter nach Norden. Am späten Nachmittag halten wir zum Tanken hinter Maçon. Ich rufe Chrischi zu, Geld für die Autobahnmaut aufzuheben und tanke selbst nur 30 Liter. Chrischi tankt voll und bezahlt mit seinem letzten französischen Geld. Einige Kilometer später müssen wir die A6, die nach Westen Richtung Paris abbiegt, verlassen und auf die A31 nach Norden wechseln. Auch die Autobahngesellschaft wechselt, so dass wir die Maut seit Orange bezahlen müssen. Ich habe noch genug französische Franc, Chrischi nicht. Wir müssen in ein kleines Büro neben der Zahlstelle und Chrischi unterschreibt ein Formular, das ihm erlaubt die Maut von zu Hause aus zu überweisen – unter Androhung drakonischer Strafen bei nicht fristgerechtem Geldeingang.


Wir fahren erleichtert weiter. Inzwischen wird es dunkel. Hinter Metz halten wir an einer Raststätte für einen schnellen Kaffee. Wir haben heute tausend Kilometer Landstraße und Autobahn hinter uns und sind beide todmüde, die Ohren rauschen vom Fahrtwind und der Nacken tut weh vom Winddruck, wir setzen uns auf eine Bordsteinkante, trinken Kaffee und rauchen. Nach zwanzig Minuten fahren wir weiter, halten aber an der übernächsten Raststätte schon wieder. Mit einem weiteren Kaffe in der Hand beschließen wir, direkt hier auf dem Parkplatz zu übernachten. Wir legen uns neben den Motorrädern auf die Isomatten und ich schlafe sofort ein. 


Tag 53, Samstag

Sa., 23. April 1988, Metz – Langenhagen


Wir wachen bei Sonnenaufgang auf, ich kaufe uns zwei Kaffee in der Raststätte und wir packen auf. Wir überqueren die Grenze nach Luxemburg schon um halb neun. Schon seit 50 km ruckelt die BMW immer wieder und manchmal glimmt die Ladekontrolleuchte kurz auf. Ich habe den schon seit Wochen beschädigten Masseanschluss der Batterie im Verdacht, hinter der Grenze kontrolliere ich das Kabel, kann aber nichts Auffälliges entdecken. Um einen Defekt auf der Autobahn zu vermeiden, schlage ich Chrischi vor, die letzten 50km bis zur deutschen Grenze Landstraße zu fahren. Chrischi stimmt zu. Sobald wir die luxemburgische Autobahn verlassen haben, tauhen wir in eine grüne Waldlandschaft ein. Chrischi ist auf der gut ausgebauten Landstraße schnell außer Sichtweite. In einer langgezogenen Rechtskurve geht der Motor der BMW aus und die Kontrollampen gehen alle gleichzeitig an. Auf der anderen Straßenseite zweigt ein Feldweg ab, ich lasse die BMW ein paar Meter hineinrollen und stelle sie ab. Der Motor springt nicht wieder an. Ich yetze mich am Straßenrand auf den Boden und lehne mich an einen Begrenzungspfosten bis Chrischi zurückkommt. Als er mit fragendem Gesicht neben mir stoppt, sage ich, »Elektrikschaden. Tot.« - »OK. Ich fahr‘ zur Grenze und bring‘ deine Eltern her.« Er wendet und ich mache es mir auf dem feuchten Waldboden so gemütlich wie möglich. Nur sehr wenige Autos fahren hier am Sonntagmorgen vorbei, niemand macht Anstalten, mir zu helfen. Ich rauche Zigaretten und trinke Wasser aus meiner Feldflasche. Als ich mich gerade etwas weiter in den Wald begebe, uman einen Baum zu pinkeln, höre ich hupen und Rufen von der Straße. Chrischi ist mit meinen Eltern im Schlepptau zurück. Sie sind nicht wie erwartet mit ihrem großen VW-Transporter gekommen, sondern mit einem PKW mit Motorradanhänger. Mein Vater fährt das Gespann rückwärts in den Feldweg. Nach der herzlichen Begrüßung laden wir die Motorräder auf und machen uns auf die letzten 500 km unserer Reise, die die BMW nun doch nicht mit eigener Kraft zurücklegen kann.


Nachmittags kommen wir in Langenhagen an. Ande und Crischis Bruder haben das Haus mit einem großen Willkommensplakat geschmückt.


Wir begrüßen uns und laden die Motorräder ab. Chrischi will auf der DR nach Hause fahren. Die Einladung zum Essen schlagen die beiden Brüder mit Verweis auf ihre Ma, die natürlich informiert ist und zu Hause wartet, aus.